Holzschiff aus dem Meer: Vom Paddel zum Ruder
Das erste Mal würdigt eine Sonderausstellung in Schleswig das „Nydam-Boot“. Vor genau 150 Jahren wurde das Schiff aus dem Moor gezogen.
Breitbeinig steht der blonde Hüne am Steuer und schaut in den blauen Dunst über die See. Auf den Ruderbänken legen sich zwei Reihen bärtiger Kerle in die Riemen – so wurde das offene, rund 23 Meter lange „Nydam-Boot“ während der NS-Zeit gern gezeichnet. Das Schiff wurde nach seinem Fundort im dänischen Nydam-Moor benannt und befindet sich seit 1947 im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig. In den vergangenen Jahrzehnten wurde es gemeinsam mit anderen Funden aus den Opfermooren Nydam und Thorsberg gezeigt. Nun steht es zum ersten Mal im Mittelpunkt einer eigenen Ausstellung.
Das Landesmuseum erinnert mit dieser Einzelausstellung an den Fund, die Ausgrabung vor genau 150 Jahren und an die wechselvolle Geschichte des Bootes. Es geht um NS-Propaganda und die Veränderung der deutsch-dänischen Beziehung.
Ein Torfstecher gab den entscheidenden Tipp, der Conrad Engelhardt auf die Spur des Bootes brachte. Der Kopenhagener arbeitete von 1851 bis 1864 als Gymnasiallehrer in Flensburg – das damals zum dänischen Reich gehörte – und baute dort auf Geheiß des dänischen Königs ein vorgeschichtliches Museum auf. Fundstücke gab es kaum, die Archäologie steckte noch in den Kinderschuhen. Engelhardt gelang es, das hölzerne Schiff ohne technische Hilfsmittel in drei Tagen aus dem schwer zugänglichen Moor zu bergen und es in drei Monaten so perfekt zu konservieren, dass es bis heute bestens erhalten ist. Vermutlich sei Leinöl im Spiel gewesen, sagt Andreas Rau, Experte für das Nydam-Boot am Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, das an der Konzeption der Ausstellung beteiligt war.
Engelhardt musste Techniken und Bergungsmethoden erst erfinden – und selbst nach heutigen wissenschaftlichen Standards arbeitete er präzise: Unter anderem grub er so eng um das Schiff herum, dass er Fundstücke wie Pfeile, Speere oder Teile anderer Boote nicht beschädigte – anders als sein berühmter Kollege Heinrich Schliemann, der sich 1870 vergleichsweise rücksichtslos durch die Schichten Trojas wühlte. Engelhardts Sorgfalt ist es zu verdanken, dass neuere Grabungen im Nydam-Moor weitere Funde brachten. Wie das Umfeld des Bootes unter der morastigen Oberfläche aussah, zeigt das Podest, auf dem das Boot ruht: Die Striche und Flecken darauf stellen die übrigen Fundstücke und ihre Lage dar.
Das Boot ist „das wohl bedeutendste maritime Relikt der Eisenzeit weltweit“, sagt Ralf Bleile, Leiter des Archäologischen Landesmuseums und Projektleiter der Ausstellung. Gebaut wurde es um 310 nach Christus, als Opfer versenkt etwa im Jahr 360. Das heutige Nydam-Moor war damals noch ein flacher See, in das die Opferschiffe einfahren konnten – mehrere Langboote ruhten im matschigen Grund. Das Nydam-Boot war ein Ruderboot für rund 45 Mann, hochseetüchtig und mit einer trainierten Mannschaft bis zu 16 Stundenkilometer schnell, ein Truppentransporter und Angriffsfahrzeug. Dass das Fahrzeug ein Beweis für die nordische Seemannskunst war, wie die nationalsozialistische Propaganda verkündete, bezweifeln heutige Forscher. „Das Nydam-Boot ist ein Hybrid“, sagt Rau. „In gewisser Weise ist es eine Urgroßmutter der späteren Wikingerschiffe, vor allem aber ist es eine Schwester römischer Flussschiffe.“ Bevor sich die Germanen bei den Römern die Technik abguckten, wurde im Norden nicht gerudert, sondern gepaddelt.
Dass der Fund bedeutsam war, begriff Engelhardt sofort. Seine persönliche Tragik bestand darin, dass er das Schiff nur ein knappes Jahr unter seiner Obhut behielt. Der deutsch-dänische Krieg im Jahr 1864 vertrieb den dänischen Beamten aus Flensburg, das Nydam-Boot blieb auf einem Speicher zurück. Als der nördliche Teil Schleswig-Holsteins deutsch wurde, blieb das Nydam-Boot mit weiteren Fundstücken aus dem dänischen Moor dort, ein geplanter Austausch von Kulturgütern kam nicht zustande. Später wurde das Boot in Kiel aufbewahrt, überstand die Bombardements des Zweiten Weltkriegs in einer Schute, die im Möllner See lag, und wurde von dort nach Schleswig gefahren.
Für Dänemark bedeute der Verlust des wertvollen Schiffes eine jahrelange Schmach: „Noch zu meiner Schulzeit fuhren wir busweise nach Schleswig, um das deutsche Beuteschiff anzugucken“, erinnert sich ein Kollege einer dänischen Zeitung bei der Pressevorführung der Sonderausstellung. Inzwischen arbeiten Deutschland und Dänemark eng zusammen – so auch bei der
Konzeption der jetzigen Ausstellung, die komplett zweisprachig ist, und an der das dänische Museum Sonderjylland mitwirkte. 2003 lieh das Schleswiger Museum das Nydam-Boot nach Kopenhagen aus, Im Gegenzug stellen dänische Sammlungen nun Einzelstücke für die Sonderausstellung in Schleswig zur Verfügung. Zwei Jahre lang wird die Ausstellung zu sehen sein.
Rund 70.000 Euro haben Konzeption und Umsetzung gedauert. Das Museum erhofft sich mehr Besucher – unter anderem aus Dänemark. Extra bezahlen muss man für die Sonderausstellung nicht. „Das Boot muss allen offenstehen“, sagt Museumssprecher Frank Zarp. Auch nach 2015 wird das Nydam-Boot weiter in der Halle zu sehen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!