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„Ihr kommt der Reihe nach dran“

Aurich galt als „Fascho-frei“ / Jetzt steht die gesamte linke Szene auf der „Abschußliste“ des Neonaziblattes „Der Einblick“ / Stimmung im Jugendzentrum zwischen Furcht und Trotz  ■ Aus Aurich Bernhard Pötter

Aurich wartet aufs Christkind: Am Marktplatz ist der obligatorische Weihnachtsrummel aufgebaut. Die große Holzkrippe in der blitzsauberen Fußgängerzone beherbergt bereits ein paar Hirten im Heu, in der Luft vermischen sich Gebäckduft und Weihnachtsmusik. Aber Aurich wartet noch auf etwas anderes: „Noch vor Weihnachten soll es hier einen Großangriff der Nazis mit 500 Mann geben“, sagt der Kellner im Bistro. „So wie damals im Mai, nur eben fünfmal soviel Leute.“

Damals, am 8. Mai, das war der Überfall von hundert Neonazis auf das Jugendzentrum „Schlachthof“. Nach einem Treffen in Oldenburg hatten sich die Rechten auf den Weg nach Aurich gemacht, die Polizei ausgetrickst und ein Kinderfest mit ausländischen Gästen im „Schlachthof“ angegriffen. Es kam zu Schlägereien zwischen den Neonazis und „Antifa-KämpferInnen“.

Seitdem herrschte Ruhe in Aurich. Eine Ruhe vor dem Sturm, wie es scheint. Denn Ende November wurde der regionale Konflikt ein bundesweiter: In der rechten Kampfschrift „Der Einblick“ veröffentlichte die „Anti-Antifa Nord“ eine Namens- und Adressenliste der linken Szene in Aurich: fast 70 Namen mit Adressen und Telefonnummern, die in einer 35.000-Einwohner-Stadt fast lückenlos die linke Szene erfaßt. Der „Einblick“ verrät auch die Einschätzung, die das Jugendzentrum und die größtenteils jugendlichen „Angriffsziele“ in rechten Kreisen genießen: „Bei der Auricher Antifa handelt es sich um eine Clique subkultureller Schläger.“ Ein Flugblatt droht: „Ihr kommt der Reihe nach dran! Gezielte Aktionen gegen das Jugendzentrum sind nicht auszuschließen.“

Im Jugendzentrum, einem alten Gebäudekomplex mit Café, Fotolabor, Übungsräumen für Bands, viel altem Mobiliar und Graffitis an den Wänden, schwankt die Stimmung zwischen Furcht und Trotz: „Einige sehen das mit der Liste gelassen, andere schieben ganz schön Panik“, sagt Frank*. Aurich hat den Ruf, die „Faschos aus der Stadt vertrieben zu haben“, meint Benny. In den vergangenen Jahren hatte die Antifa-Szene aus dem Jugendzentrum die ostfriesische Kleinstadt fest in der Hand, kontrollierte die Straßen und reagierte schnell und keineswegs zimperlich auf Provokationen von rechts: Körperverletzungen und Sachbeschädigungen, erzählt die Polizei, waren häufig. Trotzdem nehmen die Antifa-Kämpfer die Drohung ernst: Bisher kannten sie ihre Gegner in Aurich, wo sowieso jeder jeden kennt. Die „Bauernfaschos“ hatte man im Griff. „Aber diese bundesweite Liste kann zum Selbstläufer werden“, sagt Benny. „Die haben irgendwas vor. Vielleicht wollen sie einen von uns umbringen“, meint Frank.

