INTERVIEW: "Eine Anerkennung für die Leistung der Bürger"
Das Bild der Oderberger Straße, die von Anwohnern maßgeblich gestaltet wurde, sollte per Copyright gesichert werden, fordert Rainer W. Ernst, Leiter des Beratungsausschusses Kunst des Senats. Interview
taz: Herr Ernst, warum beschäftigen Sie sich mit der Oderberger Straße?
RAINER W. ERNST, Jahrgang 1943, ist Professor für Städtebau an der Kunsthochschule Weißensee und war acht Jahre lang deren Rektor. Zusammen mit dem Künstler Wolfgang Krause betreut er den Master-Studiengang "Raumstrategien". Rainer Ernst ist zudem Leiter des Beratungsausschusses Kunst des Berliner Senats.
Die Oderberger Straße liegt in Prenzlauer Berg, dem Szenekiez der 90er-Jahre. Im Sommer gleicht die Straße einem Garten. Café-Betreiber, Ladenbesitzer und Anwohner - darunter Studenten, Überlebenskünstler, Familien mit Kindern und Singles - pflegen üppig wuchernde Biotope in Kübeln, Kisten und mit kleinen Steinmauern umfriedete Hochbeete auf den breiten Bürgersteigen. Die grüne Anarchie überstand sämtliche Sanierungsprozesse und den sozialen Aufschwung der Straße.
Im vergangenen Herbst wurden jedoch Pläne des Bezirks bekannt, wonach die holprigen, noch aus DDR-Tagen stammenden Bürgersteige auf Westniveau geklopft und die Hochbeete beseitigt werden sollten. Begründung: die Begehbarkeit solle gesichert und verbessert werden. Doch die neu gegründete Bürgerinitiative Oderberger Straße (Bios) verteidigte die selbst kreierten Gärten und Plätze gegenüber dem Bezirksamt und erkämpfte sich ein Mitspracherecht bei der Umgestaltung. Wie das genau aussieht, wenn 2009 die Bagger anrücken und die Straße umgestalten, ist noch offen.
Rainer W. Ernst stellt sein Copyright-Konzept auf einer Veranstaltung der Kunsthochschule Weißensee am kommenden Dienstag im GLS-Sprachenzentrum in der Kastanienallee 82 vor (29. 2., Beginn: 19 Uhr). Am 1. und 2. Februar veranstaltet die Bios zudem einen Workshop am selben Ort, um ein Gestaltungs- und Sanierungskonzept für die Oderberger Straße zu erarbeiten. Beginn ist am Freitag um 17 Uhr. Eingeladen sind alle Mitstreiter, Freunde und Begleiter der Initiative. Für Kinderbetreuung ist gesorgt.
Rainer W. Ernst: Ein Kollege von der Kunsthochschule Weißensee hat mich zu einem Treffen der Bürgerinitiative Bios mitgenommen. Der Fall dieser Straße hat mich sofort elektrisiert.
Warum?
Das hat es ja noch nie gegeben, dass der von den Anwohnern geschaffene Bestand in die weitere Planung einfließen wird. Jetzt geht es darum, das Vorhandene zu ergänzen, auch zu verbessern.
Was steckt hinter der Idee eines Copyrights für die Oderberger Straße?
Copyright bedeutet, dass die Bürgerinitiative Bios das Recht bekommt zu entscheiden, was in Zukunft mit der Straße passiert. Die Idee ist einfach die Anwendung eines Prinzips, in dem sich die Anerkennung für etwas, das gemacht wurde, ausdrückt, so dass sich bestimmte Regeln der Verfügbarkeit daraus ableiten. So wird verhindert, dass die Rolle der Bürger zukünftig nicht nur darin besteht, die Vorschläge anderer zu kommentieren oder Wünsche in einem Kummerkasten abzuliefern.
Aber wo kämen wir denn stadtplanerisch hin, wenn das jeder machen würde?
Man kann natürlich kein Urheberrecht beanspruchen, wenn man irgendwo einen Baum im Kübel hinstellt. Das Geschaffene müsste einen Wert darstellen, ähnlich dem in der Oderberger Straße. Wie weit die Freiheit der Gestaltung geht und wie die Verantwortlichkeiten gehandhabt werden, ist Verhandlungssache. Aber dieser Fall könnte andere Bürger ermuntern, Ähnliches zu schaffen. Warum auch nicht?
Ihre Ideen gehen noch darüber hinaus.
Das viel Aufregendere ist der Plan, ein sogenanntes Kataster der Patenschaften zu erstellen. Wir streben jetzt Verträge zwischen den Bürgern und dem Senat an, in denen Räume und Paten vereinbart werden. Alles, was in diesen Räumen geschieht, ist dann urheberrechtliches Eigentum derer, die es geschaffen haben. Man muss ja nicht gleich das ganze Stadtgebiet mit einem solchen Kataster überziehen. Aber es wäre erstmalig eine institutionelle Gegebenheit, die das Engagement der Bürger erleichtert.
Und damit wäre die Arbeit auch gesichert?
