Im Dampfwölkchen

Ab und zu durfte das Publikum mitsingen: Lange „Bluesnight“ im Tempodrom, nachgesummt  ■ von Matti Lieske

Daß die „Bluesnight“ im Tempodrom ausgerechnet mit einem Stück von Bob Dylan begann, der jüngst sein dreißigjähriges Jubiläum feierte, war durchaus symptomatisch. Ganz tief in die Fossilienkiste des Rhythm 'n Blues hatte man bei der Zusammenstellung des Programms gegriffen, einige Koryphäen des britischen Blues- Revivals der sechziger Jahre zutage gefördert, dazu zwei ihrer amerikanischen Vorbilder, die heute auf der Welle des Blues-Re- Revivals wieder nach oben geschwemmt werden.

„Watching The River Flow“ spielte also „Pete York's Superblues“ zum Auftakt, und dann plauderte York von den guten, alten Zeiten vor dreißig Jahren, als er mit der Spencer Davis Group, für die er damals trommelte, das Haus von John Mayall aufzusuchen pflegte, wo sie sich alle gemeinsam den Blues holten, während Mayalls Frau „Sandwiches und Tee“ bereitete.

Und während rote und blaue Lichter sowie ein kleines Dampfwölkchen, das gelegentlich von links auf die Bühne puffte, emsig bestrebt waren, die ersehnte Sechziger-Atmosphäre zu erzeugen, zeigten Pete York's Mannen, daß ihre Lehrjahre im Hause Mayall keineswegs für die Katz waren. Keyboarder Tony Ashton intonierte seinen „Ressurection Shuffle“, größter Hit von „Ashton, Gardner and Dyke“, eine jener „Supergroups“, die damals wie Pilzköpfe aus dem Boden schossen, und am Schluß durften natürlich nicht die Spencer-Davis-Knaller fehlen: „Gimme Some Lovin'“ und „I'm A Man“, ohne Stevie Winwood zwar nicht ganz das, was sie einmal waren, aber fast.

Es folgte eine der verehrten Ikonen des Blues, Mose Allison, weißhaarig, feingliedrig und fingerfertig, der auf dem Piano seine hektischen Läufe absolvierte, die Kunst des Bluesgesanges vorführte und den Boden bereitete für den — neben B. B. King — derzeit Größten des Metiers: Buddy Guy. Früher waren die britischen Epigonen froh, wenn sie ein Lächeln oder gar ein Lob ihrer authentischen schwarzen Götter ernteten, heute verläuft der Adelungsprozeß umgekehrt. Als „besten lebenden Bluesgitarristen“ hatte Eric Clapton vor einiger Zeit Buddy Guy bezeichnet, und seither ist die 56jährige Frohnatur endlich ein gemachter Mann.

Bereits in den 50er Jahren pflegte er in Chicago mit seiner rasanten Bühnenshow solch renommierten Kollegen wie Muddy Waters oder Otis Rush die Schau zu stehlen. „You're damn right, I've got the Blues“, raunzt er im vollen Bewußtsein seines Ranges ins Mikrofon, läßt seine Stimme ins Falsett kippen und greift mit Macht in die Saiten.

Seine Sache sind jedoch nicht die eleganten, fließenden Tonfolgen eines B. B. King, sondern jene abrupten Tempiwechsel, die Bewunderer Eric Clapton sein Leben lang — mit anhörenswertem Erfolg — nachzuspielen versuchte. Mal brüllt Guys Gitarre mit orkanartiger Brachialgewalt, nur um unvermittelt mit eichkätzchenartiger Geschmeidigkeit in ein leises, jammerndes Zirpen zu verfallen, welches direkt aus den Sümpfen seines Heimatstaates Louisiana entsprungen scheint.

Wenn er seine langgezogenen, herzzerreißenden Töne spielt, von Verlassenheit und Elend singt, strahlt Buddy Guy sein breites Magic-Johnson-Lächeln, grimassiert mit seinen behenden Mundwinkeln, schreit ein völlig unpassendes „Hello, Berlin“ in den Raum, reibt die Gitarre an seinem Oberkörper, prügelt die Saiten mit dem Kabel, so wie es ihm einst Jimi Hendrix nachtat, und zitiert sogar wohlwollend dessen „Voodoo Chile“, allerdings nur kurz, schließlich war er zuerst da.

Ab und zu darf das Publikum mitsingen und ist völlig aus dem Häuschen, als das Feuerwerk des Buddy Guy verglüht, und die hausbackene Variante in Gestalt des „Königs des britischen Blues“ die Bühne betritt. Seine Cowboykluft hat John Mayall mit einem schmucklosen Unterhemd vertauscht, die gräulichen schulterlangen Haare sind auf wundersame Weise hinten um die Ohren herum frisiert, seinen „Bluesbreakers“ von heute fehlen die großen Namen, zudem muß er diesmal ohne Sandwiches und Tee auskommen. Doch Stimme, Harmonikaspiel, Intensität und Enthusiasmus sind gleich geblieben, ebenso die Musik.

Die Band spielt Songs von der neuen Platte, die alle so klingen, als habe man sie schon hundertmal gehört. Aber das macht gar nichts, mühelos vermag John Mayall die Stimmung auf dem Buddy-Guy- Level zu halten.

Blues ist eben Blues: dieselben Worte, dieselben Harmonien, dieselben Leute sogar, aber immer wieder schön.