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Im Namen der Grundrechte

■ Zur Eröffnung des Deutschen Juristentags in Karlsruhe gab es nur mahnende Worte an die Adresse der roten Roben

Karlsruhe (taz) – Nach dem umstrittenen Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte Josef Isensee, konservativer Verfassungsrechtler, die Karlsruher Richter noch regelrecht beschimpft. Bei der gestrigen Eröffnung des 61. Deutschen Juristentages (DJT) verzichtete er auf allzu harsche Töne und mahnte das Gericht lediglich zu mehr Bescheidenheit. Zugleich übte er dennoch erneut Kritik. Laut Redemanuskript, das der taz vorab vorlag, verurteilte er es als „unsittliches Recht“, wenn „im Namen der Grundrechte der Soldat der schlimmsten Diffamierung preisgegeben wird und das Kreuz, Symbol des Christentums, der kulturellen Identität Europas und seiner sittlichen Ideale, aus der Schule entfernt wird.“

Viele BeobachterInnen waren zuvor davon ausgegangen, daß die Bestimmung Isensees zum Eröffnungsreder nur als gezielter Affront gegen das Verfassungsgericht gemeint war: Ausgerechnet in Karlsruhe, der „Residenz des Rechts“, wird die Eröffnungsrede zum Thema „Wie weiter mit dem Verfassungsgericht?“ einem Mann angetragen, der den roten Roben unlängst noch „neurotische Reizbarkeit“ gegenüber der christlichen Tradition unterstellte und das Kruzifix-Urteil als „kulturrevolutionäre Provokation“ bezeichnete. DJT-Pressesprecher Martin Huff stellte jedoch klar: „Das Thema des Eröffnungsvortrags und der Redner standen schon lange vor dem Kruzifix-Urteil fest.“

Isensee, der schon häufig die Bundesregierung in Karlsruhe vertrat, erfüllte die Negativ-Erwartungen nur teilweise. So wagte er auch Kritik am eigenen politischen Lager. Während gestern noch von anderen Rechtsgehorsam eingefordert worden sei, hätten sich heute „die Rollen von Bock und Gärtner vertauscht“. Zu guter Letzt schloß er gar mit einem versöhnlichen Bekenntnis: Er bleibe „stolz auf dieses Gericht“, selbst wenn er sich an ihm reibe.

Zuvor hatte er den Karlsruher Richtern noch vorgeworfen, sie entschieden häufig „ohne hinreichend sichere Maßstäbe“ Kontroversen der Rechtsauslegung und überhöhten „bestimmte Positionen zu Quasiverfassungsrang“. Wenn es nach Isensee gegangen wäre, hätte Karlsruhe weder die Strafbarkeit von Sitzblockaden aufheben noch die Rechte von MieterInnen stärken dürfen. „Es fällt auf, daß sich die öffentliche Empörung auf Entscheidungen konzentriert, die mehr Liberalität im Umgang mit Andersdenkenden anmahnen“, entgegnete Jutta Limbach. Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts reagierte gelassen auf Isensee: „Nur wer öffentliche Kritik aushalten kann, verdient Achtung vor dem Forum der Vernunft.“ Christian Rath

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