"I love Aldi"-Ausstellung in Ludwigshafen: Deine Wünsche, deine Bestimmung
Die Ausstellung "I love Aldi" in Ludwigshafen spürt der Faszination der Discounterästhetik nach. Nur die Tüten vereinen schönen Schein und wahre Vielfalt.
Das Prinzip "hohe Qualität, niedriger Preis" allein ist es sicher nicht, das dem Supermarkt Aldi seinen besonderen Status gibt. Mit diesem Slogan in abgewandelter Form werben alle deutschen Discounter. Dem Höhenflug von Karl und Theo Albrecht hatte 1971 Günter Fruhtrunk mit seinem blauen Aldi-Nord-Tüten-Design ästhetischen Schwung verliehen. Das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen besitzt mit "Klostergarten Expl. III" ein Fruhtrunk-Werk von 1962/63 in Orange, auf das sich der Künstler später mit seinem Entwurf für das Aldi-Markenzeichen bezieht.
Für das Ludwigshafener Museum ist dies wohl ein Grund für die Ausstellung "I love Aldi". Der andere hat mit dem spezifischen städtischen Umfeld zu tun, das sich als guter Nährboden für die Ansiedlung verschiedener Discountläden erwiesen hat. Umgekehrt haben Kunstmuseen in dieser Stadt einen schweren Stand. Zum Unterthema "Verpackung", bei dem es auch um Erscheinungs- und Präsentationsformen der Waren in Discountläden geht, stellt der finnische Künstler Jani Leinonen Ceralien-Verpackungen bekannter Hersteller wie Kellogs und Nestlé auf den Prüfstand.
Mitten hinein in die heile Micky-Maus-Welt auf den Verpackungsfronten - sechs Reihen übereinander, je fünf in einer Reihe - ist jeweils ein Wort aufgemalt. Die oberste Reihe liest sich so: "Your Beliefs Become Your Thoughts", die Reihe darunter: "Your Thoughts Become Your Words", darunter: Your Words Become Your Actions". Die unterste Zeile lautet: "Your Values Become Your Destiny".
Billige Ware im immergleichen Gehäuse
Ganz ohne aufrüttelnde Botschaft kommt Konstantin Voit bei seiner wandfüllenden Arbeit "Malfabrik: Werbeblock" aus. In der Art und Weise, wie er mit Malschablonen und gesprayter Farbe arbeitet, hält er sich in einem Zwischenbereich auf: individuell gemalt und damit keine Reproduktion der Logos, aber doch eine die Erinnerung stimulierende Form des Umgangs mit ihnen.
Für Reinhard Spieler, den Leiter des Wilhelm-Hack-Museums, steht "der Name Aldi in unserer Ausstellung stellvertretend für alle Discounter, ganz einfach deshalb, weil diese Marke am wenigsten mit (negativen) Werturteilen belastet ist". Besondere Beachtung erfährt die Aldi-Architektur in dieser Schau. Was könnte mit der billigen Stapelästhetik der Waren besser harmonieren als ein die Funktion in den Vordergrund stellender Schuppen: Im immergleichen Gehäuse die gleichen billigen Waren nach dem Prinzip "Viel für wenig".
Angelika Schröders Installation "Alldies" besteht aus über den Boden ausgestreuten genähten Stoffmodellen des Schuppens. Leere in der Fülle - was wie ein Paradox klingt, hat offensichtlich zum Erfolg des Systems Aldi beigetragen. Thomas Rentmeister konfrontiert den Besucher mit Lebensmittelmassen: auf dem Boden aufgeschüttet ein Berg weißer Zucker, aus dem ein Einkaufswagen zur Hälfte herausragt, das andere Mal ein flacher Haufen vakuumverpackter Aufschnittsorten, vor dem man automatisch auf Distanz bleibt.
Von hier gehen die bunten Päckchen in den Müll - das alltägliche Schicksal schnell verderblicher Fleisch und Wurstwaren in Supermärkten. Auf die härteste Probe, dem Discount-Prinzip gegenüber rational offen zu bleiben, stellt die Schau den Besucher mit Piero Steinles Video "Fleisch". Bei der vierzig Minuten dauernden Dokumentation modernster Massenproduktion von Fleisch für den menschlichen Verzehr erlebt er den Umgang mit Schlachtvieh vom Transport zum Schlachthof und nachfolgender Keulung über alle Prozesse der Fleischgewinnung bis zur Abfallbeseitigung und Tiermehlproduktion.
Den Weg zurück zur heilen Supermarktrealität weisen Francisco Sierras Farbstiftzeichnungen, Blatt für Blatt eine kleine kräutergarnierte Portion Fleisch. Florian Slotawa hat von Aldi, Lidl, Netto und Penny möglichst gleichartige Produkte gekauft, um sie in vier Vitrinen auszustellen. Damit bringt er den Betrachter in die gleiche Verlegenheit wie den Konsumenten, der sich nur zu gern vom äußeren Erscheinungsbild für oder gegen einen Kauf entscheidet.
Unerschütterliches wie unerklärliches Konsumverlangen
Schöner Schein und wahre Vielfalt fallen nur bei den an Wäscheklammern baumelnden Plastiktüten aus der Sammlung von Elke Koska zusammen. Die von Miriam Oesterreich und Kerstin Skrobanek kuratierte Schau rechnet damit, dass wir alle kompetente Konsumenten sind und gerne auf einen Parcours und erst recht auf einen roten Denkfaden verzichten.
Das Discountprinzip gründet auf einem ebenso unerschütterlichen wie unerklärlichen Konsumverlangen, unabhängig vom Einkommen des Käufers. Pietro Sanguinetis Lichtobjekte "paradise"(2006) und "(now)" (2001) lenken mit ihren sich kreuzenden Bedeutungsfeldern im Kontext der Ausstellung den Blick auf die oft diskutierte Frage, ob Discountläden zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen.
Bei der Eröffnung der Ausstellung lud die Künstlerin Stephanie Senge zur Leinwand-Demo "Protest aus dem Supermarkt" ein. Auf Leinwände aufgemalte Werbeslogans von Discountern und Firmen, darunter "Luxus für alle" (Lidl) und "Super Attack" (Henkel), wurden vom Publikum in die Einkaufspassage getragen. Hier wird aus dem Museumsprojekt ein konkretes Projekt kommunikativen Handelns.
"Kunst" ist in der Ludwigshafener Durchleuchtung des Discountprinzips ein eigenes Kapitel. Ausgestellt ist die "Aldi-Edition", handsignierte und gerahmte Drucke aus der Kunstaktion von Aldi-Süd 2003, die zum Stückpreis von 12,99 Euro weggingen. Mit ihrem "Kunstautomat Sternengasse" geht das Künstlerduo Winfried Baumann/Anna Bien 2010 noch einen Schritt weiter in der "Aldisierung": Für 5 Euro Einwurf zieht man aus dem umgebauten Zigarettenautomaten eins der zehn im Sichtfenster angezeigten Originale.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste