Hundeschlittenrennen bei Minus 50 Grad: Der Hase, den die Meute hetzt

Eisstürme und menschenleere Wildnis: Der Yukon Quest, auf 1.600 Kilometern zwischen dem Yukon Territory und Alaska, gilt als härtestes Rennen der Welt.

Die Schlittenhunde sind die eigentlichen Stars des Rennens. Bild: imago/Friedrich Stark

„Es hörte sich an, als ob die Saite einer Violine gesprungen sei“, wird sich Hans Gatt später erinnern. „Der metallische Ton hallte noch ewig in meinem Kopf nach und ich konnte den Haarriss unter meinem Schlitten förmlich spüren.“ Dann ging alles ganz schnell. Knacken, Krachen, Eis bricht.

Als Erstes versinkt der komplette Schlitten mitsamt seinem Führer und dem Gepäck im Birch Creek, dann gibt das dünne Eis auch unter den angeschirrten Huskies nach.

Irgendwann stoßen die Kufen endlich auf meterdickes Eis. Glück im Unglück. Das war einer dieser tückischen Overflows. Dünn überfrorenes Strömungswasser, versteckt unter Neuschnee.

Der Austroamerikaner Hans Gatt steckt bis zum Hals im Wasser. Viel Zeit bleibt dem Hundeschlittenführer nicht. Nach drei, vier Minuten stirbt selbst ein abgehärteter Dogmusher bei einer Wassertemperatur um den Gefrierpunkt. Irgendwie kämpft sich der mehrfache Yukon Quest Champion aufs feste Eis zurück, zieht Hunde und Schlitten aus dem Loch.

Jetzt hat Gatt ein weiteres ernsthaftes Problem: Die Quecksilbersäule zeigt bitterkalte 48 Grad unter Null, die Feuerzeuge sind unbrauchbar, seine Kleidung sofort stocksteif gefroren und er muss die Hunde schnellstmöglich von ihren vollgelaufenen Booties befreien. Denn friert das Wasser in den Schühchen fest, würden die Pfoten der Tiere irreparabel geschädigt werden. Der Rest ist kein Problem für die Huskies, ihr dichtes Fell schützt sie selbst bei so einem frostigen Bad.

Yukon Quest: Das International Sled Dog Race gilt als das schwerste Hundeschlittenrennen der Welt. Der diesjährige 31. Wettbewerb beginnt am 1. Februar in Fairbanks/Alaska und dauert ca. zwei Wochen. yukonquest.com

Unterkunft: Minnie Street B&B, DZ im Winter ab 70 Dollar, minniestreetbandb.com, Chena Hot Springs Resort mit großem Geothermal-Außenpool Pool und Eismuseum, chenahotsprings.com.

Veranstalter: Einige Spezial-Veranstalter schnüren individuelle Pakete zusammen, z. B. Pioneer Tours (pioneertours.de) oder ortsansässige (mitunter deutsche) Familienunternehmen wie die SIR North Country Ranch von Rolf und Ingrid Schmitt in Whitehorse. Der ehemalige Wuppertaler und mehrfache Yukon-Quest-Gewinner Sebastian Schnülle bietet verschiedene Hundeschlittentouren an, von halbtags bis mehrwöchig, bluekennels.de

Musher würden ihre Huskies besser behandeln als ihre Frauen, witzelt man in der Gegend. Gatt zieht sich bei der Befreiungsaktion Erfrierungen dritten Grades an seinen Fingern zu, wird kurze Zeit später das Rennen quittieren müssen. Es hätte noch viel schlimmer kommen können, doch der Mittfünfziger scheint einen nordischen Schutzengel zu haben. Einer seiner stärksten Konkurrenten, der Deutschkanadier Sebastian Schnülle, kommt zur Unglücksstelle, macht sofort Feuer und versorgt den Österreicher mit trockener Kleidung.