Copyright bedeutet, dass nicht einfach ein Gärtner von der Stadt kommen und sagen kann: So, jetzt machen wir hier aber etwas anderes. Oder: Wir reißen das jetzt weg.
An der UdK haben Sie in den 80ern den Studienschwerpunkt "Bau und Stadtentwicklung in außereuropäischen Kulturen" initiiert und zu diesem Thema publiziert. Hat es andernorts schon Fälle gegeben, dass Bürger ihre eigene Straße gestalteten und ihre Arbeit öffentlich anerkannt wurde?
Das hat es in einigen Armenvierteln in Lateinamerika und Asien gegeben. Man hat diese Viertel verbessert und sie von vornherein mit den Leuten gemeinsam gestaltet - in ganz unterschiedlichen Prozeduren, unter verschiedenartigen Beteiligungen.
In diesen Fällen ging die Initiative doch sicher von den Stadtplanern aus.
Das ist richtig. Dahinter standen soziale Überlegungen. In der Vergangenheit hatte man oft nicht verstanden, wie die Menschen sich organisieren; Gepflogenheiten, die man nicht kannte, wurden negiert und verletzt. Das schuf Aggressionen. Die Mitgestaltung sollte es den Anwohnern erleichtern, Verantwortung zu übernehmen.
Es gibt sicher noch andere Beispiele?
Ja. Nach dem Tod des spanischen Diktators Franco wurden die öffentlichen Plätze und Grünanlagen Barcelonas unter Mitwirkung aller Bürger gestaltet. Diese Gestaltung erlangte große internationale Beachtung.
Wie wurde das organisiert?
Sämtliche Bürgerschaftsvereine der Stadt wurden aufgefordert, die Gestaltungsideen der Bürger zu sammeln.
Wurden denn die Vereine zu diesem Zweck geschaffen?
Nein, es hatte sie schon vorher gegeben. Während der Franco-Diktatur waren sie auch eine Art Kontrollelement, obwohl die Repräsentanten von den Anwohnern gewählt wurden. In der Ausnahmesituation nach dem Tod des Diktators nutzte man diese Struktur. In einer Turnhalle wurden alle Entwürfe und Wünsche der Bürger zusammengetragen. Sie wurden an den Wänden und auf riesigen Tischen präsentiert. Es waren die verrücktesten Ideen darunter.
Ist es nicht ein Albtraum für jeden Stadtplaner, eine Turnhalle voll einander widersprechender Entwürfe als Ausgangspunkt der Arbeit vorzufinden?
Ganz und gar nicht. Alles selbst zu entwerfen, ist gut und schön, aber es ist andererseits auch eine Art Anmaßung, eine Diktatur gegenüber Dritten. Um eine Kenntnis der realen Lebensabläufe zu bekommen, muss man mit den Leuten sprechen. Bürger, Anwohner finden nicht in jedem Fall von sich aus die richtigen Lösungsansätze. Das ist eben das Spannende an diesem kommunikativen Prozess: Man ist leitend tätig, aber anders, eher als eine Art Moderator, man gibt einen Rat, unterbreitet Vorschläge. Natürlich ist Vertrauen eine Voraussetzung, um so arbeiten zu können.
Gibt es in Berlin schon Beispiele für eine solche Arbeit?
Wir haben hier bereits die gestalterische Grundlage für eine Plattensiedlung in einem solchen Dialog mit den zukünftigen Bewohnern erarbeitet. Stadtplanung mit Beteiligung der Bürger hat in Europa eine Tradition. Die ersten freien Bürgerstädte im Mittelalter wurden ja auch von der Gemeinschaft der Bewohner gestaltet.
Dann geht man in der Oderberger Straße jetzt quasi "back to the roots"?
In gewissem Sinn schon. Natürlich kann man die damaligen Gesellschaftsverhältnisse nicht mit denen heute vergleichen. Damals waren es die Hausbesitzer, Unternehmer und Produzenten, die "Stadt" schufen. Und auch die Stadt im Sinne der "freien Stadt" gibt es ja nicht mehr.
Warum?
Mit dem Entstehen der Territorialstaaten zu Beginn des Barocks verloren die Freien Städte ihre Rechte. Städte sind heute bloße Verwaltungsbezirke. Man muss auch berücksichtigen, dass es in Deutschland lange Zeit überhaupt keine Bürgerinitiativen gegeben hat. Das begann erst in den 70er-Jahren wieder. Sie entstanden zunächst aus Protest gegen Abriss und Autobahnplanungen, in den 80er-Jahren dann belebt durch die alternative Bewegung.
Wie sehen Sie die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements?
Interessanterweise haben sich die staatlichen Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement immer noch nicht verändert. Das wird auch am Fall der Oderberger Straße deutlich. Die Bürgerinitiative muss sich jetzt mit Ämtern und Politikern auseinandersetzen, ein Dialogprozess, der gut strukturiert werden muss. Glücklicherweise haben wir noch etwas Zeit, denn die Bauarbeiten sollen ja erst 2009 beginnen.
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