Eine „erhöhte objektive Gefährdung“ sieht Kriminaldirektor Rolf Sprinkmann für die Menschen auf der Liste nicht: „Diese Listen gab es früher schon hier bei uns“, meint er. Bisher habe sich am Kräfteverhältnis in Aurich („10 Rechte gegen 70 Antifa-Leute“) nichts geändert. Nach seiner Kenntnis sei noch niemandem auf der „Einblick“-Liste etwas passiert. Das sehen die Betroffenen anders: „Es geht langsam los“, heißt es. Gerade die bundesweite Verbreitung ihrer Namen, Adressen, Telefonnummern, Autokennzeichen und anderer Details macht ihnen Sorgen. Einzelne haben bereits Ärger: „Telefonterror mitten in der Nacht, das ist ja nichts Neues. Dann aber haben mich welche im Auto verfolgt, überholt und versucht, mich von der Straße abzudrängen“, erzählt Frank. „Mir haben in meiner Hauseinfahrt zwei riesige Naziglatzen, die ich noch nie gesehen hatte, aufgelauert, als ich abends nach Hause kam. Ich bin gerade noch so weggekommen“, meint Heiko.

Ein 17jähriges Antifa-Mitglied, von den Neonazis als „Kopf der Antifa“ betrachtet und ebenfalls auf der „Abschußliste“ im „Einblick“, wurde vor einigen Wochen überfallen. Seitdem hält er sich versteckt und ist „irgendwo in Deutschland – der kommt nicht mehr zurück nach Aurich“, so seine Freunde.

Aurich habe eine „sehr straff organisierte linke Szene“ und „eine rechte Szene, die sich gerade anstrengt, diesen Organisationsgrad zu erreichen“, meint die Polizei. Da ist Hans-Herrmann Frobenius, Redakteur bei der Lokalzeitung Ostfriesische Nachrichten und selbst als Angriffsziel der Rechten aufgelistet, ganz anderer Ansicht: „Die rechte Szene hier ist viel straffer organisiert, als man denkt. Vor allem kennen wir überhaupt keine Namen.“ Zur Überraschung der Kripo tauchte in Aurich vor einem Jahr der verbotene rechtsradikale „Deutsche Kameradschaftsbund“ auf. Auch Frobenius erwartet einen Aufmarsch der Neonazis noch in diesem Jahr: Obernazi Worch aus Hamburg habe ihm gegenüber zugegeben, daß der Konflikt um das Jugendzentrum in Kürze eskalieren werde. „Ich nehme Worch sehr ernst“, sagt der Journalist.

Von einem bevorstehenden Marsch auf Aurich hat dagegen die Kripo keine Ahnung: „Wenn die Rechten könnten, würden sie kommen, aber die kriegen keine 500 Mann zusammen.“ Personenschutz für die Leute auf der Liste sei überhaupt nicht machbar, es werde aber verstärkt Streife gefahren, versichert Sprinkmann. „Der tut so, als bekäme jede Familie zu Weihnachten einen eigenen Polizisten geschenkt“, heißt es im Jugendzentrum. Warum ist gerade das kleine Aurich so prominent im „Einblick“ vertreten? Neben der Erklärung „Zufall“ fällt Kriminaldirektor Sprinkmann eine taktische Erklärung ein: Obernazi Worch habe höchstpersönlich erklärt, Ostfriesland sei eines der Ziele der Rechten. Da wolle man vielleicht die künftigen Gegner ins Visir nehmen. Benny von der Antifa ist da konkreter: „Wir sind denen doch ein Dorn im Auge, weil wir es hier geschafft haben, die Faschos kleinzuhalten.“ Der Ruf von Aurich als linker Hochburg schreckt einerseits rechte Gegner ab, andererseits fordert er zum Kräftemessen auf.

„Abstrakt gesehen ist es die gleiche Angst wie vorher. Aber konkret ist die Bedrohung größer, weil jetzt Leute von außerhalb kommen und uns ganz individuell zu Hause angreifen können“, meint Benny. Auch in Franks Augen ist Aurich ein Präzedenzfall: „Es gibt so viele Legenden über die Antifa Aurich bei den Rechten, das ist für die ein Prestigeding, uns anzugreifen.“ Womöglich erweist sich der Ruf der Auricher Antifa als Bumerang. „Einerseits hat uns unsere Gewaltbereitschaft Freiräume geschaffen und die Nazis aus dem Stadtbild vertrieben“, sagt Benny. „Aber Druck erzeugt immer Gegendruck. Wir haben eigentlich gar keine Lust, uns mit den Nazis zu prügeln – das soll die Polizei machen. Aber das klappt ja nicht.“

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