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Homophobie unter Migranten"Wie in einem bayerischen Dorf"

Viele Migranten sprechen auf seinen Seminaren das erste Mal über Homosexualität, erzählt Gürkan Buyurucu. Sie sind unwissend - nicht homophob. Er ist schwul, Türke und steht den Kids Rede und Antwort.

Homosexualität? Nie gehört. Bild: dpa

taz: Herr Buyurucu, in Ihren Seminaren sprechen Sie mit Jugendlichen über Geschlechterrollen und Homosexualität. Wie reagieren die Schüler?

Gürkan Buyurucu: Oft erlebe ich schockierte Blicke, Empörung oder auch Hass. Das legt sich aber irgendwann. Bisher hat sich bei mir noch kein Teilnehmer bis zum Schluss verweigert. Wenn sie blöde Kommentare machen, kann man einhaken.

Bild: privat

Ümit Gürkan Buyurucu (38) leitet Seminare zum Thema "Sexualität in der Einwanderungsgesellschaft". Der Theater-wissenschaftler ist Geschäftsführer von "Gays und Lesbians aus der Türkei " (Gladt).

Wie muss man sich eine Antivorurteilsstunde vorstellen?

Wir schauen zum Beispiel gemeinsam mit den Jugendlichen Filme wie "Meeresfrüchte" oder "Out of Istanbul" an, die das Schwulsein behandeln. Am Anfang finden die Schüler die Handlungen oft eklig. Dann diskutieren wir darüber. Was ist typisch männlich? Wie ist ein Schwuler? Was ist ein Türke? Wir haben auch Spiele entwickelt, wir drehen mit den Schülern Filme oder spielen Puppentheater.

Was wollen Sie mit Filmen und Spielen erreichen?

Ich will die Gedanken der Jugendlichen durcheinanderwerfen, sie verwirren. Sie sollen ihr Denken neu sortieren. Wir müssen Fragen wecken. Aber wir müssen auch die Antworten der Jugendlichen überprüfen.

Reicht denn ein Wochenendseminar aus, um Jugendliche Toleranz zu lehren?

Es bringt natürlich nichts, wenn eine Klasse einmal im Jahr ein Seminar macht. Das muss in der Schule weiter behandelt werden. Hier geht es um soziales Lernen. Man muss auch in Jugendhäuser, in die Familien gehen. Aber es ist schwierig, an die Eltern heranzukommen, sie verweigern sich teilweise ganz.

Wie soll sich das ändern?

Ich wünsche mir, dass sich in der türkischen Gemeinde mehr Leute engagieren. Dort wird über Homosexualität nicht geredet. Das ist in einem bayerischen Dorf auch nicht anders. Wir müssen positiver an die Sache rangehen. Jetzt heißt es: "Ihr seid homophob." Aber man müsste sagen: "Der Junge ist euer Freund und er ist schwul. Seid glücklich." Türkische und arabische Jugendliche dürfen nicht abgestempelt werden. Das ist es, was unsere Arbeit noch schwieriger macht.

Wollen Sie damit sagen, dass arabische Jugendliche keine Probleme mit Schwulen haben?

Natürlich gibt es homophobe türkisch- und arabischstämmige Jugendliche. Aber die meisten sprechen auf unseren Seminaren das erste Mal über Trans-, Bi- oder Homosexualität. Die wissen gar nicht, was das ist. Ich kann das nicht Homophobie nennen. Das ist auch Unwissenheit.

Und kulturelle Prägung?

Nein, es ist eine Frage der Bildung. Schicht ist wichtiger als Nationalität.

Die Studie sagt, dass es einen Zusammenhang zwischen Herkunft und Vorurteilen gibt.

Ich kann nicht bestätigen, dass türkischstämmige Jugendliche zu 80 Prozent homophob sind. Diese Aussage ärgert mich. Jetzt sind Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht nur potenzielle Kriminelle, sondern auch noch homophob. Ich glaube nicht, dass Deutsche weniger Probleme mit Schwulen haben. Aber sie wissen, dass diese Einstellung von der Gesellschaft nicht erwünscht ist. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind ehrlicher, emotionaler.

Haben Sie selbst schon negative Erfahrungen gemacht?

In der Türkei habe ich kein Problem mit ehemaligen Kommilitonen - aber mit dem Mann am Kiosk. Das ist hier nicht anders. Auch in Berlin können Schwule nicht in jedem Stadtteil Hand in Hand laufen.

Wenn es nur an der Bildung liegt: Warum gibt es dann so wenig Türken, die offen dazu stehen, schwul zu sein?

Das Thema Homosexualität wird in der Türkei ignoriert. Zwei Männer haben Sex miteinander, aber sie bezeichnen sich nicht als schwul. Die türkische Gesellschaft muss erst ein Bewusstsein dafür entwickeln, was Homosexualität ist. Das ändert sich langsam. Und natürlich gibt es Vorurteile. In Deutschland sind schwule Türken mutiger. Das liegt am offeneren Lebensstil.

Hilft es Ihnen beim Umgang mit den Jugendlichen, dass Sie aus der Türkei stammen?

Klar. Ich bin sozusagen einer von ihnen. Und wenn ein Schüler sagt: "Wer schwul ist, ist kein Türke", stehe ich vor ihm: schwul und Türke.

Outen Sie sich vor den Klassen?

Meistens erzähle ich, dass mein Bruder schwul ist. Dann heißt es: "Bei mir würde so was nie passieren." Oder doch? Und schon bleibt ein Fragezeichen hängen. Manchmal habe ich mich aber auch vor Schülern zu meiner Homosexualität bekannt. Sie haben mich anschließend mit Fragen überhäuft, auch nach Stellungen oder Sexpartner. Ich habe fast alle beantwortet, das war ich ihnen schuldig. So entsteht Dialog INTERVIEW: PETRA KILIAN

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