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II: Mit Eloquenz durch den Kiez

Gegen Sprachlosigkeit hilft ein Schlagfertigkeits-Workshop. Vor allem darf dabei über sich selbst gelacht werden. Wahlberliner müssen viel üben, bis ihnen die Auszeichnung „Schnauze mit Herz“ endlich zusteht

Die meisten Berliner haben Schlagfertigkeit mit der Muttermilch eingesogen. „Schnauze mit Herz“ ist das Label. Andere Hauptstadtbewohner müssen diese Kunst erst noch lernen. In Wochenendworkshops. Am besten im Wedding. In dem Bezirk haben die echten Berliner Proleten den Kalten Krieg überstanden und bereiten von daher ein gutes Übungsfeld.

Wer schlagfertig werden will, muss unter die Leute gehen. An Orte, wo die Sprüche schnell von der Zunge springen. „Wat denn, wat denn, können Se nich riechen, wo Sie hinloofen, wenn Se schon nich sehen können“, protestiert ein wohl beleibter Angerempelter vor dem Rasierwasserregal im 99-Pfennig-Laden nicht weit vom Leopoldplatz. Ich falle vor Schreck in ein Sprachlosigkeitsloch. Verloren; wäre da nicht meine Freundin, Hinterhof-Reinickendorferin per Geburt. „Tschuldjung, aber der Jeruch von die Dinosauriere war ma bis ebend nüsch bekannt“, kontert sie. Hinterher hätte es mir auch einfallen können.

Um dem schwerwiegenden Handikap urbaner Stummheit etwas entgegenzusetzen, melde ich mich zum „Schlagfertigkeits-Workshop“. Beim August-Bebel-Institut in der Müllerstraße. Da sitze ich nun zwischen den Leidensgefährten: einem betrieblichen Ausländerbeauftragten türkischer Herkunft, einem harmoniebedürftigen Sozialpädagogen, einer Logistikerin, einem kurzsichtigen FDP-Fan, einer Betriebsrätin mit gebrochenem Arm und einem polnischen Assistenzarzt mit gebrochenem Herzen. Zusammen: geballte Leidensfähigkeit. Gern würden wir im Alltag der Hauptstadt bestehen. Nur wie?

Weil jeder um die Schwächen des anderen weiß, betrachten wir uns mit Sympathie. „Was hat Sie in letzter Zeit sprachlos gemacht?“, fragt die Dozentin, die zwei Tage lang souverän mit unseren Unsicherheiten umgehen wird. „Du bist aber fett geworden!“, sagt der Kurzsichtige. „Du willst immer im Mittelpunkt stehen“, stöhnt der Assistenzarzt. „Da stehen Sie mit Ihrer Meinung alleine da“, sagt die kaufmännische Angestellte, „Ey, machst du Bodybuilding“, werfe ich in die Runde. Mal wird die Kompetenz abgewertet, mal das Aussehen, mal der Charakter.

Weil noch nicht klar ist, wer Schaf und wer Wolf ist, probieren wir die Gemeinheiten zuallererst an uns selbst aus. „Sie haben den Weg auf den Kalvarienberg noch nicht gefunden“, sage ich zum Sozialarbeiter und deute auf seine Sandalen, die er mitten im Winter trägt. Seine Reaktion geht in Bescheidenheit unter. Klar ist am Ende der Übung: Ich bin eine Niete, wenn ich Botschaften empfange, nicht wenn ich sie sende. „Die taz war auch schon mal besser“, sagt der Kurzsichtige zu mir. Ich fange an zu lachen und kann nicht mehr aufhören. „Das war vor meiner Zeit“, assistiert die Kursleiterin endlich gnädig, obwohl sie meinen Namen bis dato nicht kannte.

Aus der Position der Ohnmacht in jene der Macht zu gelangen ist der heimliche Wunsch. Es mit Charme zu tun die wahre Herausforderung. Die nächsten Stunden arbeiten wir daran. Tipps und Strategien gibt es genug. Eine davon: Die Antwort steckt meist in der Provokation: „Sie werden wir auch noch hinbiegen!“, sagt der Provokateur zur Übung zu mir. Nach langem, langem Nachdenken die Antwort: „Seit wann sind Sie Schmied?“ Meine Reaktion zeigt: Im Prinzip habe ich das Prinzip verstanden.

Am Ende müssen alle auf den „heißen Stuhl“. Ein flammendes Plädoyer halten für irgendwas. Die anderen dürfen Wölfe sein. Hitzige Debatten entstehen über die Privatisierung der Schulen, die Kürzungen des Senats, die Ratlosigkeit der Gewerkschaft. Wir wissen zu kämpfen, für uns zu gewinnen leider noch nicht. „Neoliberale Revolution, Deregulierung, Abbau von Arbeitsschutzgesetzen“ fordert der FDP-Fan. Theoretisch ist klar: Mit den eigenen Waffen könnte man ihn schlagen. Nur wie sehen die aus? Später, beim Ratschlag mit der Reinickendorferin, gibt es ein Schulterzucken von ihr. Als Berlinerin hat sie schon viele Revolutionen die Spree runtergehen sehen. „FDP? – Soll er mal. Ein bessret Modell für Derejulierung jibs gar nich.“

Ich werde wohl noch eine Weile im Wedding wohnen müssen. Der Workshop aber ist eine prima Gelegenheit, wenn schon nicht mit sich selbst, dann zumindest mit Menschen, die man sonst nie kennen lernen würde, Nachsicht zu haben.

WALTRAUD SCHWAB

www.august-bebel-institut.de

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