Hotel als Notunterkunft für Flutopfer: Leben im Dazwischen
Heimerzheim wurde schwer von der Flut getroffen. Im Hotel Weidenbrück fanden jene Zuflucht, deren Häuser bis heute unbewohnbar sind. Ein Besuch.
V orübergehend geschlossen. Das verrät einem seit gut zwei Monaten der in Öffnungsfragen recht zuverlässige Dienst Google Maps, wenn man ihn nach dem „Landidyll Hotel Weidenbrück“ befragt. Und dennoch schlurfen hier, im Nachtigallenweg in Heimerzheim, an einem Dienstagmorgen Mitte September die Frühaufsteher:innen hungrig zum Frühstücksbuffet, Kaffeevollautomaten surren pflichtbewusst vor sich hin, und Hotelmitarbeiter:innen räumen Besteck, Geschirr und Krümel ab.
Ein Fehler auf Google Maps? Es ist komplizierter: Denn sowenig man behaupten kann, dass das Hotel Weidenbrück derzeit geschlossen sei, so wenig kann man behaupten, es sei geöffnet.
Der Ort, in dem das Hotel Weidenbrück steht, hat 6.600 Einwohner:innen, gehört zur Gemeinde Swisttal und liegt etwa 15 Kilometer westlich von Bonn. Vor zwei Monaten berichtete die taz schon einmal aus Heimerzheim, wenige Tage nachdem der Dorfkern vollständig zerstört worden war von der Flut, die der Bach Swist in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli durch die Straßen trug.
Mehr als 180 Menschen sind während der Hochwasserkatastrophe im Sommer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ums Leben gekommen. Tausende weitere verloren ihr Haus oder ihre Wohnung, sie kamen zunächst bei Freund:innen oder Verwandten unter, große Hotelketten stellten für einige Tage kostenfrei Zimmer zur Verfügung.
Von denjenigen, deren Zuhause heute noch immer unbewohnbar ist, haben die meisten zumindest mittelfristig eine Bleibe gefunden, in einer Ersatzwohnung oder weil sie Bekannte oder Familie mit genügend Wohnraum haben. Doch es gibt auch jene, die immer noch warten, auf eine neue Wohnung oder darauf, dass ihr altes Zuhause wieder bewohnbar ist.
Und so kommt es, dass mehr als zwei Monate nach der Flut immer noch Menschen in Hotels leben – wie im Hotel Weidenbrück in Heimerzheim. 35 Flutbetroffene finden derzeit hier eine Unterkunft. Dazu kommen einige Helfer:innen – zunächst freiwillige, jetzt zunehmend professionelle – sowie die Hotelmitarbeiter:innen.
Nach der Flut glich Heimerzheim einem Wimmelbild aus Zerstörung und Aufräumarbeiten, aus Schock und Hilfsbereitschaft. Laut und chaotisch war es hier wenige Tage nach der Katastrophe. Nun ist es leise geworden. Den gröbsten Schutt haben die Bewohner:innen beseitigt, doch wird der Ort Narben behalten. Mauern und Brücken sind kaputt, der Dorfkern ist derzeit so gut wie unbewohnt, die Erdgeschosse der Häuser sind fast alle bis auf den Rohbau abgetragen. Und doch kann, wer durch Heimerzheim läuft, sich vorstellen, wie idyllisch es hier mal war – und vielleicht wieder wird.
Der Ort ist ein beliebter Rastpunkt für Wander:innen und Radfahrer:innen auf der rheinischen Apfelroute. Die Eifel ist nur wenige Kilometer entfernt. Heimerzheim ist nah genug an Bonn und Köln, um Geschäftsreisende anzulocken, und abgeschieden genug, um Urlauber:innen Ruhe zu gönnen.
Jetzt sind hier so viele Heimerzheimer:innen untergebracht wie nie zuvor. Wie lebt es sich als unfreiwilliger Dauergast in einem Hotel? Und vor allem: Wie geht es den Menschen hier, seit die Kameras und mit ihnen die Aufmerksamkeit weitergezogen sind?
„Mal so, mal so“, sagt Dieter Schneider – sowohl auf die eine als auch auf die andere Frage. „Manchmal ist man in Aufbruchstimmung, aber man kommt auch schon mal wieder in ein Tief hinein.“ Unter grauen, tief hängenden Wolken, aus denen man jeden Moment Regen erwartet, sitzt Schneider auf der Terrasse, die sich an das Hotelrestaurant schmiegt, trinkt Kaffee, raucht eine Zigarette.
