Hungerhilfe im Strudel des Krieges

Der erste Konvoi des „Special Relief Program Angola“ der UNO ist in der südangolanischen Provinz Kwanza-Sul eingetroffen/ Kriegs- und Dürregeschädigte zwischen „Unita“-Angriffen, kubanischen Soldaten und politischen Vorgaben  ■ Aus Südangola Willi Germund

„Wenn wir da in der Nacht auftauchen, schießen die uns über den Haufen,“ zetert der 42jährige Eduardo aufgeregt. Ein gutes Dutzend anderer Lastwagenfahrer nickt zustimmend. Sie gehören zu einem Konvoi der Vereinten Nationen von 50 Lastwagen, der Hilfsgüter in die Provinz Kwanza-Sul gebracht hat. Jetzt stehen die Fahrzeuge in der Dämmerung am Straßenrand. Die untergehende Sonne taucht die weite, mit Büschen übersäte Ebene in rötlich schimmerndes Grün. In der Ferne glitzert schwach der Atlantik. Abenddämmerung aus dem afrikanischen Bilderbuch. Aber vor dem Konvoi liegt der Kwanza-Fluß. Die Brücke wird von einer Einheit der verbliebenen 12.000 in Angola stationierten kubanischen Soldaten bewacht. Und nach sechs Uhr abends ist die Straße gesperrt. Für jeden.

Drei Tage war der Konvoi im Niemandsland zwischen Regierungstruppen und der rechtsgerichteten Rebellengruppe Unita unterwegs. Jetzt, 80 Kilometer vor Angolas Hauptstadt Luanda, versagen die Nerven. Auf den Schutz der hellblauen UN-Fahne vertrauen sie schon gar nicht. Angolanische Soldaten an einer Straßensperre heizen die Unsicherheit bereitwillig an. „Wir lassen Euch durch, kein Problem,“ palavert einer fröhlich lächelnd und kommt nicht minder grinsend seiner Fürsorgepflicht nach: „Aber die Kubaner dahinten verstehen keinen Spaß, die schießen erst und fragen anschließend.“

Die ausländischen UN-Mitarbeiter geben dennoch nicht auf. Vorsichtig nähert sich ein weißer Wagen mit UN-Fahne dem kubanischen Stützpunkt. Denn auf freier Straße zu übernachten, auch dies scheint nicht gerade geheuer. Wenige Kilometer entfernt zeigen einige ausgebrannte Wracks am Straßenrand, daß die rechtsgerichtete Rebellentruppe Unita manchmal auch bis an die als „relativ sicher“ geltende Küstenstraße von Luanda nach Sumbe vorrückt. Zwar hatte die Unita — wie auch die Regierung — dem Hilfskonvoi freies Geleit zugesichert. Doch was die Rebellen darunter verstanden, wurde auf der Hinfahrt deutlich. Eine Unita-Einheit stoppte die schwerbeladenen Lastwagen auf der Strecke zwischen Sumbe und Gabela zweieinhalb Stunden lang. „Die wollten wohl zeigen, daß sie da sind,“ mutmaßte ein UN-Begleiter.

Knapp 100.000 Kriegsvertriebene leben Regierungsangaben zufolge in der Provinz Kwanza-Sul. Doch seit 1987 hat es in dem Gebiet kaum geregnet. Die Folge: Zu den Kriegsvertriebenen kommen weitere 200.000 Menschen, die wegen der Trockenheit ihre Existenzgrundlage verloren. „Der Bevölkerungsdruck auf die Stadt ist so stark, daß sie die Menschen nicht mehr aufnehmen kann,“ fürchtet Uwe Uebber von der Deutschen Welthungerhilfe in der Provinzhauptstadt Sumbe, 370 Kilometer südlich von Luanda.

Seine Hilfsorganisation verteilt in der Region seit Jahren Nahrungsmittel und versucht sich auch in der Aufforstung — eine Mühe, die zwar Regierungsunterstützung genießt, von der Natur jedoch nicht immer belohnt wird. 120.000 Bäume hat die Welthungerhilfe in der Gegend um Sumbe gepflanzt. Viele sind wieder eingegangen. Die von einfachen Adobe-Hütten übersäten Hügel an der Küste gleichen längst einer Wüste. Kahl liegt die gelbliche Erde, von tiefen Furchen zerklüftet, in der prallen Sonne. Alle Büsche sind längst zu Kleinholz verarbeitet worden. Wenn es einmal regnet, reißt das Wasser die Erde weg.

