piwik no script img

„IchkonntemeinenFilmbarfußdrehen“

Justine Bauer ist auf einem Bauernhof groß geworden. Ihr Film „Milch ins Feuer“ spielt im Hohenlohischen, wo sie selbst herkommt. Er handelt von jungen Frauen, die auf dem Land bleiben wollen

An Stadt ist sie gar nicht so sehr interessiert, und Dreharbeiten dort hat Justine Bauer als sehr anstrengend erlebt

Interview Leonore KoglerFotos David Klammer

taz: Frau Bauer, Ihr Abschlussfilm an der Kunsthochschule spielt auf einem Bauernhof in Hohenlohe, der Gegend, aus der Sie selbst kommen. Wo liegt das genau?

Justine Bauer: Das ist in Baden-Württemberg, im Landkreis Schwäbisch Hall. Viele denken, das sei Schwaben und der Dialekt sei schwäbisch, aber eigentlich ist es ist hohenlohisch.

taz: Es ist gar nicht so eindeutig, wo diese Region eigentlich anfängt und endet. Wo grenzen Sie denn Hohenlohe ab?

Bauer: Ich grenze Hohenlohe glaube ich immer zu Bayern ab, aber für mich ist das vor allem einfach da, wo ich herkomme. Ich kann es gar nicht so genau sagen. Das ist eher so eine gefühlte Grenze, die natürlich auch abhängig davon ist, wie die Leute sprechen. Man merkt immer den Vibe von einer Region und es gibt eben auch den Hohenlohe-Vibe.

taz: Wie sind Sie aufgewachsen?

Bauer: Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat 27 Einwohner. Meine Eltern haben einen Bauernhof. Auf dem Hof mussten ich und meine Geschwister schon auch mithelfen. Der Hof meiner Großeltern war in der Nähe, die hatten Schweine. Es war oft so ein Wechsel zwischen unserem Hof und dem Hof meiner Großeltern. Zum Beispiel in den Sommerferien war ich oft bei den Schweinen.

taz: Was haben Sie dort gemacht?

Bauer: Ich habe schon immer im Stall geholfen, aber das habe ich gerne gemacht. Irgendwann war mir schon auch langweilig, deswegen habe ich dann viel gelesen. Ich denke, deswegen bin ich später auch in diese künstlerische Richtung gegangen.

taz: In Ihrem Film geht es um junge Frauen, die auf dem Land bleiben wollen. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Bauer: Es gibt so große Vorurteile gegenüber dem Ländlichen und gegenüber der Landbevölkerung. Im akademischen Kreis war ich eigentlich immer die Einzige, die vom Bauernhof gekommen ist. Und dann habe ich bemerkt, dass in Filmen immer die gleichen Geschichten erzählt werden: Eine Figur vom Land wandert in die Stadt aus und entwickelt sich dort. Aber nur ganz selten gibt es Personen, die auf dem Land bleiben und da erwachsen werden. Auch wenn es das in der Realität tausendfach gibt.

taz: Welchen Vorurteilen sind Sie begegnet, als Sie nicht mehr auf dem Land gewohnt haben?

Bauer: Vor allem, dass Menschen vom Land dumm seien. Menschen machen es sich oft leicht und sagen zum Beispiel, dass die Nazis nur auf dem Land leben. Klar sind die auf dem Land, aber in der Stadt gibt es die genauso! Es ging immer viel um diese unterstellte Dummheit, und es war viel Unverständnis da.

taz: Haben Sie es so erlebt, dass sich Städ­te­r:in­nen über Menschen stellen, die vom Land kommen?

Bauer: Genau. Aber auch, dass sich Leute, wenn sie vom Land in die Stadt ziehen, diese gleiche Attitude entwickeln. Dass sie dann denken „Wir haben es jetzt geschafft!“ Aber ich glaube, es ist nicht so schwierig, in die Stadt zu ziehen. Das ist ja keine großartige Leistung.

taz: Sie sind auch irgendwann aus Hohenlohe in die Stadt gezogen.

Bauer: Ja, das war 2011. Ich bin für das Studium nach Leipzig gezogen. Da habe ich Kunst studiert und später Drehbuch und Regie in Köln.

taz: Warum sind Sie denn aus Hohenlohe weggegangen?