Luftlinie liegt das Hotel etwa 100 Meter weit entfernt von der Swist: das weiße, verwinkelte Haupthaus mit Spitzdach, in dem sich auch das Hotelrestaurant befindet, links davon ein flacher Verbindungsbau, der als Lobby und Rezeption dient, und schließlich ein vierstöckiger, kastenförmigen Anbau, in dem ein Großteil der insgesamt 41 Gästezimmer liegt. Schneider, Jahrgang 1961, Zimmer 302, ist zusammen mit seiner Lebensgefährtin erst seit Kurzem hier. Die ersten vier Wochen sind sie bei seiner Schwägerin untergekommen, bis es dort zu eng wurde, dann waren sie einige Wochen in einem Hotel in Bonn. Seit anderthalb Wochen sind sie nun zurück in Heimerzheim. Die Kosten für das Zimmer zahlt zum größten Teil ihre Versicherung.
„Manche Freunde sagen zu mir: Du wohnst in einem Hotel, ist doch toll“, erzählt Schneider und schüttelt den Kopf. Natürlich sei er dankbar. „Aber man lebt praktisch aus dem Koffer“, sagt er. Zermürbend sei das. Er streite sich mit seiner Lebensgefährtin jetzt öfter über Kleinigkeiten, über die sie früher hinweggegangen wären.
„Man hat viel Zeit, um nachzudenken“, sagt er. Seine Lebensgefährtin pendelt unter der Woche nach Bonn zum Arbeiten. Schneider selbst ist im Vorruhestand. Fast jeden Tag schaut er bei den Aufbauarbeiten an seinem Haus vorbei – es gehe nur langsam voran, sagt er. Er laufe viel durch den Ort, treffe sich außerhalb des Hotels mit Freunden zum Kaffeetrinken, verbringe Zeit mit seiner Enkelin. „Man ist hier und kann nicht viel machen“, sagt Schneider.
Geduld ist derzeit eine der Haupttugenden in Heimerzheim. Während die Menschen kurz nach der Flut gar nicht wussten, wo sie zuerst anpacken sollten, heißt es nun vor allem: warten. Auf Bautrockner, Gutachter, Handwerker, auf Geld von Versicherungen oder auf neue Möbel. Und nicht zuletzt: warten darauf, dass Stück für Stück so etwas wie Normalität zurückkehrt.
Dieter Schneiders aktuelle Normalität sieht so aus: ein knapp 30 Quadratmeter großer Raum; ein schmaler Gang, links das fensterlose Badezimmer mit Stehdusche; Schrank, Schreibtisch und Doppelbett sind aus hellem Holz, die Bettwäsche ist, na klar, weiß. Außerdem: ein Balkon zum Luftschnappen und Rauchen. Schneider verbringt so wenig Zeit wie möglich hier. „Den ganzen Tag Fernsehen gucken kann man ja auch nicht“, sagt er. Dann verabschiedet er sich, er müsse noch eine Besorgung für seine Enkelin machen.
Nicht viele Gäste im Hotel Weidenbrück fühlen sich in der Lage, über das Erlebte und das Leben im Hotel zu reden. Zu anstrengend ist der Alltag ohnehin schon, zu tief sitzt der Schmerz. Eine junge Familie mit Säugling winkt ab. Eine ältere Frau sagt, sie würde gerne reden, aber sie könne einfach nicht. „So viel Leid“, sagt sie. „So viel Leid.“
Es hat sich eine Schwere, eine Sprachlosigkeit breitgemacht im Hotel. Jede und jeder hat Ähnliches erlebt, jede und jeder mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Abgesehen vom Frühstück und der Putzkolonne, die täglich ihre Wägen durch die mit rotem Teppich ausgelegten Stockwerke schiebt, erinnert wenig an einen normalen Hotelbetrieb. Die Gäste gehen nach dem Frühstück arbeiten, begutachten die Aufbauarbeiten und verschwinden abends wieder auf ihren Zimmern. Lobby und Rezeption sind meistens verwaist, An- und Abreisen gibt es kaum.
Und trotzdem gibt es für Elisabeth Weidenbrück derzeit wohl mehr zu tun als je zuvor. Die 41-Jährige, eine zierliche Frau mit fester Stimme, hat 2018 die Leitung des Hotels von ihren Eltern übernommen, hat es renoviert und zu einem Vier-Sterne-Haus ausgebaut. Das Geschäft lief nach der dritten Coronawelle gerade wieder an, jetzt aber hat das Hotel seit zwei Monaten wieder offiziell geschlossen – und betreut doch Tag und Nacht Gäste.
