Illegale Tunnel in Gazastreifen: "Wir buddeln weiter"
Ägyptische Schmuggler erzählen, wie das Geschäft durch die illegalen Tunnels in den Gazastreifen funktioniert.
Treffpunkt: ein Olivenhain in der Nähe des ägyptischen Grenzortes Rafah, höchstens einen Kilometer Luftlinie vom Gazastreifen entfernt. Eine Gruppe ägyptischer junger Männer hat auf dem sandigen Boden ein paar bunte Decken ausgebreitet. Ein rostiges Fass mit glimmender Kohle ist in den Boden eingelassen. Dort wird auf lokale Beduinenart der Tee zubereitet.
Die vier Männer haben ihre Gesichter mit ihren Kufijas vermummt, den schwarz- und rotkarierten Kopftüchern. Sie alle stecken im lukrativen Schmuggelgeschäft an der 14 Kilometer langen Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, die mit hunderten von Schmuggeltunnels unterzogen ist. Manchen sprechen gar von mehreren tausend Gängen. Was genau unter der Erde zwischen Ägypten und dem Gazastreifen vor sich geht, das wissen nur die Schmuggler.
"Ich habe zwei Tunnels", beginnt einer von ihnen, nennen wir ihn Abu Hammameh. "Es ist ein ausgezeichnetes Geschäft, und gleichzeitig unterstützen wir die Palästinenser auf der anderen Seite. Stolz und nur mit seinen blitzenden Augen zu sehen, zählt er auf, was so alles durch die Tunnelgänge auf die andere Seite geliefert wird: Kochgasflaschen, Diesel, Benzin, Babywindeln, alle Arten von Nahrungsmitteln. "Wir verschieben einfach alles, was die Leute brauchen. Wir haben sogar schon lebende Kühe und Ziegen, Kühlschränke und Waschmaschinen unterirdisch angeliefert. Eben alles, womit man Geschäfte machen kann", sagt er. Nur keine Menschen und keine Drogen.
Drogen, das sei haram, islamisch verboten, die liefere er höchstens an Israel, meint er. Und Waffen? "Das ist nicht haram, schließlich helfen die den Palästinensern und dem Widerstand." Weiter ausführen will er diesen Punkt jedoch nicht. Dennoch ist es kein Geheimnis, dass über diese Gänge auch der Waffennachschub an die Hamas läuft.
Seit dem Krieg in Gaza stockt der unterirdische Handel. "Im Moment können wir nichts herüberbringen, auch wenn dort mehr denn je benötigt wird", erklärt Abu Hammameh. Oft schickten sie ihren eigenen Verwandten auf der anderen Seite etwas, aber auch das klappt derzeit nicht. "Das trifft uns natürlich, aber wir haben gute Rücklagen. Vielmehr sorgt uns, dass wir noch nicht einmal unseren eigenen Verwandten helfen können", sagt er.
Die israelischen Angriffe der letzten zwölf Tage hatten mehr als einmal den sogenannten Philadelphi-Grenzkorridor und die Tunnels zum Ziel. Diese sind der wichtigste Nachschubweg der islamistischen Hamas, zugleich sind sie die Lebensader für die Bevölkerung in Gaza seit Beginn der nun seit zwei Jahren andauernden israelischen Wirtschaftsblockade. Bereits mehrere "Bunker-Buster" wurden in den vergangenen Tagen auf das Grenzgebiet abgeworfen. Das sind Bomben, die unterirdisch explodieren. Ihre Druckwellen sollen die Geheimgänge zum Einsturz bringen. Das Militär will damit alle Tunnels zerstören, so das erklärte Ziel. Abu Hammameh gibt sich gelassen. "Ihre Raketen treffen uns nicht. Sie haben keine Ahnung, was unter der Erde geschieht", sagt er. "Sie treffen etwas, na und, dann buddeln wir eben wieder von neuem", meint er trotzig.
Das Tunnelsystem ist auch Gegenstand der gegenwärtigen Bemühungen um einen Waffenstillstand. Israels Regierung pocht darauf, dass keine neuen Gänge entstehen dürfen. "Die Frage der Wiederbewaffnung ist fundamental", sagte ein hochrangiger israelischer Regierungsvertreter. Die Hamas solle nicht wieder aufrüsten können, wie es die schiitische Hisbollah nach dem Libanonkrieg im Jahr 2006 getan habe.
Auch der israelische Regierungssprecher Mark Regev betonte am Montag, dass für dieses Problem praktikable Lösungen gefunden werden müssten, bei denen Israels internationale und regionale Verbündete eine Rolle spielen sollten. Die Europäer wollen internationale Beobachter am Grenzübergang Rafah stationieren. Israel fordert dagegen "internationale Beobachter" mit einer Bewaffnung, die es ihnen ermöglicht, selbst die Tunnel zu zerstören. Für Abu Hammameh in Rafah ist dieses Gerede weit weg. Israel müsse langsam begreifen, dass der Schmuggel in dieser Gegend das einzige Einkommen sei und dass das Geschäft schon allein deshalb nicht aufgegeben werden könne, sagt er. "So einen Tunnel zu bauen kostet immerhin 150.000 Dollar, wenn er nicht allzu lang ist. Aber jeder Gang bringt bis zu 50.000 Dollar im Monat ein", rechnet Hammameh vor. Gegraben werde immer von der palästinensischen Seite aus. "Die haben da richtige Spezialisten", schwärmt Abu Hammameh. "Wir machen aus, wo der Gang herauskommen soll, und wenn er fertig ist, liefern wir die gewünschten Waren an den Eingang auf unserer Seite", berichtet der ägyptische Schmuggler. Wenn die Palästinenser anfangen zu graben, dann hinterlassen sie alle zehn Meter ein Zeichen. Wie das genau funktioniert, bleibt ein Betriebsgeheimnis. "Wir melden dann herüber: noch etwas weiter nach links oder etwas weiter nach rechts."
Der Bau dauert je nach Länge des Tunnels ein bis zwei Monate. Israel ist bisher ratlos, wie es dem Schwarzhandel durch die unterirdischen Gänge beikommen soll. Einmal, erzählt Abu Hammameh, gab es Pläne, den Grenzstreifen mit einem Kanal zu überfluten, "Ein Suezkanal in Rafah", lacht er. Palästinensische Ingenieure hätten den Tunnelbetreibern die Pläne zugespielt. "Seitdem arbeiteten wir daran, mit welcher Technik Tunnels unterhalb des Wassers ausgehoben werden könnten, falls es zu einer solchen Flutung käme", verrät Abu Hammameh.
Momentan arbeitet Israel an den Plänen einer unterirdischen Mauer, die auf der ägyptischen Seite errichtet werden soll. Doch dieses Vorhaben dürfte wohl Monate dauern - und die Zustimmung der Regierung in Kairo ist ungewiss.
Zumindest könnte die Hilfe von Spezialeinheiten der US-Armee in Anspruch genommen werden. Erste US-Reaktionen dazu seien positiv. Abu Hammameh winkt ab. "So tief können die gar keine Mauer bauen, dass wir nicht darunter hinweggraben könnten." Und notfalls fände man ein anderes Transportsystem, das eine illegale Versorgung der Menschen in Gaza ermögliche. Sein Freund, nennen wir ihn Abu Zeitun, zieht Bilanz des Treffens der Tunnelbetreiber im Olivenhain: "Was immer sie sich ausdenken, Mauer oder Kanal, wir werden uns ebenfalls etwas Neues ausdenken." Eins sei sicher: "Auch der jüngste israelische Angriff auf den Gazastreifen geht einmal vorbei."
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