: Im Namen Frankreichs...
■ Der ehemalige Gestapo–Chef von Lyon, Klaus Barbie, wurde vom Gericht der Stadt zu lebenslänglicher Haft verurteilt / In allen Punkten des Verbrechens gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden
Aus Lyon Lothar Baier
Der Tenor in den Schlagzeilen der französischen Presse: „Ein Urteil für die Geschichte“. Am Ende eines acht Wochen dauernden Prozesses ist der ehemalige Gestapo– Chef von Lyon, Klaus Barbie, zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Reaktionen aus der Bundesrepublik: praktisch inexistent. Nachdem die Verteidigung erwartungsgemäß Freispruch mangels Beweisen beantragt hatte, sprachen die neun Geschworenen und drei Berufsrichter des Lyoner Schwurgerichtes Klaus Barbie nach mehr als sechsstündiger Beratung in sämtlichen Anklagepunkten schuldig. Mit einer Mehrheit von mindestens acht Stimmen beantwortete die zwölfköpfige Jury jede der 340 Fragen, in die das Gericht die Anklagevorwürfe aufgegliedert hatte, mit ja. Die 341. Frage, die mildernde Umstände betrifft, wurde verneint. In 17 Fällen wurde Barbie des Verbrechens gegen die Mensch lichkeit für schuldig befunden. Unter anderem wurde er schuldig gesprochen, bei der Attacke auf die Zwangsorganisation der Juden UGIF in Lyon am 9. Februar 1943 das Verbrechen der Beihilfe zum Mord, der Freiheitsberaubung und der Verschleppung in mehreren Dutzend Fällen begangen zu haben. Er wurde des weiteren schuldig gesprochen, bei der Raz zia auf das Kinderheim von Izieu am 6. April 1944 das Verbrechen der Beihilfe zum Mord, der Freiheitsberaubung und Verschleppung begangen zu haben - auch in allen übrigen von der Anklage aufgeführten Fällen folgten die Richter dem Staatsanwalt. Als nichtverjährbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinn der Nürnberger Rechtsprechung wurden diese im normalen Strafgesetz aufgeführten Verbrechen gewertet, weil sie, wie der Text des Urteils ausführt, „im Rahmen eines abgesprochenen Plans zur Deportation, Versklavung und Vernichtung von Zivilbevölkerungen oder der Verfolgungen aus politischen, rassischen und religiösen Gründen“ begangen wurden. Fortsetzung auf Seite 2 Das Gericht hat damit entschieden, daß auch im Fall verhafteter und in KZ deportierter Widerstandskämpfer ein „abgesprochener Plan zur Deportation und Vernichtung“ bestanden und daß Barbie an der Ausführung dieses Plans teilgenommen hat. Das am Samstag morgen um ein Uhr verkündete Urteil wurde im Beisein des zwangsvorgeführten Klaus Barbie im Gerichtssaal mit Applaus entgegen genommen. Vor dem Gerichtsgebäude am Ufer der Rhone begann ein Hupkonzert wie nach einem Fußballsieg. Das Volk von Lyon war an der Volksfeststimmung allerdings kaum beteiligt, denn nur wenige Schaulustige sahen aus sicherer Entfernung zu, wie mehrere Hundert Demonstranten auf die Stufen vor dem Gerichtsgebäude stürmten. Als die drei Verteidigers Barbies das Gelände verlassen wollten, wurden sie von dieser Menge umringt, als Mörder und Nazis beschimpft und mit Handgreiflichkeiten bedroht, bis die Polizei dazwischen trat. In Sichtweite des Tumults ließ sich unterdessen der Barbie–Jäger und Nebenklageanwalt Serge Klarsfeld von seinen Mitstreitern und Anhängern stürmisch feiern. Die Feier des Urteils mit Faustschlägen gegen den Barbie–Verteidiger Verges nebenan fand er durchaus verständlich: schließlich sei es „Klaus Barbie gewesen, der durch den Mund seines Verteidigers gesprochen“ habe. Andere Anwälte der Neben klage protestierten gegen diese Entschuldigung der Gewalttätigkeiten gegen einen Verteidiger. Die Spaltung der Nebenklage, den ganzen Prozeß über nur mühsam übertüncht, kam nach seinem Ende in aller Schärfe zum Vorschein. Die Verteidigung hat unmittelbar nach der Urteilsverkündung Revision angekündigt. Laut Verges ist der bereits geplante zweite Barbie–Prozeß schon jetzt gefährdet, bei dem der ehemalige Gestapo–Chef, der der Deportation zweier zusammen mit dem Resistance–Führer Jean Moulin verhafteter Widerstandskämpfer überführt werden soll: Einer der beiden, der im KZ ums Leben gekommene Bruno Lerat, soll danach von einem deutschen Nazigericht verurteilt worden sein, sodaß Barbie an der KZ– Haft mit Todesfolge keine Schuld trüge.
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