Elisabeth Weidenbrück schlägt wie Dieter Schneider ein Gespräch auf der Hotelterrasse vor. Der drohende Regen bleibt aus. Ein Tisch ist extra eingedeckt, weiße Tischdecke, eine kleine Pflanze, Kaffee, Wasser.
Weidenbrück kommt zwanzig Minuten zu spät. Ihr Tagesablauf lasse sich derzeit nur ungefähr planen, entschuldigt sie sich. Auch ihr Wohnhaus, das man von der Terrasse aus sehen kann, wurde überschwemmt. Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern ist Weidenbrück zurzeit Gast in ihrem eigenen Hotel.
„Man funktioniert irgendwie, aber man kommt auch an seine Grenzen. Das ist einfach so“, sagt sie auf die Frage, die hier am Anfang jedes Gespräches steht: Wie geht es Ihnen? Sie versuche am Sonntag nicht zu arbeiten, sagt Weidenbrück. „Aber es ist natürlich so: Wenn man so viele Betroffene untergebracht hat, dann hat man eigentlich nie frei. Dann ist man immer erreichbar. Es gehört eben sehr viel mehr Menschlichkeit dazu als im normalen Hotelbetrieb.“
Elisabeth Weidenbrück, Hotelchefin
Zugleich macht sie klar: Zu sehr dürfe man das alles nicht an sich heranlassen. „Irgendwann weiß man auch gar nicht mehr, was man sagen soll. Wir sind Hoteliers und keine ausgebildeten Psychiater.“ Ab und zu komme die evangelische Pfarrerin oder der katholische Pfarrer zum Frühstück, um den Menschen ein wenig Beistand zu leisten.
„Es gibt sehr viel Solidarität, aber die Menschen kommen psychisch an ihre Grenzen. Viele wohnen zu zweit auf weniger als dreißig Quadratmetern, und das seit zwei Monaten. Diese Enge belastet“, sagt Weidenbrück. Auch für ihr Team sei es keine einfache Situation. Darüber hinaus weicht der Schock bei vielen langsam einer Erkenntnis: Es wird noch Monate dauern, bis sie nach Hause dürfen – wenn sie überhaupt zurückkehren können.
Dass Elisabeth Weidenbrück derzeit kein Hotel, sondern eine Dauerunterkunft leiten muss, kratzt auch an ihrer Berufsehre. Ihren Job in normalen Zeiten beschreibt sie so: „Die Menschen freuen sich, hierher zu kommen. Wir sorgen im besten Fall dafür, dass sie noch glücklicher sind, wenn sie wieder abreisen.“ Eine Aufgabe, die derzeit unmöglich zu erfüllen ist. „Wir können die Menschen nicht glücklich machen“, sagt sie, „womit auch?“ Dann entdeckt Weidenbrück einen kleinen Schlammfleck an ihrem Stuhl, der offensichtlich von der Flut stammt und übersehen wurde. „Hier ist Schlamm“, murmelt sie, mehr zu sich selbst. Und ganz kurz scheint es, als verliere sie die Fassung.
Dem Hotel Weidenbrück fehlen derzeit nicht nur Urlaubsgäste, es blieb auch selbst nicht von der Flut verschont. Ein Rundgang macht das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Vor dem Haus stehen immer noch drei große Bauschuttcontainer. Um ins Erdgeschoss zu gelangen, muss man sich durch eine Plastikplane zwängen. Drei Gästezimmer hat das Wasser hier zerstört. Dazu den Tagungsraum, den Fitnessraum und die Sauna. Der Putz ist von den Wänden, der Estrich gibt den Blick auf beigerötliche Gemäuer frei. Das Erdgeschoss wirkt wie eine Ruine.
Noch schlimmer ist für Elisabeth Weidenbrück jedoch der Verlust der Infrastruktur des Hotels. Das gesamte IT-System, Telefon, der Fahrstuhl, das hoteleigene Blockheizkraftwerk und die Zentralkühlung funktionieren nicht beziehungsweise sind komplett zerstört worden. Selbst wenn es derzeit normale Urlaubsgäste in Heimerzheim gäbe: Weidenbrück könnte sie kaum empfangen, denn mehr als ein Zimmer und ein Frühstück kann sie nicht anbieten.
Auf der Website des Hotels steht zwar, dass Stammgäste willkommen seien, aber bisher sei nur einer gekommen, der geschäftlich in der Region unterwegs war, sagt Elisabeth Weidenbrück. Den Plan, das Hotel am 15. November wieder für alle zu öffnen, musste sie verwerfen: „In diesem Jahr wird das mit der Öffnung nichts mehr.“ Sie und ihre Partner arbeiteten auf Hochtouren, aber sie seien nun mal abhängig von Gewerken und Lieferanten.
