Illegaler Bergbau in Rumänien: Das aufgegebene Revier
Früher baute Mihai Stoica Kohle ab, heute muss er für die Familie Kohle klauen. Wie einst stolze Bergarbeiter in die Kriminalität abrutschten.
URICANI taz | Eine enge Schneise zieht sich den steilen Abhang hinauf. Grauschwarz ist der Boden und wie glatt geschürft, Reste von Säcken liegen herum. "Ich lasse die Kohle in einer Plastikwanne einfach den Abhang herunterrutschen", sagt Mihai Stoica.
Er klettert den Abhang hoch. Weil er so steil ist, hält er sich an Zweigen von Bäumen und Sträuchern fest. Auf halbem Weg nach oben ist eine mächtige Buche samt Wurzel umgestürzt, etwas unterhalb davon befindet sich eine Grube. "Ein eingestürzter Stollen", sagt Stoica lakonisch. Er klettert weiter hoch.
Schließlich steht er vor seinem eigenen Stollen. Er verschnauft. Es ist still im Wald um diese Jahreszeit, von ferne dringt das Rauschen des Flusses heran. Der Ort liegt gut versteckt. Wenn Stoica hier etwas passieren würde und er wäre allein, würde niemand ihn finden. Er untersucht den Fels am Eingang. "Man muss wirklich gut aufpassen", sagt er. "Letztes Jahr ist ein Bekannter verschüttet worden. Er hat nur knapp überlebt."
Die "Nationale Steinkohle-Gesellschaft" (CNH), die im Schiltal die Zechen betreibt, steht an der Spitze der defizitären rumänischen Staatsunternehmen. Trotz mehrfachem Schuldenerlass in den 1990er Jahren arbeitet die CNH bis heute unrentabel. Letztes Jahr erwirtschaftete das Unternehmen einen Verlust von umgerechnet 160 Millionen Euro, die Gesamtschulden der CNH an den Staat betragen rund 1,3 Milliarden Euro.
Laut der im Dezember 2010 vom EU-Ministerrat beschlossenen Regelung für Steinkohlebeihilfen in der Europäischen Union müssen die Subventionen für den Steinkohlebergbau in den kommenden Jahren schrittweise abgebaut werden und ab 2018 ganz wegfallen. Das betrifft neben Steinkohlebergwerken in Deutschland und Spanien auch die rumänischen Zechen. (kv)
Stoica entdeckt einen Riss in dem spröden Schiefergestein und tritt ein paarmal dagegen. Flache Stücke platzen ab. Es wird wohl nichts einstürzen. Aber dieses Wetter mit Temperaturen um den Gefrierpunkt ist das gefährlichste. Die Nässe im Gestein taut und friert, taut und friert, und manchmal sprengt sie es.
Vorsichtig geht Stoica in den niedrigen Stollen. Er ist an die acht Meter lang und völlig ungesichert. Auch innen prüft Stoica die Wände, dann nimmt er seinen Grubenhammer aus der Umhängetasche und beginnt, Kohle aus einer Wand zu schlagen. Als genügend auf dem Boden liegt, füllt er sie in einen Plastiksack. Immer wieder hält er für einige Augenblicke inne mit der Arbeit, um auf Geräusche in der Wand zu hören. Manchmal knirscht und knackt es leise. "Der Berg ist unberechenbar", sagt er.
Am Rande des westrumänischen Schiltals, irgendwo in den Bergen: Manche Steinkohleflöze reichen hier bis fast an die Oberfläche. Mihai Stoica hat eines entdeckt. Er hat sich durch einen Meter Erde und Schiefergestein gegraben, dann war sie da, gute, reine Steinkohle. Anderthalb Tonnen hat Stoica hier letzten Herbst herausgeholt und in 40-Kilo-Säcken auf seinem klapprigen Fahrrad nach Hause gekarrt. Jetzt, seit es kalt geworden ist, gräbt er wieder.
Hohes Risiko
Der Mittdreißiger heißt in Wirklichkeit anders. Er hat Angst, seinen wahren Namen zu nennen, denn was er hier macht, ist nicht nur lebensgefährlich, sondern auch streng verboten. Illegaler Bergbau. Doch Stoica geht das Risiko ein, damit er und seine Familie im Winter nicht erfrieren.