Bauer: Vor allem für das Studium. Und vielleicht war da auch ein bisschen Müdigkeit von Baden-Württemberg und Neugierde auf den Osten. Ich glaube, ich mochte damals, dass Leipzig so links und so punky war. Vielleicht war ich auf der Suche nach einem Leben, das sich ein bisschen runterreduziert. Ein Leben, das nicht auf dieses „Schaffen, schaffen, Häusle bauen“ fokussiert ist, sondern einem mehr Freiraum gibt. Das Kunststudium war da vielleicht auch ein besonderer Fall.

taz: Sind Sie mit dieser „Schaffen, Schaffen-Mentalität“ aufgewachsen? War das bei Ihnen in der Familie so?

Bauer: Ja, das ist aber auch Teil der Landwirtschaft. Man arbeitet und arbeitet… Jetzt habe ich es manchmal, dass ich mich schlecht fühle, weil die Arbeit, die ich jetzt mache, gar nichts mit den Händen zu tun hat. Manchmal bin ich mir nicht ganz sicher, wie viel ich wirklich gearbeitet habe, auch wenn ich den ganzen Tag am Laptop saß. Wenn man zum Beispiel die Tiere gefüttert hat, dann weiß man, was man gemacht hat, weil die Tiere dann satt sind.

taz: Hinterfragen Sie deswegen manchmal, was Sie machen?

Bauer: Ich glaube, dann hinterfrage ich, ob ich genug gemacht habe. Beim Schreiben kenne ich ein ungefähres Ziel, das ich erreichen möchte, aber das zu erreichen braucht manchmal mehrere Tage oder Wochen, Träumereien und Verwerfungen. Vom landwirtschaftlichen Blick aus betrachtet, sitze ich lange nutzlos rum. Aber Schreiben braucht halt mehr Zeit als die Tiere zu füttern.

taz: Gibt es den Hof Ihrer Eltern in Hohenlohe noch?

Bauer: Ja, meine Eltern sind noch jung, die sind Mitte 50 und arbeiten dort noch. Die haben dort Angusrinder für Fleisch, aber nur im Nebenerwerb. Und meine Mama hat ein Hofcafé, das ist immer sonntags offen.

taz: Wie ist das bei Ihnen in der Familie, wer übernimmt den Hof nach Ihren Eltern?

Bauer: Ich glaube, ich habe als Kind schon auch ein bisschen gedacht, ob ich Bäuerin werden soll. Aber meine Eltern haben immer gesagt, wir Kinder sollen keine Bauern werden, eben weil es sich nicht rentiert. So ein bisschen wie die Mutter im Film. Und als uns dann gesagt wurde, wir sollen das nicht machen, hat auch niemand wirklich darüber nachgedacht. Mein Bruder und meine Schwester werden das Haus zusammen nehmen, aber dort keine Landwirtschaft mehr machen.

taz: Wie sieht es Ihre Familie, dass sie aus Hohenlohe weggegangen sind und was Sie jetzt machen?

Bauer: Ich habe viel Glück mit meiner Familie. Meine Eltern fanden gut, dass ich Kunst studiert habe. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Und jetzt bei dem Film gab es viel Support, alle haben mitgeholfen. Meine Oma hat mitgespielt, meine Schwester hat die Stunts gemacht, mein Papa hat Johanna Wokalek, die die Bäuerin spielt, Traktor fahren beigebracht, ein paar Szenen haben wir auf dem Hof meiner Tante gedreht. Das ist schon viel wert. Für mich war es auch gut, dass ich wusste, ich mache den Film nicht nur für mich fertig, sondern auch für die Mühen der anderen.

taz: Ich würde mit Ihnen gerne über Ihren Dialekt sprechen, das Hohenlohische. Der Dialekt spielt ja auch in Ihrem Film eine große Rolle. Sie sind mit diesem Dialekt aufgewachsen. Wie war das für Sie, als Sie dann Ihre Heimat Hohenlohe verlassen haben?

