Hund Pico über seinen Gerichtsprozess: „Riot dogs, vereinigt euch!“
Pico steht am Donnerstag vor Gericht, er soll den Volkstrauertag in München gestört haben. Er fordert das Recht auf freie Meinungsäußerung auch für Hunde.
taz: Pico, mit anhaltendem Gebell sollst Du die Teilnehmer einer Veranstaltung zum „Volkstrauertag“ in München im vergangenen November gestört haben. Der zweite Prozesstag in Deiner Gerichtsverhandlung findet diesen Donnerstag statt. Was wird Dir vorgeworfen?
Pico: Wuff wuff!
Geht es auch etwas genauer?
Der Hund Pico störte den Volkstrauertag in München 2013 durch anhaltendes, lautes Bellen. Weil sein Besitzer sich weigerte wegen „nicht unterbundener Ruhestörung“ einen Bußgeldbescheid über 100 Euro plus Verwaltungskosten zu bezahlen, muss nun das Gericht entscheiden. An diesem Donnerstag (17.04.) kommt es zu einem zweiten Verhandlunstag vor dem Münchener Amtsgericht.
Mir bzw. meinem Herrchen wird unzulässiger Lärm zur Last gelegt. Im Anklageschreiben heißt es, dass ich ab dem Moment, als die Kapelle der Bundespolizei in Begleitung mit dem Ehrenregiment der Bundeswehr in den Münchener Hofgarten einzog, laut zu bellen begann und erst zum Ende der Veranstaltung wieder aufgehört hätte. Die Teilnehmer des „Volkstrauertages“ und der Schweigeminute soll ich damit „erheblich belästigt“ haben.
Wie haben die Besucher vor Ort auf Dich reagiert?
Ich und die Menschen, die mit mir da waren, wurden böse angekläfft, auch vor Morddrohungen wurde nicht zurückgeschreckt. „Den Hund sollte man erschlagen“, sagte einer der Anwesenden. Von den rechten Burschenschaftlern und anderen Rechtskonservativen war auch nichts anderes zu erwarten. Aber ich lasse mir keinen Maulkorb verpassen. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann äußere ich das auch.
Auch von einem Hund könnte man ein bisschen Pietät erwarten, oder? Stattdessen führst Du kleiner Pinscher Dich auf wie eine Bulldogge.
Keine rassistischen Beleidigungen bitte. Außerdem, wie pietätvoll ist es, den Opfern von Kriegen mit militärischen Ehren zu gedenken? Mit zur Schau gestellten Orden, Uniformen und Waffen wird hier angeblich getrauert, um Opfer genau dieses militaristischen Denkens.
Du bist nicht das erste Mal politisch auffällig geworden. In einem Mobilisierungsvideo für die Proteste gegen die Münchener Sicherheitskonferenz gibst Du den Rudelführer. Was soll das?
Die Bundeswehr wirbt ja auch massiv mit allen medialen Mitteln um neues Kanonenfutter. Da muss ich den mir von Natur aus gegebenen Vorteil, dass die Menschen mich so süß finden, möglichst medienwirksam nutzen.
Hast Du Dich mit Deinem schwarzen Halstuch auch unter die Krawallmacher der Roten Flora-Demonstration in Hamburg Ende vergangenen Jahres gemischt?
Nein, Hamburg und andere radikale Veranstaltungen sind nicht mehr mein Fall. Die Polizeigewalt wird auch immer massiver und ich bin ja nun auch schon über 40 Hundejahre. Früher war das anders: 2010 und 2011 habe ich in Dresden geholfen, die Nazis aus der Stadt zu vertreiben. Aber inzwischen gehe ich es lieber ruhiger an, stelle mich für Werbeaktionen zur Verfügung oder nehme an Demos gegen Leinenzwang teil. Am kommenden Samstag gehe ich zum Ostermarsch, da muss ich dann auch niemenschen verbellen.
Hast Du das erste Mal mit Polizei und Justiz zu tun?
Vor drei Jahren wurde mir unterstellt, ich wäre der Kopf einer Allgäuer Kampfhundezucht. Nach Inaugenscheinnahme durch ein Polizeispezialkommando wurde das dann aber nicht weiter verfolgt.
Was für eine Strafe droht Dir im aktuellen Prozess?
Natürlich hoffe ich auf einen Freispruch. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung muss auch für Hunde und andere Lebewesen gelten. Keine Ahnung, ob das Gericht das auch so sieht. In den Zwinger muss ich wohl nicht, aber eine Geldstrafe könnte es schon geben.
Wie willst Du für die Strafe aufkommen?
Sollte es dazu kommen, wird die Rote Hilfe für die Hälfte aufkommen. Für den Rest werden wir wohl eine Soliparty veranstalten, auf der Mensch dann Pico-Artikel wie Buttons und Autogrammkarten erwerben kann.
Gab es denn auch solidarische Rückmeldungen?
Neben vielen sehr positiven Pressemeldungen vom ersten Prozesstag hat auch das Haus der Geschichte in Bonn angefragt ob ich an einer Ausstellung zu Gedenkveranstaltungen teilnehmen möchte.
Und möchtest Du?
Naja, ich habe nicht so richtig Lust, im Museum herumzustehen, ich brauche mehr Auslauf. Aber meine Leine können sie haben.
Hast Du Kontakt zu Louk, dem riot dog aus Athen, der bei allen Straßenkämpfen der vergangenen Jahre in der ersten Reihe dabei war?
Bisher haben wir noch keinen Kontakt, ich würde mich aber freuen, wenn dieser irgendwie zustande kommt. Riot dogs aller Länder, vereinigt euch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern