Horrorkomödie über kulturelle Aneignung: Der Rassismus der Freundlichen
Jordan Peeles Debütfilm „Get Out“ handelt vom weißem Hunger nach schwarzer Lebenskraft. Der Horrorfilm liefert eine gute Zeitdiagnose
Man könnte über Elvis reden, den mit den „Blue Suede Shoes“ und dem Killer-Hüftschwung, als Beispiel dafür, wie sich Weiße immer wieder schwarze Kultur angeeignet, sie ihrer Brisanz beraubt und zum bestens zu vermarktenden Gebrauchsgut gemacht haben. Man könnte auch über den Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein sprechen, diesen New Yorker Vorzeige-Liberalen, der sich um 1970 herum gerne mit dem „radical chic“ der Black Panthers umgab – woraus Tom Wolfe damals einen famos boshaften Text machte.
Aber anstatt von toten Weißen kann man auch von Jordan Peele sprechen: Der ist 38, schwarz und bislang am ehesten bekannt als Teil des TV-Komödianten-Duos Jordan & Peele. Er hat davon schon im klamaukigen Fernsehformat „Mad TV“ gespielt – aber genauso auch Martin Luther King und Barack Obama, und diese Kombination ist wichtig in diesem Kontext.
Zusammen mit seinem langjährigen Fernsehpartner Keegan-Michael Key hat Peele vor ein paar Jahren schon mal Regie geführt: „Keanu“ war eine muntere kleine Actionkomödie – mit Betonung auf Action, wie sie diesen beiden Spaßvögeln nicht jeder zugetraut hätte. In diesem Jahr nun legte Peele sein eigenes Regiedebüt vor: „Get Out“ läuft am 4. Mai bundesweit an, ist an diesem Sonntag aber schon mal in vielen Multiplexen zu sehen.
Das mag damit zu tun haben, zu welchem Überraschungserfolg sich diese eigentlich erst mal eher speziell anmutende Horrorkomödie entwickelt hat. Abgesehen vom äußerst seltenen Wert von 99 Prozent Zustimmung auf der Filmbewertungsseite „Rotten Tomatoes“: An die 200 Millionen Dollar dürfte „Get Out“ inzwischen eingespielt haben, bei Produktionskosten von weniger als fünf Millionen. Und das ganz ohne Super-Duper-Promiauftritte oder Star-Wars-mäßigen Merchandising-Alarm: Als Actionfigur gibt es die Hauptfigur jedenfalls noch nicht an jeder Tankstelle.
Es ist etwas faul in der Idylle
Dieser Chris (Daniel Kaluuya) ist Fotograf in New York und ein wenig nervös: Seine weiße Freundin (Allison Williams) will ihn erstmals mitnehmen zu ihren Eltern, raus aus der Stadt, irgendwo hinter den Wald. Sein Kumpel warnt ihn noch vor dem Ausflug, aber sie sagt, Chris solle sich keine Sorgen machen: Es seien ja keine Rassisten, nein, Daddy hätte sogar ein drittes Mal für Barack Obama gestimmt, wäre ihm das möglich gewesen. Was der Vater (Bradley Whitford), Neurochirurg, dann auch bei erstbester Gelegenheit erzählt.
So landet Chris also inmitten einer begüterten, weltgewandten Familie, auch Allisons Bruder kommt nach Hause und obendrein begeht man an just jenem Wochenende auch noch ein großes Get-together – also noch mehr zunehmend merkwürdig scheinende Freundlichkeit, noch mehr mal verstohlene, mal unverblümte Bewunderung für den schwarzen Schwiegersohn in spe. Aber warum bloß benehmen sich die – schwarzen – Bediensteten so merkwürdig? Oder jener junge Afroamerikaner an der Seite der sehr viel älteren WASP-Dame, der so gar nichts zu sagen hat zur „black experience“?
Es ist, natürlich, etwas faul in dieser vermeintlichen Idylle, und ohne hier zu viel preisgeben zu wollen: Es hat zu tun mit angeblicher schwarzer Lebenskraft und weißem Wunsch, nicht sterben zu müssen. Und da könnten wir auch einer Erklärung auf die Spur gekommen sein für den unerwarteten Erfolg des Films: Zunächst mal passt er erkennbar gut in diese Zeit, in Vereinigte Staaten auch, in denen „race“ als Kategorie von Ein- und Ausschluss wieder enorme Bedeutung hat – aber er unterläuft die allzu einfache Polarisierung auch gleich wieder. Hier werden ja nicht irgendwelche Rednecks des Rassismus überführt, was keinerlei erkenntnisfördernden Wert hätte. Nein, der Film entlarvt auf der Handlungsebene genau die, die so freundlich und zugewandt sich geben – das aber halt aus zutiefst eigennützigen Gründen.
Natürlich ließe sich darüber nachdenken, ob und wie Regisseur (und Drehbuchautor!) Jordan Peele selbst so eine Rolle einnimmt, also eine „authentisch“ schwarze Perspektive einzubringen in eine mehr oder minder alles verdauen könnende Unterhaltungsmaschinerie – es schmälert das Vergnügen an diesem Film kein bisschen.
Am Sonntag, 23. 4., ist der Film in vielen norddeutschen Städten zu sehen, in Bremen (Cinemaxx, Cinespace, Cinestar), Hannover (Astor, Cinemaxx) und Hamburg (Studio, alle Cinemaxxe und UCIs)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich