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Ideale Herrschaft

Das Vorbild der Mediendemokratie und die alte Theorie der ruhigen Hand: Niccolò Machiavellis „Der Fürst“ bestimmt die Prinzipien des Kanzlers

von RALPH BOLLMANN

Rudolf Scharping kann sich die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm der SPD eigentlich sparen. Denn die Prinzipien, nach denen Kanzler Gerhard Schröder regiert, sind an anderer Stelle bereits viel präziser zusammengefasst – und soeben neu erschienen. Das schmale Bändchen stammt aus der Feder des florentinischen Philosophen Niccolò Machiavelli und trägt den Titel „Der Fürst“.

Dieser Titel ist Programm. Nicht irgendwelche politischen Inhalte stehen im Mittelpunkt des Buchs, sondern die Person des Herrschers. Machiavelli geht es wie Medienkanzler Schröder primär um die Frage, wie sich die Regierenden in der Öffentlichkeit darstellen müssen, um die Macht zu erwerben und zu erhalten. Noch dazu präsentiert der Autor diese Handlungsanweisungen für erfolgreiches Regieren in einer Form, die für unsere Häppchengesellschaft höchst verdaulich ist. Wer das Wesentliche erfahren will, braucht nur die Kapitel 15 bis 24 zu lesen. Sie nehmen nicht mehr als 40 Druckseiten ein.

Sogar die neueste Volte der Schröder’schen Strategie, die „Politik der ruhigen Hand“, lässt sich auf Machiavelli zurückführen. Mit allzu großer Reformfreude, das war auch dem Florentiner schon klar, kann sich ein Herrscher beim Volk nur unbeliebt machen: „Der Neuordner hat alle die zu Feinden, die sich in der alten Ordnung wohlbefinden, und laue Mitstreiter in denen, welche bei der Neuordnung zu gewinnen hoffen.“ An Neues glaubten die Menschen nicht eher, als bis sie es „mit den Händen greifen können“.

Wie Schröders liebster Meinungsforscher Manfred Güllner könnte sich auch Machiavelli nicht vorstellen, dass ein Kanzler bei der Bundestagswahl über seine falschen Konjunkturprognosen stolpern würde. „Ein kluger Herrscher kann und soll sein Wort nicht halten“, schreibt Machiavelli – vor allem dann nicht, wenn „die Gründe, aus denen er es gab, hinfällig geworden sind“. Von einer öffentlichen Rücknahme seiner Versprechen, wie Schröder sie jüngst im Stern vollzog, hätte ihm der Florentiner Machtexperte allerdings abgeraten. Der Fürst müsse es verstehen, seine Wortbrüchigkeit „geschickt zu verhehlen“, kurz: Er muss „in der Verstellung und Falschheit ein Meister“ sein.

Solch ein schauspielerisches Talent spricht dem Kanzler niemand ab. Probleme bekam er immer nur dann, wenn er es nicht genügend zum Einsatz brachte – und sich ganz unverstellt als der Machtmensch präsentierte, der er nun einmal ist. Öffentlich Zigarren rauchen, die moderne Insignie des Machtmenschen: Das ist schlecht.Tatkraft demonstrieren und Holzmann retten: Das ist gut.

Mit Ulrich Wickerts Tugenden, so lautet die Botschaft, kommt ein Herrscher nicht weit. Ohne sie allerdings auch nicht: Er muss in der Öffentlichkeit wenigstens so tun, als würde er sie beachten. Ganz nach dem Vorbild des Machiavellisten Helmut Kohl, der alle Personen seiner Umgebung gnadenlos ausnutzte, vom Kronprinzen Wolfgang Schäuble bis zur Ehefrau Hannelore – um in der Öffentlichkeit ungeniert von christlichen Werten zu fabulieren. Für Kohl gilt gemäß Niccoló Machiavelli: Ein Fürst kann nun mal „nicht alles das beachten, was bei anderen Menschen für gut gilt“.

