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Hürden am Wahltag in Berlin„Alle erreichen ihr Wahllokal“

Viele Straßen sind durch den Marathon blockiert, die Briefwahl ist kompliziert, der Tegel-Stimmzettel sorgt für Irritationen: Was tun, Frau Wahlleiterin?

Und wie soll man da jetzt durchkommen zum Wahllokal? Typische Marathon-Szene in Berlin Foto: reuters
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

taz: Frau Michaelis, stellen Sie sich vor, es ist Wahl, und keiner kommt hin.

Petra Michaelis: Es werden alle Wahlberechtigten ihr Wahllokal erreichen, da habe ich gar keine Zweifel.

Parallel zur Bundestagswahl am 24. September findet der Marathon statt. Werden da nicht viele Wege zu den Wahllokalen blockiert sein?

Die Marathonstrecke führt quer durch die Stadt, insbesondere durch Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. Wir gehen davon aus, dass zirka 42.000 Wahlberechtigte die Marathonstrecke überqueren müssen, um ihr Wahllokal zu erreichen. Darüber haben sich alle Beteiligten – die Landeswahlleitung, die Bezirkswahlämter, der Veranstalter des Marathons und die Polizei – natürlich Gedanken gemacht. Wir haben mit der Wahlbenachrichtigung ein Informationsblatt an die Betroffenen geschickt. Da ist aufgeführt, wann eine Überquerung der Marathonstrecke nur mit größeren Wartezeiten möglich ist.

Der Marathon startet um 9.15 Uhr. Vor allem am Vormittag wird man in der Innenstadt zeitweise gar nicht die Straßenseite wechseln können.

Ja, für die Wahllokale, die direkt an der Strecke liegen, wird es zu Einschränkungen kommen. Wenn der große Pulk vorbei läuft, ist eine Überquerung tatsächlich nicht möglich. Das kann bis zu zwei Stunden dauern. Wir haben aber verabredet, dass der Veranstalter Querungen einrichtet. Es gibt die sogenannte Londoner Querung, die man in Großbritannien praktiziert. Da werden Passanten als Gruppen versammelt und die Läuferinnen und Läufer dann so umgelenkt, dass die Passanten über die Straße gelangen.

Wahl und Marathon

Der Termin für den Berlin-Marathon stand schon fest, als der Bundestag den Wahltermin auf den 24. September legte. Beides sind logistische Herausforderungen, die sich nun zumindest teilweise in die Quere kommen: Die Marathonstrecke verläuft einmal rund durch die Berliner Innenstadt, zahlreiche Straßen sind zumindest teilweise gesperrt. Insgesamt werden mehr als 40.000 Teilnehmer erwartet und mehrere hunderttausend Zuschauer. (taz)

Das funktioniert aber nur bei breiten Straßen.

Deshalb sollen an vielen Stellen in der Stadt Ordner bereitstehen, die die Menschen auch einzeln über die Straße begleiten. Aber auch das geht nur, wenn das Feld der Läufer nicht mehr ganz dicht ist. Für die Wahlberechtigten heißt das: Man sollte nicht gerade dann zum Wahllokal gehen, wenn die meisten Läufer vorbeikommen. Die Wahllokale haben von 8 bis 18 Uhr geöffnet, da kann man sich sicherlich drauf einstellen.

Haben Sie nicht Sorge, dass die Wahl juristisch angefochten wird, wenn Wahllokale nur eingeschränkt erreichbar sind?

Wir haben das im Vorfeld überlegt. Wichtig ist, dass es jedem Wahlberechtigten möglich sein wird, seine Stimmen am Wahltag abzugeben. Vielleicht nicht um 11 Uhr, wie der ein oder andere es gewohnt ist, sondern dann erst um 13 Uhr.

Auch das könnte ein Grund für eine Klage sein.

An vielen Stellen sollen Ordner die Menschen über die Straße begleiten

Ich denke, das sind Behinderungen, die man in Kauf nehmen kann. Ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger, sich auf die Situation einzustellen. Ich bin zuversichtlich, dass sowohl die Bundestagswahl, der Volksentscheid als auch der Marathon gut ablaufen.

Der Marathon bindet viele Leute – als Läufer, Ordner oder Unterstützer. War es für Sie ein Problem, genug freiwillige WahlhelferInnen zu finden?

Nur ein bisschen suggestiv: Der Pfeil zeigt auf das „Ja“ für Tegel auf dem Abstimmungszettel Foto: dpa

Das war Anfang des Jahres meine Sorge. Aber das hat sich zum Glück nicht bestätigt. Wir haben mehr als 21.000 ehrenamtliche Wahlhelfer rekrutiert – wir brauchen auch besonders viele Freiwillige für die Auszählung der Briefwahlstimmen.

Da gibt es einen neuen Rekord. Über 560.000 BerlinerInnen haben schon jetzt Briefwahl beantragt, mehr als bei den vorherigen Bundestagswahlen. Liegt das auch am Marathon?

