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Hurrikan „Melissa“Nur nicht hingucken

Nick Reimer

Kommentar von

Nick Reimer

Die Folgen der Erderwärmung werden weltweit immer stärker spürbar. Wir wissen, was zu tun ist, um die Katastrophe abzuwenden, und tun doch nichts.

Santiago de Cuba, 29. Oktober: Verwüstungen nach dem Hurrikan Melissa Foto: Ramon Espinosa/ap

F rüher wussten die Menschen ganz genau, was sie glauben: Die Welt wurde von Gott erschaffen, die Sonne umkreist die Erde, die Mutter von Jesus ist trotzdem noch Jungfrau. Heute wissen wir, dass sich die Dinge im Auge der Wissenschaft etwas anders darstellen. Nicht zuletzt mit Blick auf den Hurrikan „Melissa“ kommt diese Einsicht viel zu spät. Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft, dass die Klimaerhitzung Wetterphänomene extremer macht.

Physikalische Grundlage ist etwa die Gleichung von Clausius-Clapeyron, die besagt, dass wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Und mehr Wasserdampf bedeutet eben mehr Energie, also Zerstörungskraft. Beim Elbehochwasser prasselten 2002 auf dem Erzgebirgskamm binnen 24 Stunden 312 Liter Regen auf jeden Quadratmeter. In der vietnamesischen Stadt Hue wurden in dieser Woche 1.700 Liter je Quadratmeter gemessen.

Das Überraschende diesmal ist: Wir wissen, dass der Klimawandel die Welt verheert, wir können es nachmessen, wir sehen die Bilder aus Kuba, die Bilder der Überschwemmungen in Spanien oder dem Ahrtal. Aber wir glauben nicht daran. Es ist jetzt 35 Jahre her, dass der Weltklimarat IPCC seinen ersten Sachstandsbericht vorgelegt hat. Damals prognostizierten die Wissenschaftler bis 2020 einen Anstieg der Ozeanpegel um 8 Zentimeter. Jetzt nachgemessen sind es tatsächlich 9 geworden.

Auch vor 20 Jahren und dem dritten Sachstandsbericht des IPCC hätten wir die Klimakrise noch denkbar leicht abwenden können. Es galt lediglich auf fossile Energie zu verzichten. Inzwischen ist der sechste Sachstandsbericht durch und wir hätten immerhin noch die Chance, zwar nicht mehr alle, aber doch die gefährlichsten Kippelemente aufzuhalten. Trotzdem passiert nichts. Noch immer lassen wir uns von Fossillobbyisten wie der Wirtschaftsministerin Katherina Reiche einreden, dass neue Gaskraftwerke gut für unser Leben sind. Heute ist es andersrum als bei der Kirche: Wir wollen nicht glauben, was wir wissen.

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Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
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1 Kommentar

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  • Ich muss dem Autor hier widersprechen. Ich glaube, was ich weiß und viele andere tun das sicherlich auch. Das Problem ist die Emergenz. Es bringt so gut wie nichts, wenn sich Zehntausende Menschen für das Klima einsetzen. Es müssten Milliarden sein. Auch wenn ich jeden Tag mit dem Privatjet zur Arbeit fliegen würde, würde das allein dem Klima nicht schaden und auch ein Gaskraftwerkbetreiber denkt sich wahrscheinlich meine Kraftwerke allein würde das Klima aushalten und ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber die Emissionen "nur" von den USA oder "nur" von China würde das Weltklima wahrscheinlich auch noch verkraften. Es ist diese verdammte Zwickmühle, dass es katastrophale Auswirkungen hat, wenn jeder es macht, aber belanglos ist, wenn es nur einzelne tun und deswegen jeder einzelne macht was er will. Und auch wenn ich glaube und weiß, wie katastrophal das Klima wird, sehe ich da keine Lösung.