Humboldt-Ausstellung in Berlin: Nicht nur Helden

Das Deutsche Historische Museum eröffnet eine Ausstellung über die Humboldt-Brüder. Diese werden historisch-kritisch in ihrer Zeit verortet.

Offenes Buch

Reisetagebücher von Alexander von Humboldt, zu sehen im DHM Foto: Carola Seifert/Staats­bibliothek zu Berlin/bpk

Im öffentlichen Bewusstsein sind die Brüder Humboldt so etwas wie die perfekten deutschen Helden. Wilhelm, der preußische Bildungsminister und heute Namensgeber der Humboldt-Universität, steht für das Ideal von Bildung als Programm der ständigen Vervollkommnung der Persönlichkeit, Alexander, der Weltreisende und Naturforscher, für das vorurteilslose Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis.

Frisch befeuert wurde die Heldengeschichte durch das Humboldt Forum, das sich – aufgeschreckt durch die Diskussion über die Legitimität seiner ethnologischen Objekte – mit der Idealisierung seiner Namensgeber ins rechte Licht zu rücken suchte.

Diese schwärmerische Bild wird von der an diesem Donnerstag im Deutschen Historischen Museum eröffnenden Ausstellung „Wilhelm und Alexander Humboldt“ infrage gestellt. Zwar habe man bei der Recherche einige „Reliquien“ entdeckt – etwa den Schreibtisch Alexanders, seine Brille, seine Totenmaske – „und wir hätten damit auch eine weitere Heldengeschichte schreiben können“, so Kuratorin Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin an der TU und wohl bekannteste Kritikerin des Humboldt Forums.

Genau das habe man aber nicht gewollt: Ihr und ihrem Kollegen David Blankenstein sei es um eine historisch-kritische Verankerung der Brüder in ihrer Zeit gegangen – um den BesucherInnen ein Gefühl zu geben für die Zeit um 1800, aber auch, um die Widersprüche in den Persönlichkeiten und Lebenswegen der Humboldt-Brüder verständlich zu machen.

Die Ausstellung auf rund 1.000 Quadratmetern im Untergeschoss des PEI-Bau umfasst 350 Objekte mit zahlreichen Leihgaben aus ganz Europa, darunter aus den Vatikanischen Sammlungen, dem Louvre, dem British Museum und Windsor Castle.

"Wilhelm und Alexander von Humboldt" im Deutschen Historischen Museum, 21. November 2019 bis 19. April 2020, taglich 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Eintritt bis 18 Jahre frei, Tagesticket 8 Euro, ermäßigt 4.

Die Ausstellung ist barrierrefrei und inklusiv: Kommunikations-Stationen, die jeweils mindestens zwei Sinne ansprechen, sind neben einem taktilen Bodenleitsystem, Gebädensprachvideos, Ausstellungstexcten in Braille, und Leichter Sprache Teil der Ausstellungsgestaltung.

Es gibt einen Katalog zur Ausstellung in deutscher Sprache, 296 Seiten, 28 Euro.

Im vielfältigen Begleitprogramm gibt es unter anderem eine Führung der KuratorInnen Bénédicte Savoy und David Blankenstein (27.11., 18:30 Uhr, PEI-Bau). Mehr unter: www.dhm.de

Forscherdrang und Ausbeutung

Die Ausstellung geht daher in weiten Teilen nicht biografisch, sondern anhand zentraler Themen vor. Im Kapitel „Offene Beziehungen“ etwa wird – mit Zeichnungen, Briefen, Büsten und Gemälden – die Berliner Welt der literarisch-philosophischen Salons dargestellt, in der die beiden jungen Männer verkehrten und Wilhelm erste amouröse Erfahrungen machte (von Alexander ist diesbezüglich nichts bekannt; heute nimmt man an, dass er schwul war). „Es war uns auch wichtig, zu zeigen, dass die klugen, die fortschrittlichsten Kreise in dieser Zeit die jüdischen waren“, erklärt Savoy – was Wilhelm später nicht davon abgehalten habe, sich „von seinen jüdischen Freunden zu distanzieren“ und sich antisemitisch zu äußern.

Im Themenblock „Ausweitung der Denkzone“ werden die Reisen der Brüder behandelt – etwa anhand von Alexanders Reisetagebüchern. Für Wilhelms weniger bekannte Europareise steht ein Bild seiner Familie, das Savoy und ihr Co-Kurator in einem Museum im Baskenland gefunden haben, sowie ein Cacolet, ein baskischer Sattel mit zwei Sitzen, ein Reiseutensil der damaligen Zeit.

Dass diese Reisen – vor allem die Alexanders – nicht allein von Forscherdrang angetrieben waren, wie heute vielfach dargestellt, belegen viele Exponate: Proben von Sandgold etwa zeigten, so Savoy, dass „sammeln nicht einfach sammeln ist“, sondern auch explorieren – um auszubeuten. Auch eine von Alexander gemalte Weltkarte, die Metallströme illustriert, demonstriert, warum er später – und damals durchaus positiv gemeint – als „Vater des deutschen Kolonialismus“ bezeichnet wurde.

Das wohl berüchtigteste Sammelstück Alexanders ist übrigens nicht zu sehen: der Atures-Schädel, den Alexander am Orinoco aus einer Grabhöhle raubte – im vollen Bewusstsein des Unrechts, das er den „Indianern“ damit antat. Stattdessen könnten die BesucherInnen einen Brief von Humboldt lesen an seinen Lehrer Johann Friedrich Blumenbach, für dessen anthropologische Studien er den Schädel mitnahm.* Diesen „geschändeten Kopf“ habe man nicht ausstellen wollen, so Savoy. „Aber wir wollten trotzdem über die Geschichte sprechen.“

* In einer ersten Fassung stand hier fälschlicherweise, es werde eine Zeichnung des Schädels gezeigt.

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