Homosexuellen-Demo in Moskau: Schlagstöcke gegen Schwule

Christopher Street Day in Moskau? Keine Chance. Die Einheiten der Sonderpolizei zerbröseln jeden Anflug einer Parade. Ein Augenzeugenbericht

Die Sonderpolizei wurde in Moskau auch durch sogenannte Bürgerwehren lautstark unterstützt. Bild: dpa

MOSKAU taz | Samstag morgen, wenige Stunden vor dem Finale des Eurovision Song Contest (ESC). Die Twerkaja, eine der wichtigsten Avenuen der russischen Hauptstadt, ist fast lückenlos gesäumt von Sonderpolizei und Miliz. Sie stehen parat, um einer Paranoia Futter zu geben: Am Tag des ESC haben Moskowiter Bürgerrechtler um den Aktivisten Nikolaj Alexejew zur Christopher-Street-Parade gerufen.

Seine Demonstration wurde allerdings schon vor einer Woche von Bürgermeister Juri Luschkow verboten. Homosexuelle seien krank und verdienten keine Öffentlichkeit, ohnedies sei der ESC eine Art U-Boot, das Satanisches in seine Stadt brächte, deshalb müsse diese Aktion verboten werden.

Die Atmosphäre in Moskau während dieser ESC-Woche (Proben, Parties, Empfänge) war ohnehin eher bedeckt, was nur unzulänglich mit dem aprilfrischen Wetter zu erklären ist. Homosexuelle Männer wie Frauen müssen in dier Stadt Acht geben, nicht erkannt zu werden.

Der Kreml, der imperial anmutende Kern der Metropole, ist, so heißt es aus Bürgermeister Luschkows Umfeld, weiträumig abgesperrt worden. Das dort angesiedelte Luxuskaufhaus GUM muss seine Türen geschlossen halten. Niemand wolle sich vorstellen, wie es wäre, würden Homosexuelle und andere, so die offizielle Lesart "Kranke und Verirrte", den stolzen Roten Platz betreten, es wäre "für immer entehrt".

Wir Homosexuellen, Karen aus Dublin, Iris aus Hamburg, Ivor aus Bremen, Dimitri aus Rhodos, Polina aus Kaunas, Matti aus Hamburg, Christian aus Köln sowie der Berichterstatter selbst, hatten in der Woche den offenbar exklusiv Heterosexuellen vorbehaltenen Platz mehrfach begangen - und sein Asphalt war dennoch nicht zu grauer Asche geworden.

Der Novopuschkin Skwers - der Platz auf dem die Demonstration stattfinden sollte - war am heutigen Tag eine einzige Bedrohungshölle. Auf den Parkbänken, an Kreuzungsecken, an den eigens für diese vermeintliche Monsterparade, von der Klerikale im Vorfeld schrieben, sie bedrohe Russlands ohnehin schon geschundene Seele, dieser Platz zittert vor Bedrohlichkeit. Man sieht vier Gefangenentransporter, in die binnen weniger Minuten mehrere Männer und eine Frau, im Griff von Milizen, hinein verfrachtet werden.

Per Handy ruft mich mein Freund Kurt Krickler an, seit Jahrzehnten Schwulenbewegungsurgestein aus Wien, Osteuropakenner schon vor der Wende. Er sagt uns, wo er sich befindet - auf der anderen Straßenseite, an seiner Seite eine Moskauer Freundin. Er ruft, wir sollten nicht auseinander gehen als Gruppe, nicht still stehen und uns trotzdem nicht irre machen lassen.

Wir folgen seinem Rat. Ein Führungsoffizier brüllt mich plötzlich auf deutsch an: "Geh weiter, hier ist Russland!" Wir gehen in leichter Panik. Kurt hat sich uns angeschlossen, seine Freundin ebenfalls, er ruft hastig, "bloß nicht stehen bleiben und fotografieren".

In der deutschen Botschaft zwei Tage zuvor, als ein Empfang für die deutschen ESC-Performer Alex Christensen und Oscar Loya gegeben wird, sind auch etliche deutsche schwule Männer zu Gast. Teile des diplomatischen Korps, der eine, aus Freiburg stammend und in Deutschland verpartnert, sagt ein wenig süffisant, dass ihn dieser CSD aufrege, der sei doch ein Egoding und kein Moskauer interessiere sich dafür, hier sei eben Russland.

Jetzt, zur Demozeit, ist keine Chance auf eine Demonstration. Wenn in Deutschland die Anwesenheit von Sicherheitsleuten dafür Sorge trägt, dass wenigstens demonstriert werden kann, scheint es in Moskau darum zu gehen, als Sicherheitsapparat jede Bürgerrechtlichkeit im Keim zu ersticken - geschützt wird das angeblich gesunde Volksempfinden des postsozialistisch-heterosexuellen Russlands.

Sascha aus Berlin, der sich inzwischen zu uns gestellt hat, macht uns auf eine Szene aufmerksam: Einer jungen Frau ist von sechs Milizionären umstellt. Einer reißt ihr den Regenbogenknopf vom Hemd, wirft ihn zu Boden und beginnt mit seinen fetten Stiefeln auf ihn zu treten.

Sie, sehr cool, leicht zitternd, will sich bücken und ihn zerbeult bergen. Aber die fünf Kollegen des Peinigers ziehen sie zurück und treten selbst auf den Metallknopf. Hinter ihnen stehen Männer und Frauen einer "Bürgerwehr" und wollen sie verprügeln, sie rufen: "Gebt sie uns, wir zeigen ihr den rechten Weg", aber die Sicherheitsbeamten nehmen sie in Gewahrsam und führen sie zum Eingang einer Metrostation - sich immer wieder umschauend, ob ihnen jemand folgt. Die junge Frau hat uns gesehen, Freunde von ihr folgen ihr in die Metro, wir sind beruhigt, dass sie nicht allein bleibt.

Unser Freund Kurt aus Wien sagt: Geht ins Hotel, nicht allein, und hütet euch, dass euch niemand folgt. Moskau ist sicher, aber zeigt euch niemals als Homos. Wir schwören, Moskau für eine schöne Stadt zu halten - aber unsere Erinnerungen später lieber mit Hilfe von Prospekten aufzufrischen. Moskau, das steht fest, kann auf diese Weise niemals Teil eines zivilisierten Europas sein.

Bürgermeister Luschkow hat in einer Erklärung nach der zerschlagenen Parade erklärt, dass es ein Erfolg für Russland war, dass russlandfremde Elemente nicht die Stadt für ihre Parade missbraucht haben.

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