Stoica war Bergarbeiter, von einigen Unfällen unter Tage sind ihm Narben an Hals und Kinn geblieben. Er ist seit langem arbeitslos, zu Hause hat er eine Frau und drei Kinder - fünf Personen, die von umgerechnet 50 Euro Sozialhilfe und Kindergeld im Monat leben müssen. "Holz ist sehr teuer, wir haben kein Geld dafür", sagt Stoica. "Also hole ich hier Kohle raus. Wir könnten ja sonst nicht heizen. Es ist verboten, ja, aber ich mache es aus Not."
Das Schiltal in Westrumänien liegt idyllisch eingebettet in die wilden, bis zu zweitausend Meter hohen Karpatengipfel. Doch die Gegend ist keine Urlaubsregion. In den Plattenbaughettos herrscht sozialer Notstand. Der Bergbau wird abgewickelt, weil er unrentabel ist, die Entlassenen sind auf sich selbst gestellt, Hilfe vom Staat gibt es nicht.
In der Ceausescu-Zeit förderten in den Gruben des Schiltals 50.000 Bergarbeiter Steinkohle. Die zumeist ungelernten Arbeiter waren aus allen Landesteilen gekommen, angelockt von hohen Löhnen, denn Ceausescu benötigte viel Kohle für seine riesigen Metallkombinate und Kraftwerke.
Nach dem Sturz des Diktators waren die Kumpel zunächst noch eine verhätschelte Klientel der herrschenden Wendekommunisten. Doch ab 1997 wurden die ersten Zechen stillgelegt. Zwei Jahre später brachte eine Bergarbeiterrevolte Rumänien an den Rand des Ausnahmezustands: Tausende verzweifelte Kumpel marschierten gen Bukarest, um die Regierung zu stürzen, die Machthaber ließen Panzer auffahren, nur knapp entging Rumänien blutigen Auseinandersetzungen. Noch einmal erhielten die Bergarbeiter eine Gnadenfrist, dann wurde die Zechenschließung fortgesetzt.
Zechen werden stillgelegt - Alternativen gibt es keine
Heute ist das Schiltal Rumäniens größter sozialer Brennpunkt. Etwa 6.000 Kumpel arbeiten noch in den sieben verbliebenen Steinkohlezechen. Bis 2018 will der Staat auch sie schließen. Langfristige Sozialprogramme gab und gibt es nicht. Doch die entlassenen Bergarbeiter und ihre Familien revoltieren heute nicht mehr. Sie siechen in den heruntergekommenen Wohnghettos vor sich hin, neue Arbeit vor Ort hat fast niemand gefunden.
Eine tragische und zugleich absurde Situation angesichts der Möglichkeiten, die Rumänien zur Armutsbekämpfung hätte: Aus EU-Töpfen stehen dem Land viele Milliarden Euro Fördergelder zur Verfügung, gerade auch für Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung. Doch Rumänien nutzt das Geld bisher kaum - unter allen osteuropäischen EU-Ländern ist es das Schlusslicht bei der regelkonformen Beantragung von Projektförderung. Die Auszahlungsfrist läuft bis 2015, dann verfallen nicht genutzte Beträge.
Bitterste Armut, Menschen, die auf eigene Faust nach Kohle graben - das gab es im Schiltal zuletzt in der Zwischenkriegszeit. Nun haben die Ärmsten der Armen wieder mit dem illegalen Bergbau begonnen. Niemand kennt das Ausmaß, aber man muss nicht lange durch die Wildnis streifen, um illegale Stollen zu entdecken.
Mihai Stoica hat vor zwei Jahren angefangen zu graben, zusammen mit einem Freund, auch er ehemaliger Bergarbeiter. Sie kennen sich aus, dennoch ist das Risiko hoch. Etwas oberhalb von Stoicas Stollen wurde letzten Winter ein Bekannter verschüttet. Er brach sich beide Beine und konnte sich nur mit Mühe befreien. "Ich glaube, er hat immer noch ziemliche große Gesundheitsprobleme", sagt Stoica, "seine Knie sind kaputt, so ganz wird er sich wohl nie mehr erholen."
