Homosexualität in der Türkei: Von der Gesellschaft ausgeschlossen
Die Regierung will Homo- und Transsexuelle in Sondergefängnissen unterbringen. Damit würden sie noch stärker stigmatisiert als ohnehin schon.
ISTANBUL taz | Nach der gewonnenen Kommunalwahl Ende März macht die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deutlich, dass sie weiter an der Durchsetzung ihres religiös-konservativen Gesellschaftsbildes arbeiten will. Vor dem Parlament erklärte Justizminister Bekir Bozdag jetzt, er beabsichtige, für Schwule, Lesben und Transsexuelle ein Sondergefängnis einzurichten. Kritik der Opposition wies er zurück: Ein solches Gefängnis sei keine Diskriminierung, sondern diene dem Schutz der Betroffenen.
Bekannt wurde das Vorhaben, weil ein Abgeordneter der oppositionellen CHP, Veli Agbaba, in mehreren Gefängnissen Schwule besucht hatte, um sich über ihre Situation zu informieren und dabei von den Plänen erfahren hatte. Wie Agbaba vor dem Parlament erklärte, sei die Situation nicht heterosexueller Gefangener bereits jetzt hochproblematisch, weil sie innerhalb der bestehenden Gefängnisse isoliert und von Gemeinschaftsräumen sowie vom Hofgang ausgeschlossen würden.
Diese Sondersituation müsse dringend geändert werden, damit diese Gefangenen nicht doppelt bestraft würden. Auch ein Sprecher des Homosexuellenvereins SPOD, Efe Songün, kritisierte den Plan der Einrichtung von Sondergefängnissen heftig: „Das stigmatisiert Menschen und legitimiert Hassverbrechen und Diskriminierung.“
Gefangene werden in der Türkei bei Haftantritt nach ihrer sexuellen Orientierung gefragt und müssen sich dazu äußern. Zurzeit sind 79 Menschen inhaftiert, die sich offen dazu bekennen, schwul oder lesbisch zu sein. Die tatsächlich Anzahl ist sicher wesentlich höher, weil viele Betroffene Angst haben, sich angesichts der Verhältnisse in den Gefängnissen zu ihrer Homosexualität zu bekennen.
Weitere Ausgrenzung
Obwohl es im Rahmen der Gezi-Proteste im letzten Sommer einer starke Aufwertung von Schwulen und Lesben gegeben hat, gilt Homosexualität innerhalb der türkischen Mehrheitsgesellschaft nach wie vor als ein großes Stigma, obwohl sie kein Straftatbestand ist.
Auch wenn die Bedrohung Homosexueller im Gefängnis sicher vielfach Realität ist, dient der Vorschlag der Schaffung von Sonderknästen nicht in erster Linie dem Schutz der Betroffenen, sondern der weiteren Ausgrenzung von Homosexuellen aus der Mehrheitsgesellschaft. Für Erdogans islamisch-konservative AKP ist Homosexualität eine „unnatürliche“, gegen den Willen Gottes verstoßende Neigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag