Immersive Ausstellungen: In der Bilderflut
In Hamburg erlebt man den Untergang der „Titanic“ und populäre Künstler in immersiven Ausstellungen. Mit echtem Kunsterlebnis kann es nicht mithalten.

Zum Glück gibt es eine Einweisung. In der Ausstellung „Titanic: Eine immersive Reise“ bekommt die Besucherin die VR-Brille erklärt, bevor sie mit dieser den Untergang der „Titanic“ quasi hautnah miterlebt. Zwischen zerschepperndem Porzellan und panischen Rufen fliegen die Besucher:innen in einem mörderischen Tempo durch die Gänge des Schiffs. Dabei kann einem schwummrig werden, dann empfiehlt es sich, kurz die Augen zu schließen oder notfalls abzubrechen.
Wer durchhält, kriegt nicht nur einen Achterbahn-ähnlichen Adrenalinkick, sondern soll sich im Idealfall mit den Opfern identifizieren können. Schließlich war diese Katastrophe real, sie ist nicht bloß eine Computeranimation.
Ein mitreißender Moment, dessen Halbwertzeit allerdings gering ist. Er kann, zumindest langfristig, nicht mit den originalgetreuen Nachbauten der Kabinen oder einem der echten Liegestühle vom Sonnendeck der Titanic konkurrieren. Und erst recht nicht mit dem Memorial Room: Dort steht mitten im Raum ein gläserner Würfel, in den die Namen aller rund 2.200 Personen, die an Bord der Titanic waren, eingraviert wurden.
Wenn man liest, dass nur etwa 700 Menschen überlebten und die meisten Rettungsboote gar nicht voll besetzt waren, ist das erschütternd und bleibt hängen. Der „Titanic“-Ausstellung, die bis zum 2. November in einer Expo-Halle unweit des Hamburger Rathauses zu sehen ist, gelingt etwas Ungewöhnliches: die Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Information.
Echte Kunst stimuliert das Hirn mehr
Sonst setzen immersive Ausstellungen eher auf Effekthascherei. Etwa „Monets Garten“ 2022 in den Gaußhöfen, Hamburg-Altona. Vor den Augen des Publikums entstanden animierte Werke des Impressionisten, untermalt von Debussy-Musik. In einem Nachbau des weltberühmten Gartens duftete es zumindest ein wenig nach Lavendel, Lianen baumelten von der Decke, auf dem Boden lag Kunstrasen – alles aus Plastik.
Ein interaktives Bild reagierte auf die Bewegungen der Gäst:innen. Ein launiges Spektakel, bloß kam man dem Künstler Monet nicht so nah wie in einem Museum, in dem wirklich von ihm gemalte Bilder hängen.
Eine niederländische Studie von 2023 belegt: Echte Kunst stimuliert das Gehirn deutlich mehr als Reproduktionen. Mittels Eye-Tracking-Technologie und MRT-Scans stellten Wissenschaftler:innen fest, dass Originale bei den Betrachter:innen zehnmal stärkere Reaktionen hervorrufen als Nachbildungen. Das bringt die Leute zum Nachdenken, über sich und die Welt. In Projektionen verlieren sich die Menschen rasch, sie sind wie ein Rausch.
Ist es gerade das, was das Publikum anzieht? Denn immersive Ausstellungen boomen. Es gibt sie seit gut 15 Jahren, ein weltweiter Anbieter ist das Unternehmen Culturespaces. Es hat 2025 einen Standort namens „Port des Lumières“ in der Hamburger Hafencity eröffnet, in Deutschland ist es sein zweiter. Vormittags wird dort Kunst von Gustav Klimt und Friedensreich Hundertwasser überdimensional aufgeblasen, nachmittags kann man virtuell in den Weltraum reisen.
Im Fokus steht Unterhaltung
„Unser Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich für Kunst, Kultur und Wissenschaft zu begeistern“, sagt Geschäftsführer Jens-Peter Becker. Darum hat Culturespace für die Ausstellung „Kosmos: Die immersive Reise ins All“, im Programm bis zum 31. August, sowohl von der Nasa als auch von der französischen Raumfahrtbehörde CENS Unterstützungen bekommen und kann nun deren Aufnahmen zeigen. Mal sieht man einen Raketenstart, mal eine Raumstation. Man kann über die Ringe des Saturn gleiten oder den Mars besuchen. Natürlich mit Musik – von Wagner bis Bowie.
Gewiss sind diese Impressionen beeindruckend, doch Lai:innen können nicht jede Einblendung direkt zuordnen. Es hilft, sich vorab die auf der Galerie versteckten Informationstafeln anzuschauen. Expert:innen hingegen lernen bei dieser Präsentation nichts Neues. Trotzdem sind selbst sie meistens von der imposanten Darbietung begeistert und fühlen sich gut unterhalten – das kristallisiert sich in Gesprächen mit Gäst:innen heraus.
Unterhaltung steht auch bei Klimt und Hundertwasser im Fokus. Während man auf einen Sitzsack plumpst oder auf einem Block sitzt, tauchen auf den Wänden Emilie Flöge und Adele Bloch-Blauer auf. Man muss ihre Namen nicht kennen, um zu begreifen: Gustav Klimt hat gern Frauen porträtiert. Schade nur, dass „Der Kuss“, eines seiner bedeutendsten Werke, nicht so richtig hervortritt.
Friedensreich Hundertwassers Kunst wiederum kommt wie ein Trickfilm daher. Erst prasseln bunte Regentropfen vom Himmel, dann wachsen Bäume. Man ahnt zumindest, dass Umweltschutz dem Maler und Architekten wichtig gewesen sein könnte. Auch wenn die Bilderflut überwältigend ist: Macht das Lust auf einen Museumsbesuch? Nicht unbedingt.
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