Neue Studie zu Homophobie: Je integrierter, desto toleranter
Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit ist bei jugendlichen MigrantInnen stark ausgeprägt. Aber: Je besser die Integration, desto weniger Vorurteile.
BERLIN taz Was oft vermutet wurde, ist nun auch wissenschaftlich nachgewiesen: Jugendliche mit Migrationshintergrund sind deutlich schwulen- und lesbenfeindlicher als ihre deutschen Altersgenossen. Vor allem junge Männer türkischer Herkunft äußern sich abwertend über Homosexuelle. Aber auch Jugendliche, deren Familien aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen, zeigen homophobe Einstellungen. Dabei gibt es offenbar eine Wechselwirkung der Ausgrenzung: Je stärker sich ein Junge oder Mädchen nichtdeutscher Herkunft selbst diskriminiert fühlt, desto größer ist die Abneigung gegen die Gleichgeschlechtlichkeit.
Das sind die Ergebnisse einer am Dienstag in Berlin veröffentlichten Studie des Kieler Psychologieprofessors Bernd Simon. Seine Mitarbeiter gingen im Auftrag des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD) im Sommer 2006 in elf Berliner Gesamtschulen und Gymnasien und verteilten Fragebögen. Bei den Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft beschränkten sie sich auf die zwei größten Migrantengruppen in Deutschland - die Türkischstämmigen und die aus der ehemaligen UdSSR. Sie werteten die Antworten von 922 Jungen und Mädchen aus. Und stellten deutliche Unterschiede fest.
Der Aussage "Schwule und Lesben sollten die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Männer und Frauen" stimmten beispielsweise 74 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund zu. Von den Jungen, deren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, befürworteten das nur 47 Prozent, von denen türkischer Herkunft nur 38 Prozent. Knapp 80 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund finden es der Umfrage zufolge auch abstoßend, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssen. Bei den deutschen Jungen waren es 48 Prozent.
Die Mädchen zeigten sich in der Berliner Umfrage insgesamt weniger homophob. Doch auch hier gibt es Unterschiede: Junge Frauen ohne Migrationshintergrund äußerten sich im Vergleich zu ihren Mitschülerinnen nichtdeutscher Herkunft deutlich toleranter. Der Autor Bernd Simon glaubt, dass die Studie die tatsächliche Homophobie unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund eher unter- als überschätzt. "Die Ergebnisse wären möglicherweise noch drastischer ausgefallen, wenn wir in Hauptschulen gefragt hätten."
"Für uns sind die Befunde nicht überraschend, aber in ihrer Deutlichkeit doch alarmierend", sagte gestern Günter Dworek, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes. Er forderte einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homophobie. "Aus den Einstellungen können Taten werden. Das dürfen wir nicht hinnehmen." Eren Ünsal von der Türkischen Gemeinde Deutschland pflichtete ihm bei, warnte aber gleichzeitig vor einer erneuten Pauschalisierung. Auf die Homophobie dürfe man nicht mit Islamophobie reagieren.
Tatsächlich könnte die Studie auch dafür das Material liefern. Denn bei den türkischstämmigen Jugendlichen spielt der Islam offensichtlich eine wichtige Rolle. Je religiöser die Jugendlichen, desto negativer ist den Ergebnissen zufolge ihre Einstellung zu Schwulen und Lesben. Auch traditionelle Männlichkeitsnormen sind von Bedeutung. "Wir haben es mit einer religiös fundierten, aber auch einer säkularen Homosexuellenfeindlichkeit zu tun", sagte Simon.
Riem Spielhaus, Islamwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität Berlin, rät zur Vorsicht. "Die Studie kann nicht belegen, dass es der Islam ist, der die Homophobie bewirkt", sagte sie zur taz. Zwar sei in muslimischen Ländern die Homosexuellenfeindlichkeit schon deshalb angelegt, weil die Familie eine wichtige Stellung habe. "Da genießt die gleichgeschlechtliche Liebe nicht den Schutz von Gesellschaft und Religion", so Spielhaus. Trotzdem hält sie eine Differenzierung für wichtig. "Es ist ein bestimmtes Islamverständnis, das Homophobie begünstigt, nicht der Islam an sich."
Was tun, um der Schwulenfeindlichkeit entgegenzuwirken? Eine Antwort ergibt sich aus der Studie: Persönliche Kontakte zu Schwulen und Lesben sind wichtig. Die Befragten waren Homosexuellen gegenüber aufgeschlossener, wenn sie selbst einen oder eine Betroffene kannten.
Bernd Simon kommt außerdem zu dem Schluss: Je besser integriert die Jugendlichen sind, desto weniger neigen sie zur Homophobie. Der Kieler Psychologe warnte: "Ohne verstärkte Anstrengungen auf allen Seiten laufen Homosexuelle Gefahr, ein Sündenbock der misslungenen Integration von Migranten zu werden."
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