Man glaubt es kaum: Sogar mit seiner Sparpolitik, deren machterhaltende Wirkung anfangs sehr in Frage stand, kann sich Schröder auf machiavellistische Prinzipien berufen. „Ein kluger Fürst darf den Ruf der Knauserei nicht fürchten“, heißt es in dem Büchlein. „Denn mit der Zeit wird man ihn doch stets für freigebig halten, wenn man sieht, dass er bei seiner Sparsamkeit mit seinen Einkünften auskommt.“ Der Opposition hingegen rät Machiavelli zu üppigen Wahlversprechen. Sollte die Union wider Erwarten die Wahl gewinnen, dann muss sie – siehe oben – ihr Wort ja nicht halten.

Sind Schröder oder Kohl nun schlechte Menschen, weil sie nach solch niederträchtigen Prinzipien verfahren? Weit gefehlt. Nicht der Politiker ist für Machiavelli der Übeltäter – sondern die Öffentlichkeit, die ihm leichtgläubig folgt: „Die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr dem Eindruck des Augenblicks, dass der, welcher sie hintergeht, stets solche findet, die sich betrügen lassen.“ Da spricht die Enttäuschung des überzeugten Republikaners über seine Mitbürger im Florentiner Stadtstaat, die dem schönen Schein der Medici erlagen und ihnen die überkommenen Institutionen leichtfertig auslieferten.

Auch in der Geschichte der vergleichsweise idyllischen Bundesrepublik waren bislang nur Politiker erfolgreich, die sich mehr oder weniger machiavellistischer Methoden bedienten – ob sie es offen zur Schau stellten oder nicht. Ihre Chance auf einen Wahlsieg bekam die SPD erst, als ihr der neue Vorsitzende Oskar Lafontaine auf dem Mannheimer Parteitag 1995 wieder den Willen zur Macht einpflanzte. Politiker wie Björn Engholm, die an das gute Leben ebenso glaubten wie an das Gute im Menschen, waren mit ihrem Latein schnell am Ende. Die Schönwetterpolitik der deutschen „Toskana-Fraktion“ wäre dem toskanischen Autor ein Graus gewesen.

Ein moralischer Rigorismus, der sich nicht die Hände schmutzig machen will, ist für Machiavelli im Grunde unpolitisch: „Ein Mensch, der in allen Dingen nur das Gute tun will, muss unter so vielen, die das Schlechte tun, notwendig zugrunde gehen.“ Machiavelli glaubte nicht an den Fortschritt in der Geschichte, sondern an die zyklische Wiederkehr des Immergleichen. Politische Klugheit bestand für ihn darin, „das geringere Übel als Vorteil zu betrachten“ – und die kurzen Zeitspannen von Freiheit, Stabilität und Wohlstand ein bisschen zu verlängern.

Machiavelli war der Erste, der nicht mehr in mittelalterlichem Geist beschrieb, wie Politik idealerweise sein sollte. Er analysierte sie, wie sie tatsächlich war. Damit wurde er zum ersten Politikwissenschaftler – und begründete gleichzeitig seinen schlechten Ruf. Wie Marx die Funktionsweise des Kapitalismus durchleuchtete oder Clausewitz die Dynamik des Krieges, analysierte Machiavelli die Mechanismen der Macht. Alle drei wurden zu Unrecht für die Abgründe verantwortlich gemacht, in die sie das Publikum blicken ließen.

Machiavellis Pragmatismus in „Der Fürst“ war allerdings nicht wertneutral. Er stand im Dienst der republikanischen Ideale, denen der Philosoph in seinem zweiten Hauptwerk, den „Discorsi“, ein Denkmal setzte. Am Beispiel des antiken Rom analysiert er dort ausführlich die Chancen und Gefährdungen dieser Staatsform – und warnt davor, sie zu einem leeren Gehäuse verkommen zu lassen. Wenn die Berliner Machthaber schon solchen Gefallen am Machiavellismus finden, dann sollten sie auch in dieses zweite Buch hineinschauen.

Niccolò Machiavelli: „Der Fürst“, 170 Seiten, aus dem Ital. von Fr. v. Oppeln-Bronikowski, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001, 15 DM (7,50 €)

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