Bauer: In der Schule konnten wir bis zum Gymnasium Dialekt sprechen. Wenn man danach noch Dialekt gesprochen hat, wurde man ausgelacht. Das ist eigentlich absurd, weil wir alle aus verschiedenen Dörfern kamen. Aber auf dem Gymnasium waren viel mehr Akademikerkinder. Als Kind vom Bauernhof war ich da die Ausnahme. Und wenn Leute dann Dialekt sprechen, oder auch wenn Menschen mit Migrationsgintergrund nicht perfekt deutsch sprechen, wird aus der hochdeutschen Sicht sofort auf die Leute runtergeschaut. Auch das hat mit diesen Vorurteilen zu tun. Mein Hochdeutsch, das ich inzwischen spreche, ist nicht perfekt, aber das will ich auch gar nicht. Ich spreche gerne Dialekt und habe das Gefühl, dass meine Persönlichkeit am ehesten zu mir passt, wenn ich Dialekt spreche. Der Dialekt ist manchmal witziger. Für manche Emotionen gibt es irgendwie keine Wörter oder man hat nicht gelernt, darüber zu sprechen. Dann verpackt man das in Witze. Im Film gibt es zum Beispiel den Moment, wo Katinka, die Tochter, sagt: „Eine gute Schaufel kann man immer brauchen.“ Das ist ganz pragmatisch und dadurch eben auch lustig.

taz: Viele Dialekte in Deutschland werden nur noch wenig gesprochen und laufen Gefahr, auszusterben. Wie steht es um das Hohenlohische?

Gern auch barfuß bei der Arbeit. Oder halt im leopardenschicken Schuh
Justine Bauer

Die Person

Justine Bauer, Jahrgang 1990, ist auf einem Hof in Hohenlohe, Baden-Württemberg aufgewachsen. Als junge Erwachsene ist sie nach Leipzig gezogen und hat dort Kunst studiert, danach Drehbuch und Regie in Köln.

Der Film

„Milch ins Feuer“ erzählt vom Erwachsenwerden auf einem Bauernhof in Hohenlohe. Es geht um junge Bäuerinnen und wie sie mit der landwirtschaftlichen Realität umgehen oder es zumindest versuchen. Der Film ist Justine Bauers Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Kinostart ist am 7. August 2025.

Bauer: Das Hohenlohische vermischt sich sehr mit anderen Dialekten und dem Hochdeutschen, weil die Leute hin- und herziehen. Man merkt zum Beispiel auch im Film, dass meine Oma einen anderen Dialekt spricht als die Kinder, weil die Dialekte immer von Dorf zu Dorf unterschiedlich waren. Das löst sich jetzt auf. Und viele, die aus Hohenlohe sind, haben sich das typische „sch“ einfach abgewöhnt. Die sprechen jetzt ganz übertrieben perfekt. Dafür hasse ich die ein bisschen.

taz: In Ihrem Film geht es viel um das Frausein auf dem Land, um Geschlechterrollen und Aufgabenverteilung. Wie ist das bei Ihren Eltern gewesen? Welche Vorbilder waren sie für Sie und ihre Geschwister?

Bauer: Bei meinen Eltern war das sehr gleichberechtigt und ich glaube, das war auch der Grund, aus dem ich den Film machen wollte. Ich habe bemerkt, dass in Filmen oft die Bäuerinnen fehlen. Da gibt es immer nur den Bauern. In meiner Familie war das anders. Meine Opas hatten zum Beispiel nie so ein schlechtes Frauenbild, wie man es dieser Generation so nachsagt. Die wussten schon: Ohne die Frau läuft das nicht.

taz: Haben Sie auch Familien erlebt, in denen das anders war?Bauer: Den Fall, dass der ältere Sohn den Hof bekommt, auch wenn die Schwestern Interesse haben, gibt es die ganze Zeit. Oder auch, dass die Frau genauso viel arbeitet, aber Haus und Hof dem Mann gehören. Das ist schon sehr fragwürdig. Aber wenigstens dürfen Frauen jetzt auch Traktor fahren.

taz: Ging das früher nicht?Bauer: Nach dem, was ich mitbekommen habe, war es immer ein riesiger Schritt, bis Frauen Traktor fahren durften. Da gab es viele Vorurteile und mindestens einen dummen Spruch von den Männern.

taz: Können Sie denn Traktor fahren?

