Im Stasi-Knast: Gefühle von Ohnmacht
Karl-Heinz Bomberg saß drei Monate in Stasihaft wegen seiner politischen Lieder. Heute behandelt der Arzt viele Opfer der Staatssicherheit psychotherapeutisch in seiner Praxis in Prenzlauer Berg.
Die einen sind stark berührt, als Karl-Heinz Bomberg nach seinem Referat die Gitarre auspackt und seine Lieder und Texte vorträgt. Die anderen fühlen sich eher peinlich berührt: Der Arzt Bomberg hat zuvor über "ärztliche Erfahrungen mit traumatisierten Patienten und eigene Erlebnisse" gesprochen, und so mancher Medizinerkollege im Hörsaal West der Charité weiß mit dem Liedermacher Bomberg wenig anzufangen. Irgendwo gebe es ja schließlich Grenzen für das, was auf einem wissenschaftlichen Symposium üblich ist. In einem sind sich trotzdem alle einig: Mit seinem Wissen über Langzeitfolgen politischer Traumatisierung und Repression in der DDR ist Bomberg eine Koryphäe.
Am Anfang dieser Karriere standen seine Lieder.
"Die brachten mich 1984 für drei Monate in Stasiuntersuchungshaft", berichtet Bomberg. Er sitzt am Schreibtisch in seiner Praxis in Prenzlauer Berg in überholtem Möbelkombinat-Ambiente. Block und Stift liegen bereit, als würde er auch in diesem Augenblick ein Arzt-Patient-Gespräch führen. Alles an Bomberg ist extrem schmal: Gesicht, Nase, Schultern, Hände; das Haar ist seidig dünn, zurückhaltend der Bartwuchs. Die knochig-sparsame Physiognomie widerspricht seiner unmittelbaren, warmen Ausstrahlung. Ohne zu zögern greift er die Frage nach seiner Verhaftung am 29. Februar 1984 auf.
Der Facharzt für Anästhesie hatte damals gerade einen Patienten untersucht, als er vom Städtischen Krankenhaus geradewegs ins Gefängnis gebracht wurde: "Die Inhaftierung und plötzliche Schutzlosigkeit waren ein Schock für mich", gesteht Bomberg. Er erinnert sich an das erste Verhör. Entkleidet stand er vor den Stasileuten, mit einer Nummer versehen. "Das war schmerzhaft und hat auch etwas Schamhaftes." Ebenso wie die Auswirkungen des psychologischen Krieges, den die Stasileute in der U-Haft gegen Bomberg führten: Er sollte zugeben, ein Staatsfeind der DDR zu sein.
Quälende Selbstvorwürfe, Ungewissheit und Ohnmachtsgefühle: "Ich saß in der stickigen Zelle, ohne Tageslicht. Einmal täglich durfte ich für 20 Minuten raus, Runden laufen, in einem Käfig." Eine bedrückende Erinnerung, wie er berichtet: "Jenseits von menschlichem Zuspruch ist man ausschließlich auf sein Inneres angewiesen, eine Erfahrung, die man nur im Gefängnis oder in ähnlichen Extremsituationen macht."
Manchmal gab es aber auch Momente, da war er stolz auf sich. "Denn ich habe nur die Wahrheit gesagt und gesungen!", versichert Bomberg und zitiert eine Strophe aus dem Lied "Von langer Hand":
"Aber bleibt es, wie es ist,
dann wirds dem Volk am End zu trist.
Die Regierer dann krakeeln:
Ein neues Volk sollt man sich wähln?
Wenn drauf das Volk von dannen zieht,
der Staatschef vor dem Throne kniet:
Bitte lasst mich nicht im Stich,
denn Arbeitskräfte brauche ich!"
Von der Stasi wurde Bomberg als operativer Vorgang "Sänger" geführt, schon im Jahr 1982 erteilte man ihm als "feindlich-negative Kraft" - wie ihn die Stasi in einem Schreiben an das Politbüro der SED bezeichnete - ein Auftrittsverbot. Was ihn nicht davon abhielt, sich in der Gethsemanekirche mit dem inhaftierten Liedermacher Stephan Krawczyk zu solidarisieren und dessen Freilassung in einem Protestbrief an Genossen Erich Honecker persönlich zu fordern. Das und seine kritischen Lieder, die er trotz des Aufführungsverbots weiterhin sang, galten als blanke Provokation.
