Hysterie um Röntgen-Kontrollen: Dienstwagen heißt jetzt Nacktscanner
Die Debatte über Körperscanner ist hysterisch. Sie lenkt von wirklich bedenklichen Einschränkungen der Bürgerrechte im Namen der Terrorbekämpfung ab.
Der Dienstwagen der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hat einen neuen Namen. Er heißt jetzt Nacktscanner. Auch im neuen Gewand erfüllt er seine Funktion perfekt. Er versetzt die Öffentlichkeit wochenlang in Aufregung, er überfordert weder das technische noch das juristische Verständnis - und er lenkt vom Wesentlichen ab. Selbst die Datenschützer spielen mit. So arglos, wie es einst die Gegner der Gesundheitslobby taten, als es um die Dienstfahrt in den Süden ging.
Was an dem Scanner so teuflisch sein soll, ist bei nüchterner Betrachtung nicht leicht zu erkennen. Intimer als der gängige Röntgenblick ins Reisegepäck ist die Durchleuchtung der Kleidung jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil. Welche personenrelevanten Daten verfremdete Körperbilder liefern sollen, hat von den Gegnern des Verfahrens noch niemand erklären können.
Das Wort "Nacktscanner" ist ein polemischer Kampfbegriff, "Fummeln" hingegen im Sicherheitsjargon die zutreffende Bezeichnung für das bisherige Verfahren des Abtastens und Abtatschens. Schuhe aus, Gürtel ab, die persönlichen Utensilien im Klarsichtbeutel aufs Laufband: Das Procedere erinnert an die Einlieferung in den Strafvollzug und ist geeignet, selbst notorischen Klimaskeptikern die Vielfliegerei zu vergällen. Dass es auf Flughäfen nicht zu einer Häufung von Amokläufen kam, stellt der Selbstachtung der Passagiere jedenfalls kein gutes Zeugnis aus.
Während die Öffentlichkeit lautstark über den Scanner streitet, nimmt sie weitaus gravierendere Eingriffe in Freiheitsrechte klaglos hin. Dass ganze Personengruppen allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit verschärften Kontrollen unterworfen werden, wird selbst in aufgeklärten Kreisen nicht etwa kritisiert, sondern als mildere Alternative zur vermeintlichen Selbstentblößung begrüßt. Schon verlangen sogenannte Sicherheitsexperten eine stärkere Vernetzung nationaler Warndateien. Das bedeutet: Aufgrund geheimdienstlicher Annahmen, die niemand überprüfen kann, sollen Passagiere einer Sonderbehandlung unterworfen oder vom Fliegen sogar ausgeschlossen werden.
Gefährlich ist demnach nicht mehr die Bombe, verdächtig ist der Passagier. Weil die Suche nach riskanten Gegenständen von vornherein als aussichtslos gilt, wird lieber gleich der moderne Gleichheitsgrundsatz aufgegeben. Der Islamist erhält Reiseverbot, weil er ein Islamist ist, nicht etwa, weil er einen Sprengsatz zünden will. Es ist das Denken von Guantánamo, das im Windschatten der absurden Scannerdebatte auf den Flughäfen Einzug hält.
In der aktuellen Diskussion vermischt sich die Panik vor dem Terror mit der menschlichen Urangst vor dem Fliegen. Das macht die Diskussion hitziger und die Bereitschaft zu Einschnitten in die Bürgerrechte größer, am Ende macht es aber nur einen graduellen Unterschied.
Schon immer erfüllte die Politik ihre stabilisierende Aufgabe vor allem durch eine Fiktion von Kontrolle, in einer immer komplexeren Welt gilt das mehr denn je. Dass manches an den Flughafenkontrollen objektiv nutzlos ist, spricht deshalb noch nicht gegen sie. Es spricht nur gegen eine Debattenkultur, die für den Preis dieser gefühlten Sicherheit keine Maßstäbe mehr kennt.
Das gilt vor allem für das Internet, wo sich der moderne Mensch auch ungewollt weitaus mehr entblößt als auf jedem Flughafen. Schon die unverlangt eingehenden Buchempfehlungen von Amazon erzeugen beim datensensiblen Konsumenten ein ungutes Gefühl. Gespenstisch wird es bei der verwunderten Nachfrage der Bank, weil eine Abbuchung nicht in ein Konsumentenprofil passt, von dessen Existenz der Nutzer der Kreditkarte vorher gar nichts wusste. Anders als beim Scanner reicht der Blick hier nicht nur auf die Haut, er geht noch weit darunter. Zumal dann, wenn nicht nur die Privatwirtschaft über die Daten verfügt, sondern der Staat, der mit seinen Machtmitteln Existenzen auch vernichten kann.
Aufs Fliegen können die meisten Menschen notfalls verzichten, auf die Nutzung des Internets nicht. Die Aufregung um den Scanner trägt daher die Züge einer Ersatzhandlung, geführt von Leuten, die noch vor dem Netzzeitalter sozialisiert sind und das Wörtchen "nackt" für anstößig halten. Vor den Fragen, die unser aller Nacktheit im digitalen Zeitalter wirklich aufwirft, schrecken Politik und Publikum dagegen ebenso zurück wie vor den Einzelheiten der Gesundheitspolitik.
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