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Im Laufrad des Herrschers

■ Video-Kunst, auf der Funkausstellung präsentiert im Stile des Hochbarock

Der Palast des Herrschers liegt irgendwo in jenen Dimensionen, die der Mensch als Masse heute nur mehr über seine Fernbedienung erreicht. Dringt er wider Erwarten doch einmal ins geheime Schloß IFA vor, das alle zwei Jahre seine Pforten für den gewöhnlichen Sterblichen öffnet, so wird ihm mitunter ein unbeschreibliches Glück zuteil, und er selbst womöglich zum Zeugen einer herrschaftlichen Audienz, eines prächtigen Aufmarsches oder doch zumindest eines allergnädigsten Defilées. Dafür nimmt er jene Mißhelligkeiten in Kauf, die, wenn man es recht bedenkt, das Erlebnis ja eigentlich nur zu steigern vermögen: weiß der Besucher nun erst wirklich, wie nahe er dem Ruhm und der Macht gekommen war.

Es ereignete sich nämlich, das die Herrschaft jenen Teil des Palastes in Augenschein nahm, den man in früheren Zeiten als „Kunst- und Wunderkammer“ bezeichnete, und welcher im Jahre des Herrn 1993 für einige wenige Tage seine Anziehungskraft ausübt unter dem Namen: Electronic Art/ Philips. Hier verwandelt sich das Ereignis zum Event. Hier wird selbst eine profane Halle zum Ort der Erleuchtung und der Mirakel, in welchem die Geistesblitze gleichsam materialisiert und leuchtendgrün unter der Decke entlangflitzen.

Welcome to the Philips-Dome

Zu einem Ort, an welchem eine Armee aus Uniformierten beiderlei Geschlechts einem jeden Staunenden die Dinge und Wunder bis ins kleinste Detail zu erläutern vermag. Bis plötzlich, ja bis sich all diese Uniformierten wie auf ein geheimes Zeichen hin zu Kordons fügen, zu menschlichen Gittern ordnen und der nun noch mehr Erstaunte im solchermaßen geleerten Zentrum einige Gestalten entdeckt, die bedächtig an den Apparaturen entlangwandeln, hier und da einem Begleiter das Ohr zuneigen, aufmerksam nicken – um sich alsbald zum nächsten Objekt ihrer Versenkung zu bewegen.

Und wieder ordnet sich das Kraftfeld der Uniformierten aufs neue, der Besucher sieht sich plötzlich an einen Rand gedrängt, wo eben noch das Zentrum war, die Blicke fliegen in Richtung des hohen Aufsichtsrates und versuchen zu erspähen, was jenem unmittelbar vor Augen steht.

Und was es dort nicht alles zu sehen gibt! Es dürfte einstens am Prager Hofe Kaiser Rudolfs II. kaum prächtiger zugegangen sein, als dieser seiner Sehnsucht nach der Schönheit der Antike und dem Forscherdrang seiner Zeit den gebührenden Rang einräumte, im Zusammenspiel von Mensch und Schöpfung, Skulptur und Maschine. Gewissermaßen in einer Herrscherachse postiert, befinden sich sechs der allerbemerkenswertesten Objekte im Herzen dieses ephemeren Palastes. Meine Damen und Herren, kommen und staunen Sie, lassen Sie sich vom „ersten fliegenden Fernseher der Welt“ in Schwindel versetzen, betrachten Sie ehrfürchtig die majestätische Bewegung des „ungewöhnlichsten Wasserrades der Welt“, und Sie werden immer noch fassungslos sein angesichts der „größten Schildkröte der Welt“. Künstler und Maschinisten von internationalem Rang und Ansehen haben eigens für Sie in monatelanger Arbeit und unter Verwendung von „über dreihundert flimmerfreien Philips TV Monitoren“ ein Arsenal der Einzigartigkeit geschaffen. Kommen und schauen Sie, wie Klaus vom Bruchs fliegender „Jago“, eine Kreuzung aus dem amputierten Modell einer V2 und einer Regentonne, in bedrohlicher Schwärze über ihrem reglosen Double kreist, auf dessen Transportkiste in kapitalen Lettern zu lesen steht: „Rüstungs-Element. Doppelform. 1 Stück“. Gleichsam das Gegenstück zu dieser literarischen Lenkwaffe der Eifersucht finden Sie, aufs heftigste entflammt und in einem steuerlosen Cockpit außer Kontrolle geraten, als schöne Apokalypse der an allen Höfen außerordentlich geschätzten Marie-Jo Lafontaine. Und wieder zwingt uns die Literatur zu dem emphatischen Bekenntnis: „Jeder Engel ist schrecklich“.

Wahrlich eine mediale Intensivstation

Aber ehe wir an seinem stärkeren Dasein vergehen, wenden wir uns von den Errungenschaften der neueren Kriegstechnik ab und statt dessen den Wundern der Naturgeschichte zu. Gibt es doch auch hier genügend Anlaß zu allgemeiner Verblüffung, etwa über den kristallinen Vogel Shigeko Kubotas, dessen Schwingenschlag sich unendlich fortsetzt ins Innere seiner elektronischen Augen. Und hernach macht uns die einzigartige Riesenschildkröte betroffen, welche der Magier Nam June Paik, gleich dem Lemuel Gulliver auf den Boden des Palastes zu binden verstand. Nun funkelt es zornig auf ihrem leuchtenden Panzer. In ihrer Nähe schöpft das Skelett von Elizabeth Gardner seine Luft aus einem Gummiblasebalg, unentwegt beobachtet von allerlei kleinen Objektiven, die ihre Notizen an die Bildschirme weitergeben: wahrlich eine mediale Intensivstation. Indessen schöpft am anderen Ende des Saales ein gewaltiges Mühlrad unablässig sein imaginäres Wasser aus einem wirklichen, mit ganz und gar realem Wasser gefüllten Stahlbassin.

Hier endlich erfahren wir etwas von der archaischen Wucht, welche den symbolischen Zirkel der Bilder beherrscht. In diesem medialen Laufrad wird unser Blick gebannt, erleichtert vom Gleichmaß der Bewegung, ehe wir ertrinken im Sog der Maschine, ersticken in der sauerstofflosen Faszination fremder Räume. Bis auf weiteres wollen wir verzichten auf die Nähe zu diesem Erhabenen, seinem Luxus und seiner Glätte. Wir fügen uns wieder ins graue Einerlei unseres Alltags, glücklich, die Göttergleichen geschaut zu haben, dankbar aber auch, ihrem verderbenden Kraftfeld entronnen zu sein. Thomas Fechner-Smarsly

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