Im Interview: Petra Michaelis

59, ist seit 2009 Landeswahlleiterin und für die Durchführung der Wahlen und Volksentscheide zuständig

Das kann natürlich sein. Für alle jene, die sich durch den Marathon behindert sehen, ist die Briefwahl eine Option. Man kann Briefwahl auch jetzt noch beantragen oder auch gleich Briefwahl vor Ort machen.

Bei der Briefwahl gab es Unklarheiten: Manche Wähler wussten nicht, welcher Zettel in welchen Umschlag gehört.

Dann erkläre ich das gerne noch mal. Wer Briefwahl beantragt, bekommt zwei Stimmzettel: einen für die Bundestagswahl und einen für den Volksentscheid Tegel. Beide Stimmzettel müssen in den blauen Stimmzettelumschlag gesteckt werden, ansonsten sind sie ungültig. Der blaue Stimmzettelumschlag muss zusammen mit dem unterschriebenen Wahlschein in den roten Wahlbriefumschlag. Das steht auch alles auf dem beiliegenden Merkblatt. Aber das lesen offenbar nicht alle.

Es gab auch deutliche Kritik am Stimmzettel für den Volksentscheid Tegel. Direkt über dem Feld, wo man „Ja“ ankreuzen kann, ist ein dicker schwarzer Pfeil. Das könnte man als Aufforderung lesen, für die Offenhaltung zu stimmen.

Den Stimmzettel haben wir so gestaltet, damit Blinde und sehbehinderte Menschen auch ohne fremde Hilfe abstimmen können. Für sie gibt es eine Stimmzettelschablone, deshalb war eine bestimmte Einteilung auf dem Stimmzettel für uns vorgegeben.

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3 Kommentare

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  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    ist das nicht illegal?

    Kann damit nicht die Wahl angefochten werdenß

    Hoffentlich macht das jemand, der davon betroffen ist.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich habe das beiliegende Merkblatt gelesen, nachdem ich von einem meiner in Berlin wohnenden Kinder gefragt wurde, was denn nun in den blauen Umschlag gehöre. Wir sind beide nicht auf den Kopf gefallen. Was da stand, war nicht eindeutig und manche Information auch redundant. Dass man beide Stimmzettel, die für's Volksbegehren und den Wahlzettel in den blauen Umschlag legen muss, hätte man klarer herausstellen müssen (da stand etwa "Stimmzettel in blauen Umschlag legen", was ja bekanntlich Singular wie Plural sein kann).

     

    Es kann auch nicht angehen, dass man für die Beschreibung einer solchen im Grunde einfachen Verrichtung eine ganze DINA4-Seite braucht und dass man überhaupt ein solches Blatt eingehend studieren muss, um zu wissen, was zu tun ist bzw. dass man nichts falsch macht.

     

    Der Zettel zum Volksbegehren ist nicht nur von der Aufmachung eine unsägliche Frechheit, auch die Formulierung (der Senat wird aufgefordert, die Schließungs aufzugeben) kann zu Missverständnissen führen.

     

    Die Alternative hätte lauten müssen: Ich bin dafür, dass Tegel weiterbetrieben wird (), ich bin dafür, dass Tegel geschlossen wird ().

     

    Aber unsere Tastaturakrobaten in Ämtern und sonstigen Dokumentationsanstalten kriegen es offenbar nicht mehr hin, eine einfache Anleitung unmissverständlich zu formulieren. So viel zur Bildungsrepublik Deutschland, in der bald jeder Akadämlicher ist, aber niemand mehr vermitteln kann, was er tut oder andere tun sollen.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Aus verfassungsrechtlichen Gründen geht nur die Formulierung „Der Berliner Senat wird aufgefordert, [dies oder jenes zu tun bzw. zu unterlassen]“

      Der Senat ist die erste Gewalt (Exekutive). Das Volk, in diesem Fall in seiner Funktion als Zweite Gewalt (Legislative), hat kein Durchgriffsrecht auf die 1. Gewalt, das nennt sich Gewaltenteilung.

      Der Senat kann also - wenn der Beschluss eine Mehrheit findet und das Quorum erfüllt ist - der Aufforderung des Volkes folgen, oder es aber auch sein lassen. Mit einfachen Worten: Der Senat kann Tegel offen lassen, aber auch schließen, den Beschluss des Volkes also umsetzen oder nicht umsetzen.

      Wenn der Senat den Volksbeschluss nicht umsetzt, hat das Volk dann nur noch die Möglichkeit, in einem weiteren Begehren Neuwahlen in Berlin zu erzwingen, also den Senat abzulösen. Dafür gelten aber erneut hohe Hürden/hohe Quoren.

       

      Fazit: Demokratie ist nicht gerade die einfachste und effektivste Form des Staatsaufbaus, aber bisher gibt es keine bessere.