Implosion in Hollands Rechtspartei: Wilders macht sich unbeliebt
Wegen rassistischer Sprüche nach der Kommunalwahl verlassen hohe Mandatsträger die Partei der Freiheit. Noch stehen die Wähler zu Wilders.
AMSTERDAM taz | Es war ein tumultartiges Wochenende bei der Partij voor de Vrijheid (PVV): Auf allen Ebenen gingen Fraktionsmitglieder auf Abstand zu ihrer Partei-Ikone Geert Wilders und seinem Auftritt nach den Kommunalwahlen am vergangenen Mittwoch. In nur drei Tagen traten insgesamt sechs Abgeordnete von ihrem Amt zurück oder gleich aus der Partei aus. „Eine Implosion“, so der öffentlich-rechtliche Rundfunksender NOS. Das NRC Handelsblad schrieb, die PVV falle „in hoher Geschwindigkeit auseinander“.
Die Rücktrittswelle begann am Tag nach der Wahl mit Roland Van Vliet, der die PVV- Fraktion der Zweiten Kammer in Den Haag verließ. „Das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, so Van Vliet in einer Erklärung. Der Stein des Anstoßes: PVV- Gründer Wilders hatte seine Anhänger auf einer Wahlparty gefragt, ob sie je „mehr oder weniger EU, mehr oder weniger PvdA (die niederländischen Sozialdemokraten), und mehr oder weniger Marokkaner“ wollten. Als die Basis daraufhin „weniger, weniger“ skandierte, verkündete Wilders, genau dafür sorgen zu wollen.
Danach überschlugen sich die Ereignisse. Chris van der Helm, PVV-Gemeinderat in Den Haag, trat aus der Partei aus, da „mit dieser Ansage eine Linie überschritten wurde, die ich persönlich nicht überschreiten kann und will“. Es folgte Parlamentsmitglied Joram Van Klaveren, der neben der medienorientierten „Konfrontations-Politik“ der PVV auch ihre „relativ linke“ sozial-ökonomische Agenda kritisierte.
Auch für die Europa-Abgeordnete Laurence Stassen, designierte Spitzenkandidatin der EU-Wahlen im Mai, blieb nach diesen Worten keine Option. Schließlich verließen noch zwei Fraktionsmitglieder in der Provinz Friesland die Partei. Austritte in der Provinz Flevoland sowie der Stadt Almere, wo die PVV am Mittwoch die Kommunalwahlen gewonnen hatte, konnten erst nach stundenlangen Krisensitzungen am Wochenende eingedämmt oder verhindert werden.
Wilders gibt sich unbeirrt
Die schwelende Parteikrise soll auch der Grund gewesen sein, dass Wilders seinen für Sonntag geplanten Auftritt beim Kongress des rechtsextremen Vlaams Belang (VB) in Antwerpen absagte. Anfangs hatte es geheißen, die Sicherheit Wilders’ hätte nach den jüngsten Entwicklungen nicht gewährleistet werden können. Der Besuch stand im Zusammenhang mit der Kooperation der Rechtsparteien bei der anstehenden EU-Wahl. Der VB-Abgeordnete Filip Dewinter hatte Wilders’ Aussagen von Mittwoch unterstützt und gehofft, er werde diese in Antwerpen wiederholen.
Im Kontext der rechten Anti- EU-Koalition ist auch Wilders’ Auftritt in der Wahlnacht zu sehen. Bereits vor Monaten hatte der PVV- Chef angekündigt, er habe mit seinen künftigen Mitstreitern (darunter Front National, Lega Nord oder FPÖ) mehr gemeinsam als mit niederländischen Parteien.
Politiker nahezu aller Fraktionen in Den Haag gingen in den letzten Tagen auf Distanz zu Wilders. Die Regierungsparteien – Rechtsliberale sowie Sozialdemokraten – kündigten an, es werde keinerlei Zusammenarbeit mit der PVV mehr geben.
Wilders selbst zeigte sich am Samstagabend unbeirrt: zwar wisse er nicht „wo das endet, mit meiner Fraktion und in diesem Land“. Doch egal mit wie vielen Abgeordneten werde er „bis zum letzten Zug“ seine Inhalte verkünden. Weder nehme er von seinen Aussprachen etwas zurück, noch entschuldige er sich für „die Wahrheit“. Was wiederum ganz nach dem Geschmack seiner Zielgruppe war: nach einer Umfrage der Nachrichtensendung EenVandaag stehen 85 Prozent der PVV-Wählerschaft weiterhin fest hinter Wilders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann