: Im Senat sitzen gesetzlose Geldausgeber
■ Senat hatte den Volksvertretern die Kontrolle über den Haushalt entzogen / Anderthalb Jahre entschied die Verwaltung über Bremens Ausgaben / Staatsgerichtshof: Das ist verfassungswidrig
Die Kassenführung der Großen Koalition war verfassungswidrig. Das hat der Staatsgerichtshof gestern entschieden. Teile der Landeshaushaltsordnung und die Nothaushaltsgesetze zur vorläufigen Haushaltsführung, die im Januar 1996 von der Bürgerschaft beschlossen worden waren, sind nicht mit der Landesverfassung vereinbar, so die einstimmige Meinung der sieben Richter des Staatsgerichtshofes. Die Regelungen hatte die Finanzdepution dazu ermächtigt, über Haushaltsmittel zu entscheiden. Die Finanzdeputation ist allerdings kein Parlamentsgremium. Die Richter stellten klar: Nur die Abgeordneten des Parlaments dürfen über den Haushalt entscheiden.
Der neue Senat der großen Koalition aus CDU und SPD hatte im Herbst 1995 beschlossen, die Jahre 1996 und 1997 in einem „Doppelhaushalt“zu verbinden und diesen erst im Juni 1996 im Parlament beraten zu lassen. Um dennoch im ersten Halbjahr 1996 wirtschaften zu können, legte der Senat der Bürgerschaft Entwürfe für ein Landesgesetz und ein Ortsgesetz zur „vorläufigen Haushaltsführung“vor.
Die Opposition hatte damals schon darauf hingewiesen, daß die Regelungen verfassungswidrig seien. Dennoch wurden sie im Januar 1996 in der Bürgerschaft mit großkoalitionärer Arroganz beschlossen. „Ich will auf die Bedenken, die hier vorgetragen worden sind, von dem Kollegen Mützelburg und von dem Kollegen Wendisch, nicht weiter eingehen“, wischte beispielsweise SPD-Fraktionschef Christian Weber die verfassungsrechtliche Kritik vom Tisch. Wolfgang Schroers (CDU), der offenbar nicht begriffen hatte, worum es ging, sagte lauthals: „Gleichwohl aber darf das Budgetrecht der Bürgerschaft nicht eingeschränkt werden.“
Die Wählerinitiative Arbeit für Bremen (AfB) und die Grünen zogen daraufhin vor Gericht. Mit Erfolg. Auch ein Nothaushaltsgesetz unterliege bestimmten Bedingungen, urteilten die Richter und dürfe keine pauschale Ermächtigung darstellen. Rückwirkend hat das Urteil allerdings keine Auswirkungen. Ein Staat dürfe nicht handlungsunfähig gemacht werden, argumentierten die Richter.
Der Finanzsenator kann mit dem Urteil deshalb „gut leben“, sagte Staatsrat Günther Dannemann gestern. Die Bürgerschaft habe ja bereits auf Initiative des Senats ein Gesetz über die erforderliche Ergänzung der Verfassung beraten. Die Opposition wollte das Urteil nicht nur als Teilsieg verstanden wissen. „Natürlich kann man nichts rückgängig machen“, sagte Elke Kröning (AfB). „Aber das ist ein deutlicher Hinweis für die Regierung, sich in Zukunft verfassungskonform zu verhalten.“Auch Dieter Mützelburg, Fraktionssprecher der Grünen, freute sich über das Urteil: „Im Kern hat uns der Staatsgerichtshof Recht gegeben. Außerdem heißt es, daß die Große Koalition mit ihrer Durchmarsch-Politik nicht so einfach davonkommt“.
Daß der Senat das Urteil vorausgesehen hat, ergibt sich aus einer vertraulichen Senatsvorlage (taz vom 11.5.96). Die Experten des Justizsenators Henning Scherf (SPD) hatten seinerzeit bereits herausgefunden, daß „in einer von der Verfassung nicht mehr gedeckten Weise“verfahren werde. Damals beschlossen die RegierungsvertreterInnen, den Mantel des Schweigens über die Angelegenheit zu decken – und in Ruhe abzuwarten. Sie hatten Fakten geschaffen, die sich ohnehin nicht mehr rückgängig machen ließen. kes
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