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Im Leiblabor

Sex und Sinnlichkeit und irgendwie auch Tanz: In Felix Ruckerts neuem Stück „Secret Service“ im Dock 11 ist man als „Zuschauer“ mit verbundenen Augen, gefesselten Händen und entblößtem Körper wesentlicher Teil der Aufführung

Es fängt alles ganz lustig an: Im Dock-11-Café hängt an der Wand eine Rolle mit Wartenummern, wie beim Arbeitsamt. Davon zieht man eine und wartet. Derweil trinkt man Kaffee, Wein, Bier – und blättert im „Lexikon des Sadomasochismus“. Wenn die Nummer auf der über der Eingangstür hängenden Leuchtanzeige erscheint, kauft man sich ein Ticket. Dann geht man über den Hof, in die Tanzhalle.

So weit, so gut. Der „Vorspann“ zu Felix Ruckerts neuem Stück „Secret Service“ ist sehr sacht. Man liest zwar im Programmzettel, dass es um verbundene Augen, gefesselte Hände und entblößte Körper gehen wird, um die eigenen Augen, Hände und Körper. Doch man begreift noch nicht die sinnliche Wucht des Ruckert’schen „Mitmachtheaters“, das einem unter die Haut fahren wird. Mit der gewohnten Zurückgelehntheit des Zuschauers ist es gänzlich vorbei. Man agiert selbst, unwissend, halb bewusst, sicher seiner sonstigen Passivität nicht mehr gewiss. Und fühlt sich doch auch sicher mit den verbundenen Augen, in einer intimen Situation, die kaum an Theater erinnert und keine anderen Zuschauer erlaubt.

Ruckert nennt seine Arbeit selbst „Leiblabor“, er will es als „interaktives Tanzstück“ verstehen, „dessen Gelingen auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen ist.“ Deshalb soll man die auf den Flyer gedruckten „Regeln“ befolgen: sich die Augenbinde anlegen lassen, sich von den Tänzern führen lassen. Falls es zu viel wird, darf man ein Zeichen geben, und die Show bricht ab. Das ähnelt einem Sadomaso-Setting, bei dem die Beteiligten sich über die Grenzen des Erlaubten von einem Moment auf den anderen verständigen. Bei Felix Ruckert gibt es diese Lust an Grenzverschiebungen, wenn er mit Sexualität im öffentlichen Raum arbeitet. Ob die dramatisierten „Situationen“ seiner Stücke die der Kunst anhängige Grenze von Simulation und Inszenierung tatsächlich überschreiten, sei dahingestellt. Zumindest wagen der Choreograf und seine hart arbeitende Compagnie – drei bis vier Stunden hintereinander sind die Tänzer mit der Performance beschäftigt einen Versuch, etwas „geschehen“ zu lassen: Sinnlichkeit, Sex, Spiel, Brutalität. Und der Zuschauer ist, mehr noch als bei Ruckerts vorigen Stücken „Ring“ und „deluxe joy pilot“, das Versuchsobjekt.

Was passiert nun in „Secret Service“? Das kann ich nur beschreiben: Ich gehe in die Vorführhalle, allein, und ziehe Schuhe und Strümpfe aus. Eine schöne Schwarzhaarige fragt mich, ob es mir gut geht und ich mit den Regeln einverstanden bin. Ich sage ja und bekomme die Augenbinde. Man bringt mich irgendwo „hinein“. Ich spüre die Berührungen fremder Hände und Körper, die sich an mir reiben, mich drehen, mich führen, mich zwicken, schubsen und streicheln. Jemand rennt und hopst mit mir, hebt mich hoch, schlenkert mich durch die Luft. Bevor ich falle, fängt man mich. Es tut nicht weh, es kitzelt. Die Tänzer keuchen, ich rieche ihren Schweiß. Jemand legt meine Hand auf seine feuchte Glatze.

Nach der Pause dann „Stufe 2“. Die Schwarzhaarige legt mir Lederarmbänder an, verbindet mir wieder die Augen. Drinnen, in der „Moshpit“, ziehen fremde Hände mir Hemd und Hose aus, ich stehe im Slip da. Jemand kitzelt und zwickt mich, ich trete ein bisschen zurück, der Peiniger lacht. Dann fixiert man meine Hände an Ketten, schlägt mich mit einem Wedel auf den Hintern. Ich drehe mich, versuche auszuweichen. So wird es doch noch irgendwie Tanz. Ein Mann, den ich nicht sehen kann, stöhnt laut auf unter den Schlägen. Ein Tänzer drückt mein Gesicht an seine nackte Brust und sagt, „los, beiß rein!“. Ich beiße.

Irgendwann ist Schluss, dann liege ich auf einer Couch im Vorraum. Die Schwarzhaarige steckt mir ein Stück Schokolade in den Mund. JANA SITTNICK

„Secret Service“, bis 5. Februar, 20 bis 22 Uhr, permanenter Einlass, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg

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