Einer Bekannten gab er nach einem Konzert treuherzig ein Demoband mit seinen, wie er sagt, "Überlebenssongs, um mit der Realität klarzukommen" - zum Veröffentlichen im Westen. Mit diesem Band fand die Stasi endlich Beweis und Vorwand: Der Arzt und Liedermacher wurde wegen "staatsfeindlicher Hetze" verhaftet, angeklagt und verurteilt. Die Bekannte war IM der Stasi.
"Das mit dem Demoband und der Idee, meine Lieder im Westen rauszubringen, war Narzissmus und Blauäugigkeit", meint Bomberg im Rückblick - in der Gewissheit, damals seine Frau Brunhild, die beiden kleinen Kinder, Freunde und sich selbst der staatlichen Willkür preisgegeben zu haben. "Ich habe ihm nie Vorwürfe gemacht, obwohl er unsere Familie in Gefahr gebracht hat. Nur seine Naivität hat mich erstaunt", sagt seine Frau Brunhild dazu mehr als 25 Jahre später.
Nach drei Monaten wird Bomberg entlassen - zwar verurteilt, aber auf Bewährung. Dank des Protestes von Kirche und Künstlern, westlicher Medienberichte und dem Engagement seiner Frau. "Sie haben es nicht geschafft, unsere Familie, unsere Ehe zu zerstören. Aber es war eine schwere Zeit", sagt Brunhild Bomberg. Mit "sie" meint sie die Stasi, die mit ihren Zersetzungsmaßnahmen die komplette Entpersönlichung und die Wahrnehmungsirritation der Opfer und deren Angehörigen verfolgte. Systematisch wurden Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und sozialer Rückhalt zerstört. Etwa durch offene, verdeckte oder vorgetäuschte Bespitzelung, ständige Überwachung, regelmäßiges Demolieren von Eigentum, berufliche Benachteiligung, Manipulation von Ehe-, Liebes-, Familien- und Freundschaftsbeziehungen, Androhung von Gewalt, auch gegen die Angehörigen.
Ebendiese Opfergruppe behandelt Bomberg heute als Psychotherapeut und Psychoanalytiker. In den vergangenen 16 Jahren hat er etwa 1.500 Patienten betreut, darunter 150 Personen, die als politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur gelten.
Einer von ihnen ist Thomas Hannemann. Seit über einem Jahrzehnt kommt der 51-Jährige in Bombergs Praxis. Eigentlich hatte sich Hannemanns Leben nach der Abschiebung in den Westen im Oktober 1989 gar nicht schlecht angefühlt. Er war einer, der sich nach der Wende was aufbaute als Versicherungsvertreter, Sporttaucher, Markthändler - je nachdem, was gerade so ging. Die fünfjährige Haftzeit von 1982 bis 1987 in diversen Stasigefängnissen wegen versuchter Republikflucht schien vergessen zu sein. "In der Haftzeit, da hat mich gar nichts gekratzt", erzählt er. Weder, dass man ihn mit Gallensteinen zwei Jahr lang medizinisch unversorgt ließ - "30 Kilo hatte ich abgenommen" -, noch, dass er im Zuchthaus Cottbus duschen musste in Räumen, wo Nazis Menschen vergast hatten und die Gasanschlüsse noch aus der Wand ragten.
Doch dann bekam Hannemann plötzlich, 14 Jahre nach der Haftentlassung, Magenschmerzen, Albträume, tiefe Hassgefühle auf Chefs und Autoritäten aller Art. "Völlig diffuse Symptome", die Verwunderung darüber ist dem großen, athletischen Mann mit dem schwarzen Pferdeschwanz noch anzumerken. Bombergs Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung aufgrund der Haft als Politischer in der DDR.
