: I N T E R V I E W „Die Militärs waren im Kampf“
■ Heute soll in Argentinien das Straffreiheitsgesetz für Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur, die „auf Befehl durchgeführt“ wurden, im Senat verabschiedet werden. Inzwischen mehren sich in den oberen Offiziersrängen jedoch die Stimmen, die eine Generalamnestie fordern. Die Offiziere interpretieren das Entgegenkommen Alfonsins gegenüber den Meuterern von Ostern als Freibrief, sich ihrer Taten zu rühmen. Daß die Haltung der argentinischen Regierung dem Selbstverständnis der Militärs umindest entgegenkommt, zeigt das Interview mit dem Justizminister der Alfonsin–Regierung, Tonelli, das wir der Zeitung Espreso vom 15.5.87 entnahmen.
Nicht nur Folterern, sondern auch den Chefs von Konzentrationslagern soll Freiheit gewährt werden? Stimmt das? Tonelli: Der Gesetzesvorschlag unterscheidet nicht zwischen der Art des Deliktes, sondern verantwortlich ist nur der, der einen Befehl erteilte. Kann der Befehl auch lauten: „Errichte ein Konzentrationslager“? Ja, die Militärs befanden sich in einer Kampfsituation. Aber auch im Krieg wird Folter bestraft. Gut. Hier auch. Doch es soll der bestraft werden, der den Befehl gab. Folter und Entführung verletzen auch die militärischen Reglements, beispielsweise Nr. RC 48–I des Kriegsgesetzes verbietet Attentate gegen das Leben und die persönliche Integrität. Aber, ist dieses Reglement auch bei der antisubversiven Repression gültig? Es wurde nicht abgeschafft. Kennen Sie einen Fall in der militärischen oder zivilen Rechtsprechung, der auch die Folter dem geschuldeten Gehorsam unterordnet? Mir fehlen da Informationen. Ich weiß aber, daß es Entschuldigungen gab, wie in Frankreich bezüglich der Offiziere, die im algerischen Unabhängigkeitskampf eingesetzt waren. Der ehemalige Chef des Folterzentrums ESMA, Jorge Acosta, hat im Ermittlungsverfahren ausgesagt, daß er nach dem Führungswechsel in der Marine gebeten habe, mit den illegalen Methoden fortfahren zu dürfen. Ihm sei geantwortet worden, „auch wenn ich das nicht in vollem Umfang unterstützte - wenn es wirksam ist, machen Sie damit weiter“. Worin hat in diesem Fall der geschuldete Gehorsam bestanden? Es wurde nicht der Befehl erteilt, die ESMA abzureißen, sondern nur ein innerer Zweifel geäußert. Wir wollen doch bitte die Dinge an ihrem Platz belassen! Ich weiß, daß es schwierig ist, daß das viel kostet und daß man seine Gefühle unterdrücken muß. Was sind Ihre Gefühle? Ich empfinde Ekel gegenüber den antisubversiven Methoden. Ich glaube, daß ich mich mit den Militärs einverstanden erklären kann, daß der Zweck der Repression historisch gerechtfertigt war, aber ich bin mit den angewandten Methoden nicht einverstanden.
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