piwik no script img

Immaterielles Unesco-KulturerbeDenk ich an Deutschland

Sechs neue Traditionen sind nun Kulturerbe, darunter Finsterwalder Sangestradition und Berliner Techno. Aber Deutschland hat noch viel mehr zu bieten.

Die in Nordhessen verbreitete Schwälmer Weißstickerei ist zum immateriellen Kulturerbe ernannt worden

1. Crack rauchen im Görli. Ausgerüstet mit feinster Alufolie, kleinen Pfeifchen und einer liebevoll „Steine“ genannten Pulvermischung treffen sich Genießer auf braungebrannten Grasresten und tauschen Erfahrungen aus. Statt eines Zaunes gibt es ein Spalier aus Dealern, die das Areal sichern.

2. Kurz angebundene Regierungschefs. Wer bitte schön möchte schon Ministerpräsidenten und Kanzler, die einen unverschämt volllabern? Nicht nur Israels Sicherheit, sondern auch „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ gehört deshalb zur deutschen Staatsräson.

3. Datenschutz. Unsere privaten Daten geben wir nicht an Facebook und die NSA. Spitzeln und Denunzieren können wir selbst.

4. Klatschen. Ob klassisches Konzert, Coronapandemie oder Nahostkonflinkt, in Deutschland herrschen strenge Regeln, wer wann klatschen darf. Und wann besser geklopft wird.

5. Bargeld. Mit der Abschaffung der Scheine stirbt auch unsere Freiheit. Einzige Ausnahme: Asylsuchende – da geht die Bezahlkarte klar.

6. Vorfahrt für Autos. Keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ist ein alter Hut. In Deutschland dürfen Autos nicht nur in ehemaligen Fußgängerzonen rasen, sondern auch auf Radwegen fahren und auf Gehwegen parken.

7. Ein solider Haushalt. Wir haben kein Geld für Bildung, Wohnen oder Pflege und auch nicht, um der Ukraine zu helfen, aber dafür haben wir etwas viel Schöneres: eine Schuldenbremse im Grundgesetz.

8. Atomkraft. Erst den Ausstieg beschließen, ihn dann wieder rückgängig machen, um dann wenige Monate später doch auszusteigen. Aber vielleicht steigen wir ja bald wieder ein?

9. Ringtausch von Waffen. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen und die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren, aber wir dürfen uns auf gar keinen Fall irgendwo einmischen. Deshalb deutsch-europäisches Waffenkarussell, oder: Kriegsbeteiligung ohne Kriegsbeteiligung.

10. Plagiatsjagd. Politische Fehlentscheidungen, antisemitische Vergangenheiten oder andere Großkrisen zwingen in Deutschland keine_n Politiker_in zum Rücktritt. Zum Glück gibt es da noch die Zitierfehler in der Abschlussarbeit, wenn man jemanden loswerden will.

11. Harte Drogen. Die Frage ist nur, welche harten Drogen? Über den liberalen Umgang damit in Berlin beschwert man sich am besten auf 2 Promille im Münchner Bierzelt.

12. Protestkritik. Die Deutschen demonstrieren zwar nicht so oft und gerne wie andere, aber niemand ist so gut darin, die Proteste anderer schlechtzureden. Ganz egal, ob Arbeitskampf oder Klimastreik.

13. Über die Bahn meckern. Ja, okay, es läuft nicht alles perfekt bei der Deutschen Bahn, aber es muss auch nichts schlecht laufen, damit irgendjemand meckert: Die anlassunabhängige lautstarke Beschwerde gehört zum guten Ton in deutschen Schnellzügen. Wer nicht meckert, ist nicht deutsch.

14. Kinderhass. Ausländer, Schwule oder Frauen hassen können ja alle. Aber in Deutschland gilt es auch als edgy, sich an der Existenz von Kleinkindern im öffentlichen Raum zu stören.

15. Kulturelle Aneignung Österreichs. Alles Gute aus dem Nachbarland eignen wir Deutschen uns einfach an – und alles Schlechte ahmen wir nach.

16. Blühende Fantasie. Während in der Realität die Polizei meistens durch rechte Chatgruppen, Korpsgeist und andere Probleme auffällt, darf sie im Überkrimi „Tatort“ noch immer den Superhelden mimen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!