Hühnchen in Ost und West: Goldbroiler und Wienerwald
Ein Broiler war in der DDR mehr als ein Brathähnchen. Eine Erinnerung an den Geschmack des Ostens und des Westens.
W as macht Mensch, wenn er seine Gefühle nicht gut zum Ausdruck bringen kann? Er kocht, backt, grillt. Denn Essen ist Zuwendung pur. Es stiftet Gemeinschaftssinn, sorgt für Nähe und heimelige Momente und schafft Erinnerungen, die auch im hohen Alter abgerufen werden können.
„Das schmeckt wie früher“ – ein besseres Lob kann es doch eigentlich nicht geben. „Das schmeckt ja wie DDR“, lautet die ostdeutsche Variante des Satzes und lässt sich natürlich auch auf gegrillte Hühnchen übertragen.
Broiler-Bar in der Kreisstadt
Meine Leidenschaft fing früh an, wohl schon in Kindertagen, und war hausgemacht, Oma und Mutter waren begnadete Köchinnen. Das Nonplusultra aber waren die gegrillten Broiler aus der Kreisstadt. In Hagenow (in Westmecklenburg, damals Bezirk Schwerin) gab es in der Langen Straße, einer Einkaufsstraße mit damals vielen kleinen Läden, eine Art Bar, die Broiler anbot, eben eine Broiler-Bar.
Anfang der 1980er Jahre bin ich als Jugendlicher regelmäßig mit dem Überlandbus aus meinem Dorf rund eine Stunde in die Stadt gegondelt, um einzukaufen – etwa Zierfische im einzigen Fachgeschäft der Gegend –, vor allem aber, um Broiler mit nach Hause zu nehmen. Und auch schon mal vor Ort ein Stück zu verspeisen. Was hab ich das geliebt, den Geruch, den Geschmack (Gewürze: scharfes Paprikapulver, Pfeffer und Salz), die goldbraune und knusprige Haut.
Den Begriff „Broiler“, das wissen viele Westdeutsche bis heute nicht, hat gar nicht die DDR erfunden. Das Fachwort aus der Geflügelzucht meint „zur Mast bestimmtes Hähnchen“ und ist in allen deutschsprachigen Ländern bekannt. Schon nach wenigen Wochen Mast müssen die Brathähnchen sterben.
In der DDR gab es in jeder größeren Stadt eine Broiler-Bar oder Gaststätten mit dem Namen „Zum Goldbroiler“ – ein Begriff aus der Werbesprache. Dabei war Werbung gar nicht nötig. Nicht immer gab es Brathähnchen für alle. Ausverkauft heißt ausverkauft. Dann fuhr man ohne gegrilltes Geflügel nach Hause. Aber hatte vielleicht wenigstens in einem anderen Geschäft etwas ergattert. Zu DDR-Zeiten galt die Devise: Kaufen, wenn es etwas gibt, egal was, man konnte alles irgendwann mal gebrauchen (oder tauschen).
Broiler esse ich bis heute gern (sorry, Verganer:innen) und am liebsten in Bioqualität, auch wenn ich nun die leckere Haut beiseitelasse wegen des Cholesterinspiegels. Natürlich sind die meisten Goldbroiler-Gaststätten mit der DDR verschwunden, hier und da – wie in Burg bei Magdeburg – gibt es sie noch.
Kein würdiges Pendant
Und nein, der Wienerwald war nach der Wende kein wirklicher Ersatz. Die 1955 gegründete westdeutsche Kette war geschmacklich betrachtet kein würdiges Pendant fürs Brathähnchen à la DDR. Auch wenn die Restaurants in Berlin, wo ich inzwischen lebte, viel schicker waren als in meiner alten Kreisstadt. Und auch wenn Hähnchen dort nie ausverkauft waren. Inzwischen hat das Unternehmen einige Insolvenzen hinter sich und ist aus Berlin verschwunden.
Dort hat sich aber ein anderes Brathähnchen-Imperium breitgemacht. Gut für mich. Denn ich liebe die gegrillten Hähnchen von Risa Chicken, einem familiengeführten Unternehmen mit mittlerweile acht Filialen in der Stadt.
Die Broiler – auch wenn sie so nicht heißen – schmecken besser als die oft lieblos gegrillten Hähnchen in den Imbissen um die Ecke. Und ehrlich, besser als die Broiler meiner Kindheit. Stimmt ja schon, nichts ist so süß wie Erinnerungen aus der Kindheit, wenn es um Geschmack geht. Schmeckt wie früher, ist das Gütesiegel schlechthin. Stimmt aber gar nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Anerkennung Palästinas
Zweistaatenlösung heißt natürlich: zwei Staaten
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche
Im Klassenkampfmodus
Frankreich zu Palästinenserstaat
Macron kündigt Anerkennung Palästinas im September an
Kürzungen im Kulturbetrieb
Kunst ist für alle da, und alle brauchen Kunst
CSDs und die Mehrheitsgesellschaft
Queere Menschen machen es vor
Jan van Aken
„Keine Solidarität mit Hungermördern“