Bauer: Nicht die ganz großen. Unsere kann ich schon fahren, aber das sind auch nicht die ganz, ganz Großen. Dafür habe ich keinen Führerschein.

taz: Sie wohnen jetzt schon seit mehreren Jahren in der Stadt. Gibt es Dinge vom Landleben, die Sie vermissen?Bauer: Ich vermisse auf jeden Fall, viele Tiere zu haben. Ich glaube, ich werde es auch mit 50 wieder in Angriff nehmen, ein paar Tiere zu habe.

taz: Was für Tiere?

Bauer: Ein Schwein vielleicht, ein Wollschwein. Minimum irgendwas Lustiges. Ich vermisse auch, dass auf dem Land skurrilere Sachen passieren. Oft denken die Leute, ja in der Stadt sei das ganze Leben. Aber ich finde, auf dem Land passieren spannendere Sachen, weil man noch nicht so oft von denen gehört hat.

taz: Haben Sie dafür ein Beispiel?

„Die Selbstmordrate bei Bauern ist auch extrem hoch. Und das weiß niemand, gerade weil das ein Beruf ist, bei dem man eigentlich keine Schwäche zeigen darf“

Bauer: Im Film gibt es zum Beispiel diese Lamakastration. Danach frisst der Hund den Hoden des Lamas. Das finde ich witzig und spannender, als auf die hundertste Party zu gehen. Es passieren unvorbereitet absurde Sachen. Mit den Tieren, auch mit dem Wetter. Wenn man auf dem Land ist und ein Gewitter kommt, dann bricht immer eine Action aus. Jetzt, wenn ich in der Stadt bin, habe ich manchmal Angst vor Gewitter. In der Stadt habe ich nichts Wichtiges zu tun, wenn ein Gewitter kommt, aber auf dem Land hatte man da immer viele Aufgaben.

taz: Sie sagen, dass Sie auch die nächsten Filme über Personen auf dem Land machen möchten. Inspiriert Sie das Land mehr als die Stadt?

Bauer: Ja, ich möchte gerne diese ungewöhnlichen Sachen erzählen, die man nicht schon so oft gesehen hat. Auch, weil Stadt mich nicht so arg interessiert. Ich habe Drehs in der Stadt erlebt und das ist so anstrengend. Mit den Autos rumfahren, dann die Straßen sperren… Das ist so stressig und voll Beton. Meinen Film konnte ich barfuß drehen.

taz: Im Film gibt auch einen Erzählstrang, bei dem es um den Nachbarsbauern geht. Er dreht komplett ab und macht dann verschiedene Protestaktionen, um auf die schlechten Bedingungen für Bauern aufmerksam zu machen. Beziehen Sie sich damit auf die Bauernproteste, die es in den vergangenen Jahren gab?

Bauer: Die Person im Film sollte ein Bauer sein, der sich an den Aktionen der Bauern 2023 und auch schon lange davor beteiligt. Ich wollte zeigen, was die Bauern eigentlich alles machen und dass es gar nichts bringt. Die Selbstmordrate bei Bauern ist auch extrem hoch. Und das weiß niemand, gerade weil das ein Beruf ist, bei dem man eigentlich keine Schwäche zeigen darf. Das Bauersein ist so existenziell: das Haus hängt damit zusammen, die Familie, die Tiere. Das ist viel Verantwortung und das ist schon hart für die Männlichkeit in unserer Gesellschaft. Die Selbstmordrate braucht man bei Bauern wirklich nicht gendern… Aber klar, dabei geht es nicht nur um die Bauern, sondern allgemein um die Sprachlosigkeit der Männer.

taz: Sie meinen, das, was Sie anhand von diesem Bauern erzählen, kann man auf einen anderen Mann beziehen?

Bauer: Genau, auf einen Mann, der in der Stadt wohnt und auch nicht fähig ist, seine Gefühle Psychologen mitzuteilen. Oder auf einen Mann, der überfordert ist und keinen Ansprechpartner hat und dann durch diese ganze toxische Männlichkeit immer weitermacht, bis er nicht mehr kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen