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Im Rhythmus der Sümpfe

Agitation, Straßenkampf, Schmuddelsex: In „Blow Job“ betreibt Stewart Home Plagiarismus mit System

In London herrscht wieder einmal Bürgerkrieg, wie schon in den vorangegangenen Romanen Stewart Homes. Trotzkisten, Kommunisten, Anarchisten, Nihilisten, Feministen, Nationalsozialisten und natürlich Polizisten – allesamt sind sie radikal und militant; jeder kämpft mehr oder weniger gegen jeden. Home selbst scheint keine besonderen ideologischen Vorlieben zu haben: Den Ideen der Nihilist Alliance, einer am ehesten mit Jerry Rubins Yippies vergleichbaren hedonistischen Umstürzlervereinigung, bringt er zwar am meisten Sympathie entgegen, und natürlich bekommen die Nazi-Splitterparteien am häufigsten die Fresse poliert, aber im hingehuschten Meuchelfinale müssen dann doch ausnahmslos alle eines sehr unnatürlichen Todes sterben. Wie austauschbar die verfeindeten Sektierergemeinden sind, wenn es der Opportunismus, die eigentliche Universalreligion aller Beteiligten, verlangt, zeigt er sehr schön am Beispiel eines erfolglosen Trotzkisten, der zum Gründungsvater einer neuen Nazivereinigung avanciert.

Home schreibt also weiter an dem einen großen Roman, diesem wild zusammenplagiierten Bastard aus Pamphlet, Trashklamotte und Groschenheft, der nur drei Dinge kennt: ideologische Agitation, brutalstmöglichen Straßenkampf und Schmuddelsex. Wie gehabt sind die Figuren nicht mal Holzschnitte, es sind Strichmännchen. Und auch die schöne Pulp-Phrase hat sich hier wieder einmal neues Terrain erkämpft: „Das befriedigende Geräusch splitternder Knochen ertönte, und der Dreckskerl stolperte rückwärts, um dabei Blut und angelegentlich Stückchen abgebrochener Zähne auszuspucken.“ Solche Szenen gibt es im Dutzend: „Das kranke Knirschen von brechenden Knochen erklang, und der Dreckskerl stolperte zurück ...“

„Plagiarismus spart Zeit und Mühe und verbessert die Resultate“, hat Home früher einmal gesagt. Mit anderen Worten, das alles hat Methode, und wer das serielle, auf Variation basierende Prinzip erst mal verstanden hat, kann bald darüber lachen. So wie man über die im Medium der Kunstsprache Nadsat ästhetisierten Gewalttätigkeiten in „Clockwork Orange“ gelacht hat.

Anthony Burgess taugt auch insofern als Vergleichsgröße, als Home dessen reaktionäres, zyklisches Geschichtsbild, das den oft überlesenen Subtext von „Clockwork Orange“ ausmacht, zu adoptieren scheint. Die ständige Repetition von sprachlichen Versatzstücken und entsprechenden Handlungsmustern, vor allem in den eher drüsengesteuerten menschlichen Standardsituationen Kampf und Sexualität, sollen doch wohl auch hier die ewige Wiederkehr des Immergleichen bezeugen. Dass Home diese evolutionäre Dimension durchaus im Blick hat und wie Burgess einen kulturellen Fortschritt der Menschheit grundsätzlich ausschließt, zeigen vor allem die Sexszenen. Immer wieder schlagen die Herzen „im dumpfen Rhythmus der Sümpfe“, wälzen sich die Koitierenden in den „Sümpfen der Vorgeschichte“, erhebt sich „die mächtige DNS aus den prähistorischen Sümpfen“ und übernimmt „die Kontrolle über ihre Nachgeborenen“, wallt „Millionen Jahre alter genetischer Trieb aus den Lenden hoch“.

Diese regressive, nicht zuletzt den Diskurs der konservativen Intellektuellen in den 20er-Jahren erneuernde Geschichtsverneinung erscheint mir, bei allem Spaß, den dieses Kolportage-Meisterwerk macht, etwas prekär. Was kann, scheint Home sagen zu wollen, die Ratio schon ausrichten gegen die geballte Wucht der Phylogenese? Eben.

FRANK SCHÄFER

Stewart Home: „Blow Job“. Aus dem Englischen von Wolfgang Bortlik. Edition Nautilus, Hamburg 2001, 222 Seiten, 29,80 DM

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