So eine Hilfe ist selbstverständlich in Alaska und im Yukon, auch wenn sie den gebürtigen Wuppertaler in diesem Fall den Sieg kosten wird. Jahr für Jahr spielen sich ähnliche Szenen ab beim „härtesten Hundeschlittenrennen der Welt“, wie der Yukon Quest auch genannt wird. Dieses Bis-an-die-Grenzen-Gehen und mitunter noch ein Stück darüber hinaus, zieht Musher wie auch Abenteuertouristen magisch in seinen Bann.

Treffen an den Checkpoints

Die eingefleischten Fans fahren in kleinen Konvois mit allradtauglichen SUVs zu den sogenannten Checkpoints, wenn sie sich nicht selbst gerade als Schlittenführer auf einer der Ranches versuchen. Die Feuerwache im amerikanischen Circle City, ganz in der Nähe des Birch Creeks, ist so einer.

Dort wärmen sich die Musher nach Tagen in subarktischer Wildnis endlich wieder auf, stärken sich mit deftigem Elchfleisch-Eintopf und heißem Tee, finden ein paar kurze Stunden Schlaf. Natürlich erst nachdem sie ihre Hunde mit Kraftfutter und Stroh versorgt haben. Denn die vierbeinigen Gesellen sind die eigentlichen Stars des Wettbewerbs. Renntierärzte haben sich provisorisch eingerichtet zwischen Löschgerät, Spitzhacken und Feuerschutzhelmen.

Von hier aus funken Journalisten aktuelle Rennergebnisse in die Welt. Und dazwischen überall freiwillige Helfer und Aktivurlauber aus Nordamerika und Europa. In Alaska und im Yukon Territory geht so etwas noch. Die Magie des Nordens vereint alle auf friedlichste Art und Weise, die Liebe zu den Huskies tut ihr Übriges.

„Schnellstraße des Goldrauschs“

Von weit her sind die Musher über den mächtigen Yukon-Strom in die 92-Seelen-Gemeinde Circle City gekommen. In Whitehorse, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Yukon Territory, begannen sie ihr großes Abenteuer eine Woche zuvor. Die 25 Teams folgen der alten Post- und Handelsroute aus Zeiten des großen Goldrauschs um 1900, die die Schürfgebiete des legendären Klondike im Zentralyukon via Alaska mit der Außenwelt verbanden. Fast alles lief damals über die „Schnellstraße des Goldrauschs“, den Yukon River, im Sommer per Schiff, im Herbst und Frühling per Pferdeschlitten und im eisigen Winter mit dem Hundegespann.

Es war die Ära der tapferen Einzelkämpfer wie Percy de Wolfe. Der Postunternehmer sollte als „Iron Man of the North“ in die amerikanische Geschichte eingehen. Über 40 Jahre lang beförderte er Briefe zwischen Eagle in Alaska und der berühmt-berüchtigten Goldgräberstadt Dawson City in Kanada. Brachte lang ersehnte Kunde von Frauen, Müttern und Kindern aus der fernen Heimat zu den entwurzelten Goldschürfern, die allesamt auf das eine große Gold-Nugget hofften, das ihnen sagenhaften Reichtum und die Rückkehr als gemachter Mann versprach. Noch immer ist Percy de Wolfe die Ikone der Hundeschlittenführer von heute.

„Ich bin der Hase“

Von Whitehorse führt ihre erste Etappe über 100 Meilen oder 161 Kilometer zum ersten Checkpoint nach Braeburn über den großen Strom und den Trans Canada Trail. Hier schon sortiert sich das Feld. Vorn die Aspiranten auf den begehrten Titel, hinten diejenigen mit dem eher olympischen Gedanken, bei denen nur die Teilnahme zählt. „Wenn du vorne läufst, bist du der Hase, den die Meute hetzt“, weiß der Quest-Gewinner von 2012, Raubein Hugh Neff, zu berichten. „Ich bin der Hase, getrieben vom Heulen der Huskies in tiefer Nacht.“

Anders als bei heimischen Rennen können die Schaulustigen das Geschehen nur von bestimmten Punkten aus verfolgen, nämlich immer dort, wo eine befahrbare Straße die Rennstrecke kreuzt. Da es aber kaum Autopisten gibt im hohen Norden, passiert dies eher selten.

