Homotaz Freundschaft: Kurze Geschichte vom Krieg

Die Heterosexuellen merken es nicht. Sie halten uns alle für gleich. Manchmal stimmt das. Aber wir wissen auch: Es tobt ein Kampf der Generationen zwischen uns.

Nicht nur Opfer sein. Gemeinsam kämpfen. Wir brauchen einander. Bild: taz

Die Alten. Sie sind weise. So bewandert. Kennen Bücher, von denen wir nie gehört haben. Sehen Filme, die wir nie gesehen haben. Gehen in Ausstellungen, in die wir nie gehen.

Die Alten. Sind arrogant. Wissen es oft besser. Erzählen Geschichten vom Krieg. Ruhen sich auf dem Erkämpften aus.

Die Jungen. Sind vor allem jung. Also hübsch. Haben ihr Leben vor sich. Tanzen die Nacht auf Partys, ohne an ein Morgen zu denken. Sind gelöst. Unangestrengt.

Die Jungen. Sind naiv. Wissen nichts. Sind apolitisch. Haben keine Ahnung von der Geschichte. Sind ahistorisch.

Die Alten sollen uns als Vorbilder taugen. Und sie sollen mit uns ficken. Wir kämpfen miteinander.

Sie lesen Edmund White, wir die Gay-Gratishefte. Sie sprechen von Foucault und Beauvoir. Wir von N*Sync. Sie gehen zu Klassikkonzerten. Wir zu Housepartys. Wir nutzen uns gegenseitig aus.

Diesen und viele weitere Texte lesen Sie in der Homotaz vom 4. Juli 2013 mit 16 Seiten über Freundschaft. Interviews, Porträts, persönliche Geschichten und Analysen aus der ganzen Welt. Am Donnerstag am Kiosk oder direkt als e-paper.

Wir wollen von den Älteren das Wissen. Wir wollen ihre Kultur aufsaugen und oft nur Sex mit jemand Erfahrenen. Das gefällt den Älteren, die oft Angst haben, alt zu sein. Und es gefällt ihnen auch, uns Geschichten aus der Zeit zu erzählen, als sie selbst noch jung waren.

Das Phänomen Sugar-Momma/Sugar-Daddy. Gemeinsame spontane Urlaube. Schöne Geschenke zwischendurch. Roadtrips im Cabrio. Sie, er zahlt für sie, ihn. Und Sex. Viel Sex.

Vorbilder. Die Generation vor uns hatte sie. Pasolini. Foucault. De Beauvoir. Genet. Autor. Philosoph. Frauenrechtlerin. Dichter. Und wir?

Wir haben nur unsere Kollegen

Wir haben nur unsere Kollegen, Nachbarn, Uni-Freunde. Das reicht aber nicht. Sie sind uns zu nah. Wir brauchen mehr. Wir haben uns die ältere Generation ausgesucht. Sie sollen nicht Vorbilder sein, wie es ihre europäischen Intellektuellen für sie selbst sind und waren – also abgehoben und nicht greifbar. Sondern Vorbilder, die uns lehren, die eigene Sexualität zu akzeptieren. Uns Schutzraum bieten. Es uns einfacher machen. Stattdessen strafen sie uns.

Weil wir nichts wissen. Wir wissen nichts vom Kampf um Gleichberechtigung. Wir wissen nichts über HIV und Aids. Wir wissen auch nichts über Sex. Für sie bleiben wir ignorant. In ihrer Welt wollen wir nur spielen.

Aber sind auch wir nicht älter geworden? Wir lesen die Bücher ihrer Vorbilder, schauen die Filme ihrer Idole. Hören die Musik ihrer Ikonen. Wir wollen auf Augenhöhe sein. Wir sind es nicht. Die Älteren strafen uns weiter. Sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie wollen ihre Ruhe. Wir wollen aber ausgerechnet jetzt kämpfen. Dafür, so zu sein, wie wir möchten. Ohne Anpassung an das, was Mehrheitsgesellschaft heißt. Sie wollen Frieden. Wir Krieg.

Den haben wir auch. Alte gegen Junge. Wir belächeln sie, weil sie ihre Ideale verraten haben. Sie wollen heiraten, Schrebergarten, nicht mehr ficken. Wir wollen politisch aktiv sein, auf die Straße gehen. Und eben ficken.

Nicht alle Jungen. Natürlich. Viele von uns gingen mit ihnen. Haben sich nicht emanzipiert. Wollen nicht kämpfen. Wofür auch? Sie haben doch alles. Einen Gay-Lifestyle. Sie spüren gar keine Diskriminierung. Lieber bleiben sie in ihrer Beziehung. Zu zweit. Monogam.

Keine Sugar-Mommas mehr

Das gefällt den Alten. Diese Jungen werden ihre Partner. Aber die Alten sind keine Sugar-Mommas/Daddys mehr. Beziehung auf Augenhöhe mit dreißig Jahren Unterschied. Und trotzdem genügt ihnen das nicht. Sie wissen immer noch alles besser, erzählen immer noch Geschichten aus dem Krieg. Es ist niemals recht. Und es stimmt ja auch.

Wir wissen auch nicht alles. Wir müssen uns einfinden – vor allem in unsere sexuelle Identität. Wir argumentieren entweder antiidentitär oder homonormativ – wollen auch normal sein, uns anpassen. Familie sein.

Ihr wollt die Gleichstellung, die Ehe, und wir sind mit euch auf die Straße für eure Recht gegangen, obwohl wir nicht hundertprozentig daran glauben. Wir wollen über andere, zeitgemäßere Familienmodelle diskutieren. Wir gehen trotzdem mit euch mit. Für die größere Sache. Ihr wollt das aber nicht sehen.

Wie am Anfang. Wie schon damals bei den Stonewall-Riots in New York am 28. Juni 1969. Die die keinen Bock mehr auf die Polizeigewalt hatten, waren die schwarzen und hispanischen Dragqueens. Genau die, die sich nicht anpassen wollen, sind die Vorkämpfer_innen für uns alle. Aber ihr nennt uns ahistorisch.

Eigentlich bedeutet das alles nichts. Sollte nichts bedeuten. Wahre Subversion wäre, wenn wir gemeinsam kämpfen. Wir müssen nicht politisch einig sein. Nicht immer. Wir müssen uns auch nicht miteinander identifizieren. Es geht um Respekt. Die alten Kämpfe sind nicht mehr die unsrigen. Wir haben eigene zu bestehen und – vor allem – einen gemeinsamen. Wenn das Streiten für das Öffnen der Ehe in Frankreich für eins steht, dann genau dafür. Nicht nur Opfer sein. Gemeinsam kämpfen. Wir brauchen einander. Wir sollten Freunde sein.

■ , 30, ist taz-Redakteur und lebt in Berlin. Er staunt oft selbst, wie lieb er inzwischen seine Zweierbeziehung gewonnen hat.
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