Am katholischen Gemeindezentrum mitten in Heimerzheim hat die Gemeinde Swisttal einen Infopoint eingerichtet. Auf dem kleinen Rasenstück zwischen Gemeindehaus und Kirche wurde ein Gedenkbaum für die Opfer und Betroffenen der Flut gepflanzt. Neben aktuellen Informationen gibt es hier mittags kostenfreies Essen, auch für die Gäste des Hotels Weidenbrück.
Elisabeth Weidenbrück kommt auch manchmal hierher, um sich mit anderen auszutauschen. An diesem Dienstag Mitte September machen zwei Mitarbeiter der Telekom hier ihre Mittagspause. Die beiden sind sehr gefragt, noch immer haben viele Häuser in Heimerzheim weder Telefon- noch Internetanschluss.
Als Weidenbrück die beiden zu fassen kriegt, verweist sie auf ihr Problem: „Meine Gäste müssen mit Handwerkern, Gutachtern und Versicherungsvertretern mailen. Die brauchen Internet.“ Außerdem würde man ab Freitag Anträge für die Bundeshilfen stellen können. „Das geht aber erst mal nur online.“ Ob man daher nicht „bitte, bitte, bitte“ kurzfristig einen Hotspot im Hotel errichten könne? Die Telekom-Mitarbeiter wiegeln ab.
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Auf einer Bierbank vor dem Gemeindehaus sitzt ein älteres Pärchen und löffelt Hühnersuppe aus Plastikschalen. Es erzählt von der Nacht der Flut. „Das war dramatisch“, sagt der Mann. „Wir wurden mit einem Rettungsboot mitten in der Nacht aus dem Obergeschoss unseres Hauses geholt. Eine Tasche konnten wir gerade noch so zusammenpacken.“ Als sie wieder festen Grund unter sich hatten, sind sie zum Hotel Weidenbrück gelaufen und dort in einem der letzten freien Zimmer untergekommen. „Wir waren insgesamt drei Nächte da. Dann sind wir über eine Bekannte an eine Wohnung in Bonn gekommen.“
Ähnlich erzählt es am nächsten Morgen Marlene Overkamp im Frühstücksraum – auch sie und ihr Mann haben noch in der Nacht der Flut Zuflucht im Hotel gesucht. Das Wasser stand noch nicht allzu hoch, sie konnten rüberlaufen. „Eigentlich wollten wir mit dem Auto fahren, aber da ließ sich das Garagentor schon nicht mehr öffnen“, sagt Overkamp. Das Auto sei nun natürlich hinüber – wie so viele Dinge aus ihrem langen Leben in Heimerzheim.
Overkamp, eine stolze Frau von 73 Jahren, die Haare perfekt frisiert, um den Hals eine Perlenkette, hat in ihrem Leben noch nie zur Miete gewohnt. 50 Jahre wohnten sie und ihr Mann in einem Bungalow mit Garten, direkt an der Swist. Jetzt leben sie in Zimmer 102.
Sachen für ein, zwei Tage hätten sie in der Flutnacht gepackt. Nun leben sie auf den Tag genau seit zwei Monaten hier. „Wir wissen noch nicht, ob wir jemals zurückkehren können in unser Haus“, sagt Marlene Overkamp. Sie macht eine kurze Pause. „Wir haben Dinge verloren, die uns sehr wichtig waren“, sie wendet sich ab, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
„Nachdem das Wasser weg war, habe ich mich drei Tage nicht getraut, nachzugucken, wie es dort aussieht“, sagt Overkamp. „Ich war nervlich so fertig, ich konnte da nicht rein.“ Ihre Tochter habe gerettet, was zu retten war, immerhin: das gute Porzellan.
Wie Dieter Schneider macht auch den Overkamps die Enge zu schaffen. „Ich habe immer viel Zeit im Garten verbracht“, sagt Marlene Overkamp. „Jetzt geht das Leben so an einem vorbei. Man stumpft total ab. Nur Fernsehen gucken den ganzen Tag geht auch nicht“, sagt sie, als würde sie Schneider zitieren.
Zwischendurch musste Overkamp für ein paar Tage ins Krankenhaus. „Da freut man sich eigentlich, wieder nach Hause zu kommen.“ Stattdessen: Zimmer 102. Auch Overkamp betont, dass sie dankbar sei. Und dennoch fühle es sich manchmal an, wie in einem „gehobenen Gefängnis“ zu wohnen, sagt sie. Ihr Balkon geht nach hinten raus, zum kleinen Hang, an dem das Hotel liegt. Dunkel sei es, sagt Overkamp, aber besser als im dritten Stock, wo sie die ersten Tage wohnten – ohne Fahrstuhl.
