piwik no script img

Honecker: Keine Verschärfung der Lage

■ Erstmals äußert sich Honecker gegenüber Lambsdorff zu den Verhaftungen: Bereit zum Dialog mit Bürgerrechtlern / Lutz Rathenow: Druck auf übrige Inhaftierte zur Ausreise wahrscheinlich / „Heiße Diskussionen“ in den nächsten Tagen unter Bürgerrechtlern erwartet

Berlin (ap/dpa/taz) – In einem Gespräch mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Graf Lambsdorff, am Donnerstag in Ost-Berlin äußerte sich der DDR- Staatsratsvorsitzende Erich Honecker erstmals zu den Verhaftungen im Gefolge der Luxemburg- Liebknecht-Demonstration am 17. Januar. Honecker betonte dabei nach Angaben des FDP-Politikers, daß sich an den Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten in der DDR nichts ändern werde. Nach den Massenverhaftungen und Ausreisen habe Honecker aber die Auffassung bekräftigt, daß die SED-Gedenkkundgebung „bewußt und vorsätzlich gestört“ und damit DDR-Gesetze verletzt worden seien. Der Staat sei zum Dialog mit Bürgerrechtlern bereit. Deren Aktivitäten müßten sich aber im Rahmen der Gesetze bewegen. Lambsdorff zufolge habe Honecker jedoch keinerlei Hinweise darauf gegeben, wie mit den angekündigten Freilassungen Inhaftierter verfahren werden solle. Er betonte lediglich, daß mit einer weiteren Verschärfung der Lage „derzeit nicht zu rechnen“ sei.

Laut Ost-Berliner Oppositionskreisen stehen „heiße Diskussionen“ über die Erklärung Krawczyks, er sei zur Ausreise gezwungen worden, bevor. Der Ost-Berliner Schriftsteller Lutz Rathenow: „Ich glaube, daß auch die übrigen Inhaftierten weiter unter Druck gesetzt werden, damit sie Ausreiseanträge stellen.“ Aus persönlichen Gesprächen wisse er auch, daß Anwalt Schnur und Bischof Forck zugegeben hätten, daß ohne die Zustimmung zur Ausreise der Fall nicht zu lösen gewesen wäre.

Rechtsanwalt Schnur hatte am Mittwoch abend behauptet, Krawczyk und Klier hätten freiwillig Ausreiseanträge gestellt, und zeigte sich über deren gegenteilige Äußerungen „entsetzt“. Sie hätten damit nicht nur seine Arbeit für die Freilassung der übrigen Gefangenen erschwert, sondern auch den anderen Inhaftierten einen schlechten Dienst erwiesen. Die Freilassung der übrigen Gefangenen bis zum Wochenende wurde auch von ihm, wie vorher bereits von Konsistorialpräsident Stolpe als zu optimistisch eingeschätzt. Der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin- Brandenburg, Manfred Becker, sagte am Donnerstag in einem Interview des Deutschlandfunks, es sei nach den Äußerungen Krawczyks vom Vortag „unsicher“, ob jetzt alle Verhafteten wie angekündigt aus der Haft entlassen würden. Die Äußerung „bringt wieder Unruhe“. Weiter meinte Becker, es sei sicher so, daß die DDR-Führung gerne eine „geräuscharme Klärung“ herbeiführen möchte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen