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Humanitäre Katastrophe im KongoÜber sechs Millionen auf der Flucht

Hilfswerke schlagen Alarm. Die Vertriebenenzahlen im Ostkongo sind auf eine Rekordzahl gestiegen, die Nothilfe ist unterfinanziert.

Großstädte in Weiß: Ein Vertriebenenlager am Rande von Ituris Provinzhauptstadt Bunia, Anfang März Foto: Paul Lorgerie/reuters

Berlin taz | Die humanitäre Notlage in den Kriegsgebieten der Demokratischen Republik Kongo wird immer dramatischer. Zehn Millionen Menschen benötigten dringend Unterstützung zum Überleben, zugleich nehme die Gewalt zu, warnten am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung die Hilfswerke Oxfam, Care und Danish Refugee Council. Am Montag sprach Ärzte ohne Grenzen in Bezug auf die am schwersten betroffenen Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes von einer „humanitären Katastrophe“ und nannte die internationale Reaktion darauf „völlig unzureichend“.

Noch während die Hilfswerke Alarm schlugen, erwiesen sich ihre eigenen Daten als veraltet. Die Erklärung vom Dienstag nennt die Zahl von 5,8 Millionen Binnenflüchtlingen und Vertriebenen in dem Land mit rund 95 Millionen Einwohnern. Am gleichen Tag veröffentliche das humanitäre UN-Koordinierungsbüro OCHA neue Zahlen. Es seien jetzt über 6,2 Millionen: Allein seit Dezember 2022 seien 538.000 neue Vertriebene registriert worden. Trotz 199.000 registrierter Rückkehrender sei die Zahl damit auf einen Rekordwert gestiegen.

Im Februar hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR noch 6,06 Millionen Binnenvertriebene gezählt. Meist sind es Bauernfamilien, die auf ihren Feldern oder auf den Wegen zum Markt von Bewaffneten angegriffen und bestohlen oder getötet werden und daher Zuflucht und Schutz woanders suchen.

Ein Hauptgrund für die rapide Zunahme der jüngsten Zeit ist die Ausweitung des Krieges der Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März), geführt von kongolesischen Tutsi, in Nord-Kivu. Sie haben die Provinzhauptstadt Goma faktisch umzingelt und vom Umland abgeschnitten. Anti-Tutsi-Milizen, die mit dem Segen der Armee gegen die M23 vorgehen, sorgen für zusätzliche Unsicherheit im Umland. Zwar ist eine ostafrikanische Eingreiftruppe präsent, aber sie hat weder den Krieg beendet noch den auf diplomatischer Ebene vereinbarten Dialogprozess vorangebracht.

Nach Berechnungen der UN-Migrationsorganisation IOM stieg die Zahl der durch den M23-Krieg vertriebenen Menschen in Nord-Kivu zwischen November 2022 und März 2023 von 180.000 auf über 900.000, obwohl im gleichen Zeitraum fast 270.000 wieder nach Hause gingen. Weiter nördlich in Nord-Kivu sorgen die regelmäßigen Terrorangriffe der ursprünglich ugandischen Miliz ADF (Allied Democratic Forces), die sich zum globalen „Islamischen Staat“ zählt, für massives Elend. Und in der nördlichen Nachbarprovinz Ituri sind seit Jahren zahlreiche ethnische Milizen aktiv, in keiner anderen kongolesischen Provinz sind prozentual so viele Menschen auf der Flucht – 1,6 Millionen, ein knappes Drittel der Gesamtbevölkerung. Beim jüngsten Massaker an einer Hauptstraße im Süden Ituris töteten mutmaßliche ADF-Kämpfer in der Nacht zum Dienstag mindestens 31 Menschen.

Bereits im Januar schlug Ärzte ohne Grenzen Alarm: Die Bevölkerung des Vertriebenenlagers Rhoe nahe der Stadt Drodro in Ituri habe sich auf 70.000 Menschen verdoppelt, es gebe nicht genug Wasser für alle. Manche zogen weiter. Jetzt meldet OCHA, allein in der Woche vom 20. bis 26. März seien 28.000 weitere Menschen nach Rhoe gekommen, dort lebten nun 84.000.

„Die Unsicherheit behindert Hilfsaktionen“, warnen die drei Hilfswerke in ihrer gemeinsamen Erklärung. Zugleich sei der UN-Hilfsappell für die Demokratische Republik Kongo für das Jahr 2023 in Höhe von 2,25 Milliarden US-Dollar nur zu rund 10 Prozent finanziert.

Die weltweit gestiegenen Lebensmittelpreise wirken sich zusätzlich auf die Versorgung nicht nur der Vertriebenen aus. Das unabhängige Family Early Warning System, das für UN und Weltbank Hungerdaten weltweit ermittelt, meldet in seiner letzten Erhebung für Ostkongo vom Februar 2023 eine Stabilisierung der Preise, aber auf hohem Niveau – 24 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Demokratische Republik Kongo zählt laut UN ohnehin schon 26,4 Millionen Menschen in „Ernährungsunsicherheit“, die Vorstufe zur Hungerkrise. Es dürften in diesem Jahr – für Kongo ein Wahljahr – noch mehr werden.

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