Eine neue Wohnung im Nachbarort haben die Overkamps bereits gefunden. Gerade sind sie dabei, sich Möbel zu organisieren, das strukturiert den Tag. „Mindestens drei Wochen müssen wir noch hier bleiben, dann kommt das neue Bett“, sagt sie.
Während der Monate im Hotel hatten die Overkamps und die anderen Gäste genug Zeit, um sich kennenzulernen. Gerade am Anfang habe hier zwar jeder mit sich selbst zu tun gehabt, sagt Marlene Overkamp, mittlerweile kenne man aber den ein oder anderen vom Frühstück. Das Reden, und seien es nur ein paar freundliche Worte am Morgen, helfe. Mit einer Familie hätten sie sich sogar angefreundet in den ersten Wochen, erzählt Overkamp – doch die seien schließlich zurück in ihre Heimat nach Thüringen gezogen.
Da es im Hotelrestaurant kein Essen gibt und sie auch auf dem Zimmer nicht kochen können, fahren die Overkamps abends oft in die Nachbarorte zum Essen. Wenn sie zurückkehren nach Heimerzheim, setze ihr Mann an der Kreuzung zwischen Hotel und ihrem alten Bungalow manchmal den Blinker falsch, erzählt Marlene Overkamp. „Da wohnen wir nicht mehr“, sage sie dann zu ihm.
Das Hotel Weidenbrück kennt Overkamp von seiner ersten Stunde an. Die Großeltern von Elisabeth Weidenbrück haben es 1966 als Gaststätte gegründet, drei Jahre später kamen erste Gästezimmer hinzu. „Das Restaurant war bekannt für sein Schnitzel und die großen Portionen.“
Als Elisabeth Weidenbrück 2018 ins Geschäft einsteigt, setzt sie vor allem auf Nachhaltigkeit: Ladesäulen für E-Autos, ein eigenes Blockheizkraftwerk, Lebensmittel aus der Region. 2019 dann die Kernsanierung. Fitnessraum, Sauna, Tagungsraum, die Restaurant-Terrasse – alles wird neu gemacht. Im Frühjahr 2020 ist die Sanierung abgeschlossen. „Na ja“, sagt Weidenbrück, als müsse sie nicht aussprechen, was dann geschah.
Jeden Tag gegen halb sieben isst Weidenbrück mit ihren zwei Kindern, ihrer Tante und ihrer Schwiegermutter im Hotelrestaurant zu Abend, ihr Mann arbeitet meistens noch. Die Szene wirkt bizarr: Da sitzen fünf Menschen alleine in der Mitte eines großen leeren Raumes und essen Nudeln mit Pilzsauce, zubereitet von der Küchenchefin eines Vier-Sterne-Hotels. Denn weil die Zentralkühlung ausgefallen ist, bleiben Weidenbrück derzeit zwei Kühlschränke. Ein privater für ihre Familie, der andere für das Frühstücksbuffet. Ihre Mitarbeiter:innen wollte Weidenbrück nach Corona nicht schon wieder in Kurzarbeit schicken, daher kocht die Küchenchefin nun eben für fünf statt für hundert Gäste.
Finanziell sei das glücklicherweise machbar, sagt Elisabeth Weidenbrück. Die Coronazeit hätten sie durch die Hilfen und einige wenige Geschäftskund:innen relativ gut überstanden. Aktuell verlange sie für die Zimmer einen reduzierten Preis, für ein Doppelzimmer etwa 80 Euro. Für die Betroffenen ohne Versicherung gebe es ein Härtefallkonto, so Weidenbrück. „Da finden wir dann individuelle Lösungen.“
Die Flut ist für Weidenbrück ohne Zweifel Folge des menschengemachten Klimawandels. Und sie ist sicher, dass es nicht die letzte bleiben wird. „Wir werden hier alles überdenken, auch was die Raum- und Zimmernutzung angeht“, sagt Weidenbrück. „Sicherheit muss oberste Priorität haben.“ Beim Wiederaufbau unterstütze sie unter anderem eine Fachfirma für baulichen Wasserschutz.
Am Hotelgeschäft selbst zweifelt Weidenbrück jedoch nicht, auch nicht nach Pandemie und Flut. „Wir sind seit 55 Jahren hier. Auch eine Flut wird nicht zerstören, was wir uns aufgebaut haben.“
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