■ Homovision: Goodbye to Berlin?
Obwohl der 100. Geburtstag der deutschen Homobewegung bereits heute zu feiern wäre, beginnen die Jubiläumsaktivitäten erst übermorgen. Die Berliner Akademie der Künste und das Schwule Museum eröffnen ihre Ausstellung unter dem Titel „Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“, die die Veranstalter selbst zu Recht als weltgrößte Schau vom (großen) Leiden und von den (kleinen) Triumphen preisen.
Mit 1,9 Millionen Mark aus dem Topf der Staatlichen Klassenlotterie sind bis Ende Juni Vorträge, Happenings, Diskussionen, Selbstdarstellungen und Musik zu goutieren. Die Veranstalter legen bei der Konzeption der Schau Wert darauf, Homosexuelle nicht nur als Opfer darzustellen, sondern auch als Menschen, die sich trotz staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ausgrenzung ihre kleinen Freiheiten erobern konnten. Die Frage, ob heutzutage noch eine Homobewegung nötig ist oder nicht, bleibt dabei bewußt dem Publikum gestellt.
Begleitet werden die Veranstaltungen durch ein von Rosa von Praunheim unter dem Titel „Homo 2000“ vorbereitetes Kulturprogramm. Zeitgleich werden in der Akademie der Künste bis zum 17. August „Positionen schwuler Kunst“ markiert: Gezeigt werden Arbeiten von elf Künstlern, die „Antworten auf die Fragen nach schwuler Ästhetik, dem Umgang mit Aids, einer toleranter werdenden Gesellschaft und schwulen Utopien“ zu geben versuchen. Darüber hinaus gibt es bis zum 31. Juli wissenschaftlich gehaltene Vorträge zum Thema „100 Jahre Schwulenbewegung“. Geladen hierzu sind auch Referenten aus den USA, aus Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark.
Auffällig ist der internationale und nicht auf Berlin beschränkte Blick der Veranstaltungen. Fast jeder Tag ist einem anderen Thema gewidmet: unter anderem der „Zukunft San Francisco“ (18. Mai), der Frage „Tunten zwecklos?“ (20. Mai) bis hin zu „Osteuropa“ (22. Mai), „Anno 1900 – Jahrhundertwendeparty“ (29. Mai), „Princesa“ – über Homosexualität in Lateinamerika (31. Mai), „Islamische Nacht“ (3. Juni), „Frauen und Schwule“ (5. Juni) oder „Homosexualität, Religion und Spiritualität“ (8. Juni). Öffentlicher Höhepunkt wird am 28. Juni die Demo zum Christopher Street Day sein, zu der 100.000 Teilnehmende erwartet werden.
Die letzten Streitigkeiten mit der nichtschwulen Öffentlichkeit konnten inzwischen beigelegt werden: Die Akademie der Künste distanziert sich nicht mehr vom Programmheft, das wegen eines auf dem Titelblatt sichtbaren tätowierten Hinterteils noch das Mißfallen ihres Chefs Walter Jens erregte. Und: Das von Keith Haring stammende Plakat, mit dem in U- und S-Bahnen geworben werden sollte, wird durch ein etwas harmloseres Motiv des amerikanischen Graffitistars ersetzt.
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