Wieder knirscht es im Gestein. Stoica horcht auf, dann sagt er: "Raus jetzt hier, zu gefährlich." Der Sack ist halb voll, Stoica verschnürt ihn, stellt ihn in eine Plastikwanne und lässt sie den Abhang herunterrutschen. Dann steigt er hinab.
Stoica stammt ursprünglich aus einem Dorf in Südrumänien, seine Eltern waren arme Bauern und hatten neun Kinder. 1992 ging er ins Schiltal, ins Städtchen Uricani, da war er gerade achtzehn. Er fing im örtlichen Bergwerk an, 1997 hatte er bei einem Grubenunglück eine Kohlenmonoxidvergiftung und überlebte nur knapp. Seine Frau drängte ihn zu kündigen. Die Regierung hatte gerade begonnen Zechen im Schiltal zu schließen und zahlte relativ großzügige Abfindungen. Stoica kündigte. "Sie haben versprochen, dass sie Arbeitsplätze schaffen, in Möbelfabriken und im Tourismus", erinnert er sich, "alles sollte viel besser werden."
Von der Abfindung bezahlten die Stoicas ihre Schulden beim Elektrizitätsunternehmen und kauften einen neuen Kühlschrank. Eine dauerhafte Arbeit fand Stoica nicht, seine Familie hielt er mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er war Verkäufer und Straßenfeger, Tagelöhner bei Bauern und Hilfsarbeiter auf dem Bau, sammelte Pilze und Waldfrüchte. Ein Schicksal, das er mit vielen anderen in Uricani teilt. In der Zeche Uricani arbeiten noch 830 Leute, die Arbeitslosigkeit im Städtchen liegt bei 70 Prozent. "Ich habe all den Versprechungen damals geglaubt", sagt Stoica, "heute bedauere ich, dass ich gekündigt habe."
"Tal der Tränen"
Die Stoicas wohnen in einem der vielen verwahrlosten Fünfziger-Jahre-Wohnblocks von Uricani. Einst sollte das Viertel im Stil des Stalin-Barocks eine lichte Zukunft verheißen. Übrig geblieben sind bröckelnde Fassaden, Dächer, durch die es hineinregnet, innen Schwamm und Schimmel.
Auch in der kleinen Zweizimmerwohnung der Stoicas riecht es nach Schimmel. Es sieht aus, als sei die Familie hier nur vorübergehend untergebracht. Es gibt ein Bett, ein paar Stühle, einen Tisch, einen Fernseher, die Wände sind ohne Bilder, der Flur hat keine Garderobe. Der 5-jährige Sohn schläft mit seinen Eltern im Ehebett, die 12-jährige Tochter und ihr 8-jähriger Bruder klappen jeden Abend die Couch im Wohnzimmer auseinander.
Stoicas Frau Ioana steht am Herd und frittiert Kartoffelspalten, an diesem Tag das Mittagessen. Lächelnd und mit stolzem Gleichmut spricht sie über ihr Leben. "Viele nennen das Schiltal auch Tal der Tränen", sagt sie, "aber wir können uns nicht aussuchen, wo wir leben. Eigentlich möchten wir unseren Kindern eine gute Bildung bieten, aber weiter als bis zum jeweiligen Tag können wir nicht denken."
Es hat begonnen zu regnen, es ist kühl in der Wohnung. Mihai Stoica geht in den Keller und holt Kohle, um zu heizen. In einem Verschlag lagert, was er aus dem Berg geholt hat, rohe Steinkohle, viele kleine fett glänzende Stückchen, viel Staub. Stoica schaufelt einen Eimer voll und legt noch ein paar Holzspäne dazu.
Oben, im Ofen, glimmt bald ein Kohlefeuer. Manchmal, wenn die Stoicas kein Geld haben, um eine neue Füllung ihrer Propangasflasche zu bezahlen, kochen sie in der Backröhre des Ofens. Mihai Stoica starrt ins Feuer. Er will versuchen, in Spanien Arbeit in der Landwirtschaft zu finden, aber er weiß nicht, wie er das Fahrgeld zusammenbekommen soll. "Es sind schwere Zeiten", sagt er. "Die soziale Sicherheit der Leute zählt überhaupt nichts mehr. Es wurde so viel versprochen und nichts getan. Wir fühlen uns betrogen."
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