INTERVIEW: „Nicht die Droge tötet, sondern ihre Kriminalisierung“
■ Der Europa-Parlamentarier der „Antiprohibitionistischen Partei“ Italiens, Marco Tarradash, plädiert für die Abgabe von Drogen auf Rezept
taz: Euer Liberalisierungsprogramm wird vor allem mit der Behauptung angegriffen, daß auch eine kontrollierte Abgabe von Drogen die Zahl der Abhängigen nur erhöhen kann.
Tarradash: Das wäre erstmal zu beweisen. Tatsache ist, daß wer sich heute Drogen beschaffen will, es an jeder Ecke tun kann — aber nur, wenn er Geld hat, und zwar viel Geld. Das haben die Reichen, aber dem Durchschnittsabhängigen geht es bald aus. Und da beginnt der eigentliche Einstieg ins Drogenproblem: Er muß sich nicht nur Stoff, sondern auch Geld dafür beschaffen. Da er abhängig ist, tut er es bald illegal. Und je abhängiger er wird, um so öfter wird er straffällig.
Unser Vorschlag, an erwiesenermaßen Abhängige Drogen über ärztliche Verordnung azugeben, durchbricht diese Spirale, indem sie den Abhängigen aus den Klauen der Kriminalität befreit — und gleichzeitig gewisse Hoffnung gibt, daß der Betroffene sich auch ärztlich beraten läßt, was wiederum Todesfälle durch Überdosis reduzieren könnte. Denn am Ende tötet in den meisten Fällen nicht die Droge, sondern die dafür und damit betriebene Kriminalität und die Verdrängung des Drogenkonsums in den unkontrollierbaren Untergrund — bis es zu spät ist.
Gerade in Italien gibt es aber, neben den Gesetzes-Hardlinern, auch eine relativ breite Bewegung von ehemals Drogenabhängigen, die ein rigoroses Verbot der Drogenanwendung fordern — so zum Beispiel die landesweit größte Gemeinschaft von San Patrignano bei Rimini unter ihrem Leiter Muccioli. Ist das nicht ein Widerspruch zu euren Vorschlägen?
Diese Forderung ist von mehreren Seiten her zu erklären. Einerseits politisch — Muccioli steht den Sozialisten nahe, die ganz besonders für Strafverschärfung auch bei den bloßen Konsumenten stehen. Andererseits auch psychologisch: Wer den Ausstieg geschafft hat, neigt leicht zum Rigorismus, will vormachen, daß es eben eine bloße Willenssache sei, wieder loszukommen. Ich will gar nicht in Abrede stellen, daß manchen auch das Verbot und die Strafandrohung abschreckt. Aber für viele ist genau dieses Verbot auch Anreiz zur Übertretung — besonders bei Jugendlichen, und das dürfte die übergroße Mehrheit der „Einsteiger“ sein. Wir nehmen sogar an, daß sobald der Anreiz des Strafwürdigen weg ist, viele gar nicht mehr in Versuchung kommen.
Für euch ist das Hauptproblem also vor allem die mit den Drogen verbundene Kriminalität, nichts anderes?
Natürlich auch anderes, etwa die sozialen Verhältnisse, in denen der Wunsch nach einer Scheinwelt entsteht. Aber zunächst und alleine vordringlich ist es, die Verbindung zwischen Droge und Kriminalität zu kappen. Alles andere wird danach leichter anzugehen sein.
Das Gespräch führte Werner Raith
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