In diesem Fall genau einmal an der Takhini River Bridge, von der aus sie die Musher und Huskies lautstark anfeuern. So treffen sich die Touristen an solchen neuralgischen Punkten immer wieder, fachsimpeln und tauschen sich aus mit Informationen, wo es denn eigentlich die nächste offene Tankstelle gäbe oder vielleicht einen beheizten Schlafplatz in einer Schule für die Nacht.

Durch Eis und Nacht jagen die Gespanne Dawson City entgegen, kämpfen gegen Berge, Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Irrungen und Wirrungen sind an der Tagesordnung. Manche Musher kommen vom Weg ab und verlieren sich im Nirgendwo. Einige schlafen selbst im Stehen bei voller Fahrt durch die klirrend kalte Nacht oder halluzinieren gar.

Tanzende Geister über den Bergen

Die flackernden Polarlichter tun ihr Übriges. „Manchmal sehe ich Geister über den Bergen tanzen, weiß nicht so recht, ob ich grad träume oder noch wach bin“, schildert der Biologe und amtierende Champion Allen Moore seine selbst gewählte Odyssee.

In Dawson City ist Halbzeit und die Rennteilnehmer müssen eine 36-stündige Pause einlegen. Zeit der Regeneration für Mensch und Tier. Zeit für die Veterinäre, die American und Sibirian Huskies genauer unter die Lupe zu nehmen und kleine Blessuren zu behandeln. Zeit, seine Liebsten in den Arm zu nehmen oder für einen Plausch mit den Fans in den Saloons der alten Goldgräberstadt.

Mit seinem Roman „Ruf der Wildnis“ verschaffte Jack London der Stadt einen festen Platz in der Weltliteratur. Und noch heute scheint man einen Hauch vom längst verflogenen Geist des Goldrauschs spüren zu können. Dabei ist heutzutage nur zweimal im Jahr richtig was los in der 1.700-Seelen-Gemeinde, die einst von 100.000 Goldgräbern unsicher gemacht wurde: Im Februar zum Yukon Quest und im November zur Fulda Challenge, wenn der gleichnamige deutsche Autoreifen-Hersteller seinen subarktischen Zehnkampf mit allerlei Prominenz aus Sport und Showbiz medienwirksam in Szene setzt.

Nur die Hälfe schafft es

Nur gut die Hälfte der Gespanne wird es am Ende über die kanadisch-amerikanische Staatsgrenze und von dort über Circle City bis nach Fairbanks schaffen. Kurz vor Toresschluss hat der Eagle Summit in den White Mountains schon so manchen Traum vom nahen Sieg zunichte gemacht.

Zumindest bei jedem zweiten Quest, denn die Richtung des Rennens alterniert von Jahr zu Jahr. Hier scheiterte selbst Haudegen Hugh Neff, als über der vegetationslosen Kuppe ein Eissturm fegte und die gefühlte Temperatur auf unerträgliche minus 80 Grad fiel. Manchmal sind es eben nicht die gehetzten Hasen, die das Rennen machen, sondern die alten. Mit 55 Jahren konnte der sympathische Allen Moore den Wettkampf 2013 für sich entscheiden.

Der gleichaltrige Hans Gatt will es in diesem Jahr etwas ruhiger angehen und hat sich lediglich für das etwas leichtere Iditarod Sled Dog Race gemeldet. Sebastian Schnülle hingegen bleibt seinem Quest treu, auch wenn er 2014 nur die verkürzte Variante über 300 Meilen fahren will.

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