: Hürdenläufe
■ Gesamtdeutsche Wahlen noch vor der Einheit beider Staaten sind (nicht nur) verfassungsrechtlich umstritten
Jenseits wahltaktischer Überlegungen ist dem Vorstoß der Bonner Koalition, doch noch im Januar 1991 gesamtdeutsch wählen zu wollen, ein politisch und rechtlich schwieriger Weg vorgezeichnet. Seit die Diskussion um Art.23 oder 146 abgeflaut ist, werden zur Zeit nur noch die nach Art. 23 möglichen Varianten durchgespielt.
1. Die Volkskammer der DDR beschließt mit Mehrheit den Beitritt zur Bundesrepublik.
2. Die neu zu bildenden DDR-Länder erklären ihren Beitritt.
Beide Varianten wären notfalls ohne Zustimmung der Bonner Opposition zu erreichen. Ohne die DDR-SPD ginge allerdings fast nichts. DDR-Außenminister und amtierender SPD-Chef (Ost) Meckel will sich offensichtlich noch nicht festlegen. Der SPD-Vorsitzende (West) Vogel hat das ohne Schnörkel so ausgedrückt: „Der Hebel liegt drüben.“ In der Tat: Denn beide Varianten würden von sich aus wirksam und könnten, jedenfalls von der Bonner Opposition, rechtlich nicht unterlaufen, wenn auch verzögert werden. Ein Beschluß der Volkskammer wäre auch ohne SPD-Zustimmung zahlenmäßig denkbar, wenn auch unwahrscheinlich. In beiden Fällen bedarf es eines völkerrechtlichen Vertrages und eines entsprechenden Bundesgesetzes. Die realpolitischen Möglichkeiten der zweiten Variante lassen sich so umreißen: Die DDR-Landesparlamente werden am 2.Dezember gewählt und erklären unmittelbar nach ihrer Konstituierung ihren Beitritt zur BRD. Die Modalitäten für einen solchen Beitritt jedoch müssen in den Länderverfassungen enthalten sein; bisher existieren aber nicht einmal Entwürfe dafür. Ein Beitritt der DDR-Länder müßte so unbedingt vor dem 13. Januar 1991 erfolgen - dem letztmöglichen Wahltermin für den Bundestag, dessen Wahlperiode spätestens nach 47 Monaten endet.
Das mag der Jurist H.-J. Vogel im Kopf gehabt haben, als er gesamtdeutsche Wahlen für den 2. Dezember mit dem Hinweis, die DDR-Länder müßten dann bereits im September gebildet werden, so gut wie ausschloß. Für das DDR-Gebiet müßte zunächst das Grundgesetz in Kraft gesetzt werden - was wiederum eines Bonner Gesetzes bedarf. Erst dann kann der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung den Wahltermin bestimmen. Selbst wenn alle Möglichkeiten eines beschleunigten Gesetzgebungsverfahrens Anwendung fänden, hätte die Bonner Opposition noch Chancen, das Vorhaben zu Fall zu bringen. Mit ihrer neuen Bundesratsmehrheit könnte sie zunächst nach einem Gesetzesbeschluß des Bundestages Anfang Dezember den Vermittlungsausschuß anrufen, dessen Mehrheitsempfehlung dann wiederum dem Parlament und der Ländervertretung vorgelegt werden müßte. Allein für die Anrufung des Vermittlungsausschusses hätte der Bundesrat drei Wochen Zeit. Schon allein wegen dieser Fristenregelung gilt es als unwahrscheinlich, daß die Teilnahme der DDR an der (gesamtdeutschen) Bundestagswahl dann noch bis zum 13. Januar unter Dach und Fach zu bringen wäre.
Bei allen Unwägbarkeiten über die verschlungenen Pfade zu einem gesamtdeutschen Parlament gilt nun als ziemlich sicher: Eine Zustimmung der Bonner SPD-Opposition für eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit für eine Verlängerung der laufenden Legislaturperiode des Bonner Parlaments wird es nicht geben.
jon
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