: Identifikation und Distanzierung
An der Peripherie des Konkreten: Gabriele Münter. Eine Retrospektive in Berlin ■ Von Thomas Fechner-Smarsly
Eine pompöse Erscheinung, selbstbewußt, herrisch, reich gekleidet, mit einem Hut wie ein Wagenrad: So lautet Gabriele Münters verbale Vorgabe für das Bildnis ihrer Künstlerkollegin Marianne von Werefkin. Es wurde eines ihrer stärksten Bilder. Das Gesicht, vom Hut überschattet, bekommt durch die oliv-violette Tönung etwas Dämonisches, der Blick, abwartend und kokett zugleich, fordert sein Gegenüber heraus. Während sich die Blumengebinde in leuchtenden, beinahe glühenden Farben auf dem Medusen- Hut ringeln, gefriert darunter die weiße, von einem violetten Schal eingefaßte Fläche des Körpers – ein erstarrter Wasserfall.
Das Kalt-Heiße des Bildes widerlegt nicht nur jedes Klischee „weiblicher Kreativität“ und dessen Unterstellungen von naiver und sorgloser Improvisation, vom natürlichen Instinkt für die Form und dem Harmoniebedürfnis des Ausdrucks. Lauter liebe Vorstellungen, denen Gabriele Münters Werk lange Zeit ausgesetzt war – und noch ist. An diesem Bild zeigt sich die Spannung und das Spiel zwischen einer fast schrillen Extrovertiertheit (in den Farbflächen) und einer nahezu verschlossenen, feinkolorierten Innerlichkeit, wie sie auch in Münters späteren Frauenbildnissen wiederkehrt, allerdings nur selten mit dieser Intensität, diesem Mut, die Widersprüche offen in die Darstellung zu verlegen; vor allem die Spiegelung in der Person der anderen, jener schwer zu fassende und leicht zu leugnende Moment der Identifikation. Die späteren Frauenbildnisse distanzieren sich stärker („Anna Roslund“, 1917) oder sie maskieren ihre eigene Pychologie wie in „Zukunft (Dame in Stockholm)“, ebenfalls aus dem Jahre 1917, der Zeit des Kriegsexils in Skandinavien. Allein die Blumenarrangements übernehmen hier noch – in einer spät–symbolistischen Geste – den Ausdruck eines inneren Schwankens zwischen Hoffnung und Angst. Die Frau auf dem Bild, ihr leerer Blick – der ein Blick ins Leere ist – gerät so zur bloßen Chiffre für diesen Prozeß, aber das Wechelspiel bleibt aus.
Das Bildnis Marianne von Werefkins entstand in der Murnauer Zeit (1909). Gabriele Münter hatte zusammen mit Wassily Kandinsky ein Haus in dem kleinen Dorf im Voralpenland gekauft, und man verbrachte den Sommer gemeinsam mit den Freunden Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin. Für Münter wurden die Aufenthalte dort zum entscheidenden Einfluß. „Immer mehr erfaßte ich die Klarheit und Einfachheit dieser Welt. Besonders bei Föhn standen die Berge als kräftiger Abschluß im Bilde, schwarzblau. Dies war die Farbe, die ich am meisten liebte.“ Sie gab den kleinteiligen, gespachtelten Spätimpressionismus auf, griff zum Pinsel und entwickelte für sich jene Reduktion der Formen mit ihrem expressiven Lichtspiel, das die Malerei des „Blauen Reiters“ insgesamt auszeichnete. Gerade ihre Landschaften und Stilleben hat sie bis an die Grenze zur Abstraktion reduziert. Aber im Gegensatz zu Kandinsky vollzog sie nicht den entscheidenden Schritt, sondern hielt sich diesseits der gegenstandlosen Welt. Experimente wie etwa die „Abstrakte Studie“ von 1915 wirken unbeholfen und zerfahren – nachgemacht. Es war im Grunde nicht ihre Sache – und sie schien das auch zu wissen, denn es blieb bei wenigen, meist kleinformatigen Versuchen. Vielleicht waren sie auch nur eine Art Zugeständnis an Kandinsky. Nachdem sie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges in die Schweiz geflohen waren, ging er zurück nach Petersburg, Münter hingegen nach Stockholm, wo er sie zwar noch einmal besuchte, aber die Trennung war längst vollzogen.
Für Gabriele Münter brachten die skandinavischen Jahre nicht nur die Lösung ihrer Beziehung mit Kandinsky, sondern auch die Isolation von den künstlerischen Entwicklungen auf dem Kontinent. Zwar hatte sie Kontakt zu einigen schwedischen Malern, stellte auch aus, aber das konnte niemals den regen Austausch ersetzen, der zuvor in der „Neuen Künstlervereinigung München“ (NVKM) und später im „Blauen Reiter“ stattgefunden hatte.
Die Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, eine Übernahme aus dem Münchner Lenbachhaus, ist durchaus bemüht, die Malerei jener Krisenjahre aufzuwerten; aber die Bilder geben zuwenig her. Manche geraten niedlich, andere suchen Halt in der Neuen Sachlichkeit, wie noch eines der besten, die „Sinnende II“ (1928). Und auch die dreißiger bis fünziger Jahre bringen im günstigeren Fall gelungene Wiederholungen. Erstaunlich aber sind die Zeichnungen der zwanziger Jahre. Sie zeigen, in einem anderen Medium, das beschriebene Phänomen, die Mischung aus Verletzbarkeit und Selbstbewußtsein. Mit frappierender Sicherheit, aber auch mit Finesse hat Münter ihre „Lesende (Der Brief)“ 1927 auf dem Blatt plaziert. Die introvertierte Haltung der Frau, der innere Kreis, den die Arme zwischen Augen und Brief schließen, wird aufgerissen durch die raum- und bildgreifende Geste der gespreizten Beine, deren artifizieller Effekt noch gesteigert wird durch die gedrängte Perspektive und den geschickten Anschnitt des Sessels, dessen gekappte Form das Bild nach oben öffnet. Ein Mut zur Synthese und zum künstlerischen Spagat, wie er sich bei Malern jener Zeit ganz selten findet.
„Gabriele Münter 1877–1962. Retrospektive“. Staatliche Kunsthalle Berlin. Katalog 44 DM. Bis zum 22.8.
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