Im Schatten der Nazi-Kolonie: Nichtstun am Limit
Im Urlaub sinkt das Energieniveau schlagartig. Wahrscheinlich soll das so sein. Die Institution Urlaub an sich ist problematisch.
U ngefähr zwei Stunden habe ich heute auf einen Starrwettkampf mit einer Kuh verwendet. So lange schon latscht ihre Herde nämlich schon ziellos zwischen meinem Ferienhausbalkon und dem Kleinen Jasmunder Bodden herum. Die Kühe stören meinen Fotobeweis vom absoluten Nichtstun, weil sie immer genau dann komische Sachen machen, wenn sonst alles stimmt. Vor allem halt diese eine.
Dieser Bodden ist ein Gewässer, falls Sie das nicht wissen. Seit man ihn achtzehnhundert-irgendwas durch einen Damm von der Ostsee getrennt hat, ist er eine Art Binnensee auf der Insel Rügen – und bietet trotzdem auch noch einen hinreichend idyllischen Meerblick-Ersatz.
Es ist insgesamt sehr schön hier, sehr friedlich und abgesehen von den Rindern eben auch angenehm ereignislos. Vielleicht sogar ein bisschen ereignisloser, als mir gut tut. Meine eigentlich nur noch zum allerletzten Feinschliff mit in den Urlaub genommene Kolumne war vorhin das erste Opfer dieser sonderbaren Stimmung. Ich habe sie nämlich gelöscht.
Dabei war’s im Grunde ein spitzenmäßiger Text über das strukturschwache Bremen: wütend und bissig und trotzdem mit einer irre lustigen Pointe am Ende. Sogar der Titel war gut und Polizeigewalt kam auch drin vor. Allein: Das alles fühlt sich nicht mehr richtig an hier draußen auf der Insel. Nichts ist mir gerade egaler als der beschissene Schienenersatzverkehr um Bremen – überhaupt habe ich keine Energie mehr, mich über irgendwas aufzuregen.
Schleichende Erosion
Und das ist auf dreierlei Weise schade: um meine Arbeitszeit, weil der erste Text ja fast fertig war. Ums Honorar natürlich noch mehr und ein bisschen eben auch um Ihre Zeit, weil Sie nun statt dieser abgefahrenen Krawallstory nur noch der schleichenden Erosion meines Hirns nach wochenlanger Überbelastung folgen können.
Wobei immerhin noch eine Geschichte darüber abfällt, was man sich für einen Extrastress macht, wenn und weil es auf Pausen zugeht. Oder ist das am Ende nur bei mir so? Dass ich mich in solchen Phasen über zwei schlaflose Wochen auf den Kopf stelle, um dafür hinterher wenigstens mal eine halbe so richtig frei zu haben?
Falls Sie das jedenfalls auch so machen, dann wissen Sie ja, dass dieser Plan niemals aufgeht. Weil Sie am Ende doch wieder so einen Irrsinn veranstalten, wie eben eine im Grunde fertige Kolumne durch irgendeinen Quatsch mit Kühen zu ersetzen, den Sie dann doch nicht auf den Punkt bekommen, weil diese Tiere Ihnen überhaupt nichts getan haben und unterm Strich halt einfach nur kuhmäßig existieren.
Unterbrechung des Elends als sinnstiftenden Fetisch
Es ist leider so: Urlaub macht selbstgerecht. In der abklingenden Erschöpfung bleibt das marode Selbst als eine gebrochene und schutzlose Märtyrer:in der Arbeit zurück, die nichts anderes mehr vermag, als ihre Umgebung eben damit vollzutexten. Ob die das nun will oder nicht. Keine Ahnung, wer sich diesen Mist ausgedacht hat, aber es kann schlicht nicht funktionieren, die bloße Unterbrechung des Elends zu seinem sinnstiftenden Fetisch aufzubauen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ehrlich gesagt, habe ich natürlich schon eine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat. Lässt man Kühe und Bodden nämlich kurz mal links liegen, ist auf der anderen Seite Prora zu entdecken, wo die Nazis den Massentourismus erfunden haben. „Kraft durch Freude“ und so weiter: 20.000 Deutsche sollten sich genau hier gleichzeitig für Führer, Volk und Vaterland im Akkord entspannen, bis ihnen Arbeitsmoral und Wehrfähigkeit wieder aus den Ohren spritzen.
Wenn ich so drüber nachdenke, ist es vielleicht doch gar nicht so schlecht, im Urlaub wenigstens ein bisschen zu arbeiten, bevor man auf dumme Gedanken kommt. Ich geh gleich rüber und guck mir Prora als mahnendes Beispiel an. Und wenn das Wetter noch besser wird, gibt’s dann noch Strand, Kreidefelsen, Insel-Brauerei, Segelboot, Hiddensee, Feuersteinfeld … Lieber ein dichtes Programm als gar keinen Stress. Und dann kann die Kuh meinetwegen auch weiter mein Stillleben zertrampeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren