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Ideologisch oder nicht

MOPO-Anschlag

Wie dürftig und instabil die ideologische Grundlage für Anschläge sein kann, dafür bietet der Hamburger Prozess gegen die Morgenpost-Zündler soziologisch faszinierende wie beunruhigende Belege. Am Donnerstag, den 20. Juli, wird die Jugendkammer des Landgerichts ihr Urteil über die vier Angeklagten verkünden.

Für einen von ihnen hat die Verteidigung Freispruch beantragt. Bei den drei anderen unterscheidet sich die Einschätzung der Anwälte nur in Nuancen von der Forderung der Anklagebehörde: Freiheitsstrafen zwischen zwölf und 24 Monaten, jeweils zur Bewährung. Die Angeklagten, heute zwischen 20 und 22 Jahre alt, zur Tatzeit noch Heranwachsende, sind nach dem Jugendgerichtsgesetz zu beurteilen.

Einer der vier hat behauptet, die anderen hätten ihm bloß ihre Handys übergeben, um nicht geortet werden zu können. Die übrigen haben schon zu Prozessbeginn vor vier Monaten Teilgeständnisse abgelegt. In der Nacht zum 10. Januar 2015 hatten zwei von ihnen vergeblich versucht, in der Max-Brauer-Schule in Altona mit Molotow-Cocktails Feuer zu legen, tags drauf waren sie zur Mopo-Redaktion gezogen, wo sie zunächst die Scheibe zu einem Archivraum einschmissen und dann Brandsätze hinterherwarfen. Die Dokumente in den Regalen fingen Feuer, das Gebäude nicht: juristisch ein wichtiger Unterschied, denn sonst wäre es schwere Brandstiftung gewesen. Und nicht nur der Versuch.

Beide Taten haben sich laut Staatsanwaltschaft gegen Mohammed-Karikaturen gerichtet, die die Mopo abgedruckt hatte.

Aber während einer der Angeklagten behauptet, so wodkatrunken gewesen zu sein, dass er zur Tatzeit nicht einmal die Kurzworte „Molli“ und „Mopo“ sinnvoll habe zuordnen können, beteuert ein anderer, die Zeichnungen seien ihm eher gleichgültig gewesen. Der jüngste räumt Religion nach eigenen Angaben keine größere Bedeutung ein.

Gleichwohl belegen Abhörprotokolle durchaus einen tiefer gehenden Zorn über die Witzbilder, und alle vier standen im Whatsapp-Kontakt mit dem nach Syrien gezogenen IS-Kämpfer Florent alias Bilal: Mittlerweile ist der junge Mann tot, angeblich seit Juli 2015, möglicherweise von seinen Mitstreitern ermordet. Auf einer vom Hamburger Verfassungsschutz veröffentlichten Audiodatei hat der 17-Jährige, desillusioniert, seine Abrechnung mit der Terrormiliz hinterlassen. bes

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