„Wir können nur mit Holz etwas Geld verdienen,“ nuschelt in gebrochenem Portugiesisch ein alter Mann in Wembele, 14 Kilometer außerhalb von Sumbe. Rund 4.600 Menschen leben in der Siedlung aus Adobe- und Schilfhütten direkt am Strand. Sie stammen aus den nur 30 Kilometer entfernten Bergen. Ein anderer Lagerbewohner hockt im Schatten einer Palme und knüpft an einer Schilfmatte. Ihm fehlt der linke Unterschenkel — weggerissen von einer Mine, als er auf dem Feld arbeitete.

Überleben an der Atlantikküste: Fischen lernen oder Holz verkaufen

„Wir haben nicht genug zu essen,“ klagt er. Fünf Kilo Mais, ein Pfund Bohnen und etwa ein Liter Speiseöl erhält alle 15 Tage jede Person einschließlich der Kinder in Wembele. Die erste Ration der Welthungerhilfe kam erst Ende November an. Die Leute sind aber schon seit September in Wembele. Fischen können die ehemaligen Bergbewohner noch nicht. Der sandige Boden eignet sich nicht für Landwirtschaft. Die Welthungerhilfe unterhält ein „Food for Work“-Projekt. Wer Bäume pflanzt, erhält im Gegenzug Nahrungsmittel. Nur mit Holzverkauf kommt man daher an ein wenig Bargeld. Wembeles Bewohner laufen bis zu zehn Kilometer, um Kleinholz schlagen zu können und schleppen es anschließend 14 Kilometer nach Sumbe. Ein Bündel bringt 50 bis 100 Kwanzas oder eine Drittelbüchse Bier — das ist angesichts der massiven Inflation die bevorzugte stabile Währung.

Die Offiziellen der Provinzregierung in Sumbe hoffen, daß die Versorgungslage sich bald bessern wird. Der UN-Konvoi war die erste Lieferung des „Special Relief Program Angola“. Knapp 300.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe wollen die Vereinten Nationen landesweit verteilen lassen — wenn sie soviel erhalten. Über eine halbe Million Menschen kamen bisher in Angolas Krieg ums Leben. 700.000 Menschen wurden wegen der Lage seit 1975 vertrieben. 450.000 von ihnen sollen in den Genuß des UN-Programms kommen. Außerdem bedürfen laut den Vereinten Nationen weitere 1,45 Millionen Menschen der Hilfe, weil durch die dreijährige Trockenheit nichts mehr wächst.

Doch das Riesenvorhaben der Vereinten Nationen soll nicht nur Not lindern. Es soll helfen, den letzten Ost-West-Konflikt zu beenden. Jahrelang versorgten Moskau und Havanna die sozialistische Regierung in Luanda mit Waffen und Wirtschaftshilfe. Die USA treiben das gleiche bis heute mit der Unita von Jonas Savimbi. „Unser Programm ist politisch“, gibt ein UN-Beamter zu. Die Lastwagen fahren immer erst los, wenn sie die Genehmigung der linksgerichteten MPLA-Regierung wie der US-unterstützten Unita eingeholt haben. Dies soll vertrauensfördernd wirken.

„Unser Programm ist politisch“

Das Hilfsprogramm als politische Steigleiter findet allerdings nicht nur Freunde. Wie dünn das Eis ist, auf dem sich die Hilfsorganisationen bewegen, mußte selbst das Internationale Rote Kreuz (IKRK) erfahren. Obwohl es unter anderem ein Krankenhaus im Unita-Gebiet unterhält, entzog Savimbi den Schweizern vorübergehend die Erlaubnis, Hilfe in Konfliktgebiete zu bringen. Einfach hat es das IKRK auch nicht mit der Regierung. Nach langen Diskussionen scheint es nun aber bald so weit, daß das Rote Kreuz auch Kriegsgefangene in Armeegewahrsam besuchen kann. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten in einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land.

Kein Wunder, daß die Fahrer des Konvois aufatmeten, als sie nach kurzen Verhandlungen die von den Kubanern in gleißendes Scheinwerferlicht getauchte Brücke über den Kwanza-Fluß passiert hatten. Die kubanische Einheit machte nicht den geringsten Versuch, dem Ruf gerecht zu werden, den sie bei ihren angolanischen Kollegen genießen. Die ausländischen UN-Mitarbeiter klopften sich nach dem Spießrutenlauf vor leichten Geschützen und Maschinengewehren trotzdem frohlockend auf die Schultern. Ein weiterer kleiner Schritt war geschafft.