Hungerstreik nach Hinrichtungen im Iran: Ein Schallverstärker sein
Weibliche politische Gefangene im Iran demonstrieren mit einem Hungerstreik gegen Hinrichtungen. Warum ich mich ihnen in Deutschland anschließe.
S eit Donnerstag befinde ich mich in einem Hungerstreik, und ich bin nicht alleine. 61 weibliche politische Gefangene im berüchtigten Evin-Gefängnis in Iran treten in den Hungerstreik, um gegen die Hinrichtungen zu demonstrieren. Am vergangenen Dienstag erst wurden zwei politische Gefangene hingerichtet: der 24-jährige Protestierende der „Frau Leben Freiheit-Bewegung Mohamad Ghobadlou und der sunnitische Kurde Farhad Salimi, der seit 14 Jahren in Haft war. Diese zwei Hinrichtungen reihen sich ein in eine Welle, die vor einem Jahr begann. Mehr als 800 Menschen wurden der Menschenrechtsorganisation „Hengaw“ zufolge im vergangenen Jahr exekutiert – so viele wie seit 2015 nicht mehr.
Das Massaker in den Gefängnissen wird von der Weltgemeinschaft ignoriert. Nur wenige Stunden nach der Hinrichtung von Mohammad Ghobadlou und Farhad Salimi schüttelte der französische Außenminister Stéphane Séjourné lächelnd dem Außenminister der Islamischen Republik Iran in New York die Hand. Damit wird den Angehörigen der Getöteten das klare Signal gesendet: Ihr seid uns egal.
Auch von der Bundesregierung scheint es bislang keine ernsthaften Bemühungen zu geben, den Druck auf das Regime in Iran zu erhöhen, um die Hinrichtungswelle zu stoppen. Der Druck muss also von denen kommen, deren Leben ohnehin schon in Gefahr ist: den politischen Gefangenen.
Das Leben aufs Spiel setzen
Im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses befinden sich Frauen über 70 Jahre, viele der Inhaftierten haben Erkrankungen. Dennoch setzen sie ihr Leben aufs Spiel, um für das Leben anderer zu protestieren. Ihnen haben sich weitere Gefangene im ganzen Land angeschlossen, wie zum Beispiel der Rapper Toomaj Salehi oder die kurdische Inhaftierte Zeynab Jalalian. Auch die Angehörigen der Gefangenen streiken mit ihnen, beispielsweise der 90-jährige Vater der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi.
Weltweit schließen sich Aktivist*innen dem Hungerstreik an. Auch ich streike, ebenso wie meine Kolleginnen Mariam Claren, Tochter der deutsch-iranischen politischen Gefangenen Nahid Taghavi, die Publizistin Mina Khani, die Fernsehmoderatorin Nina Moghaddam, die Journalistin Sahar Eslah und viele weitere.
Wenn politische Gefangene in den Hungerstreik treten, dann deswegen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, ihren Protest kundzutun. Wir im Ausland haben viele Wege, unseren Protest zu äußern: demonstrieren, Petitionen starten und unterschreiben, mit Entscheidungsträger*innen sprechen und vieles mehr.
Die Bundesregierung tut nichts
All das tun wir seit Jahren und besonders seit der Ermordung von Jina Mahsa Amini. Doch anscheinend werden wir kaum gehört. Es gibt keine Protestform, die wir nicht bereits ausprobiert haben. Viele Bundestags-, Landtags- und Europaabgeordnete stehen mittlerweile an unserer Seite, doch die Bundesregierung weigert sich, ihren Iran-Kurs zu ändern und endlich mit dem Appeasement aufzuhören. Uns bleibt also nichts anderes mehr übrig, als uns dem Hungerstreik der mutigen Frauen im Evin-Gefängnis anzuschließen, um Schallverstärker für ihren Protest zu sein, in der Hoffnung, endlich gehört zu werden.
Mit meinem Hungerstreik fordere ich von der Bundesregierung, den politischen Druck auf das Regime in Iran endlich zu erhöhen.
Ich tue das für Jamshid Sharmahd, den deutschen Staatsbürger, der 2020 aus Dubai entführt, nach Iran verschleppt und zum Tode verurteilt worden ist. Für die vier kurdischen politischen Gefangenen Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad Faramarzi und Mohsen Mazloum, die vor eineinhalb Jahren verschleppt worden sind, deren Familien nicht wissen, wo sie sind und wie es ihnen geht, und die jeden Moment hingerichtet werden könnten. Für die Protestierenden der „Frau Leben Freiheit“-Bewegung Mojahed Kourkour und Reza Rasaei, die für Freiheit auf die Straße gegangen sind und dafür nun hingerichtet werden sollen.
Ich trete in den Hungerstreik für ein Ende der Hinrichtungen. Für die Freilassung aller politischen Gefangenen. Für Frau, Leben, Freiheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg