■ Im neuen Sofri-Prozess hängt viel von dem Angeklagten ab: Verfehlte Prozessstrategie
Adriano Sofri, Giorgio Pietrostefani und Ovidio Bompressi, rechtskräftig wegen Mordes am Polizeikommissar Calabresi zu 22 Jahren Haft verurteilt, werden also einen neuen Prozess erhalten. Prima klingt das, als sei nun wohl ein Freispruch für die drei Lotta-Continua-Kämpen in Sicht.
Das allerdings ist keinesfalls ausgemacht. Sofri & Co wurden zwar freigelassen, dürfen aber ihren Wohnort nicht verlassen – ein Indiz, dass für die Richter die Schuldbeweise noch überwiegen und das neue Verfahren lediglich zwecks Ausräumung letzter Zweifel genehmigt wurde. Viel wird nun davon abhängen, wie die Angeklagten sich diesmal vor Gericht verhalten. Dass die sieben bisherigen Instanzen am Ende katastrophal für die Lotta-Continua-Führer endeten, war auch ihrer eigenen verfehlten Prozessstrategie zuzuschreiben. Statt die in sich oft widersprüchlichen Behauptungen des „Kronzeugen“ Leonardo Marini zu widerlegen, stellten sie lang auf eine ausschließlich politische Verteidigung ab, nach dem Motto: Wir waren's nicht und haben uns für nichts zu rechtfertigen. Erst zuletzt fand Sofri klare Worte der Distanzierung zu dem gewalttätigen Klima der 70er, das auch er mit geschaffen hatte.
Ob er und seine Freunde wirklich dazugelernt haben, muss sich erst zeigen. Der Start nach der Haftentlassung scheint nicht dazu angetan. Statt den Beginn des neuen Prozesses in Ruhe abzuwarten, marschierte Sofri zur Piazza San Silvestro in Pisa, „dem Ort des Verbrechens“, wie er seinen Freunden zurief, denn da soll er 1972 den Auftrag zum Mord an Calabresi gegeben haben. Dass derlei Herausforderung auch dem neuen Gericht seine Arbeit nicht erleichtern wird, ist abzusehen. Werner Raith
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