"Die Therapie der Menschen, die von der Stasi systematisch zerstört wurden, ist kompliziert", erklärt Bomberg. Der Arzt spricht von einem psychischen Trauma, das nicht verarbeitet werden kann, abgespaltet werden muss und eine unsichtbare Wunde im Selbst bildet. Das Misstrauen der Patienten ist enorm: Sie können nicht ehrlich auf Gefühle reagieren, fühlen sich noch nach Jahren überwacht und kontrolliert, haben große Probleme anderen Menschen zu vertrauen. Angst vor erneutem Verrat behindert oft jede Form von Nähe. Schon harmlose Situationen bewirken Gefühle von Verfolgung, Bedrohung und Isolation. Ein Klingeln, ein langsam vorbeifahrendes Auto, das Aufblenden eines Scheinwerfers genügen, um die Welt komplett ins Wanken zu bringen.
"Es geht wieder weiter"
"Durch die vielen Gespräche mit Dr. Bomberg habe ich akzeptiert, dass ich nie wieder so leben werde, wie ich hätte leben können, wenn die mich nicht eingesperrt hätten", berichtet Hannemann. Das erlittene Unrecht würde man nicht mal eben so wegtherapieren. Die Haftfolgeschäden können nur gemildert werden, indem man das Erlittene mühsam aufarbeitet. Gegenwärtig hat Hannemann keine Albträume und keine Magenprobleme mehr. Das Wichtigste für ihn: "Bomberg gibt mir ein Ziel. Jedes Mal, wenn ich aus seiner Praxis gehe, weiß ich: Es geht wieder weiter!"
Ist er aufgrund seiner Biografie für Hannemann ein besserer Arzt? "Ich hätte nicht mal versucht, Vertrauen aufzubauen, wenn der Therapeut bei Schilderungen von U- oder Einzelhaft und Verhören blöde nachgefragt hätte", versichert Hannemann. Bei Bomberg sei zu spüren gewesen, dass der Ahnung von der Materie habe. Doch bis vor Kurzem wusste der Patient nichts von der U-Haft seines Arztes: "Davon habe ich in unseren Sitzungen in den elf Jahren nichts gemerkt."
Bomberg selbst sagt, die eigene Geschichte helfe ihn in seiner Tätigkeit - "würde sie mich noch gefangen halten, könnte ich andere nicht befähigen, mit ihrem Trauma umzugehen". Emotionalen Abstand zu seinen eigenen Erlebnissen hat er mit den psychotherapeutischen Verfahren Supervision und Selbsterfahrung gewonnen, vermutlich haben ihn die Ausbildungen zum Therapeuten und Analytiker ebenfalls unterstützt. Auch, dass er das Thema politische Traumatisierung als Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit gewählt hat, ermöglicht ihm eine neue Perspektive auf die Vergangenheit: Die wissenschaftliche Auseinandersetzung fordert immer wieder Distanz, Professionalität und die Einbettung der eigenen Erfahrungen in den historischen Kontext.
Hans-Christian Deter, Professor an der Charité, nennt Bomberg sogar den "Motor" auf diesem Fachgebiet. "Denn es gibt außer ihm niemanden, der die persönliche Erfahrung der Haft, die Kenntnisse über die DDR, die Kontakte zu Opfern und Tätern und das fachliche Know-how als Therapeut und Analytiker in sich vereint." Man dürfe nicht vergessen, so Deter, dass auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur für viele traumatisierte Verfolgte und Opfer die Langzeitfolgen noch immer das alltägliche Leben prägen. "Wir brauchen dringend Experten wie Bomberg, um den Betroffenen helfen zu können." Die Psychotraumatologie - also der Bereich, der sich mit der Erforschung und Behandlung seelischer Verwundungen befasst - ist noch eine junge Wissenschaft.
Etwas ist zerbrochen
"Ja, die Untersuchungshaft hat etwas in mir zerbrochen", gesteht Bomberg. Aber er habe das Leid in Kompetenz verwandelt. Das sagt der routinierte Psychotherapeut Bomberg, nicht jedoch der Künstler. Mit seinen aktuellen Texten und Liedern verarbeitet er deutlich hörbar auch die quälenden Gefängnismonate:
"Ich falle um, ein andrer tritt auf mich, und keiner sieht es. Du hängst am Seil und regst dich nicht, mein Freund. Ist das noch Leben?", singt er auf der CD "Hoffnung - Bomberg und Band". Wahrscheinlich vermittelt die Musik Bomberg ein Ziel, so wie er als Arzt Hannemann und vielen anderen Patienten ein Ziel gibt.
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