■ Holocaust-Erinnerung: Wie die Pädagogisierung des Gedenkens zu äußerst zwiespältigen Ergebnissen führt: Die narzißtische Inszenierung
Rasender Stillstand allenthalben. Mit dem Verfall der realen Stätten des Terrors, in Polen und anderswo, und dem Sterben der letzten Zeugen drängt sich das Problem der Darstellung der Judenvernichtung immer mehr in den Vordergrund. Um die verbliebenen Realien ist ein allen Beteiligten peinlicher Kampf entbrannt, den entweder die Budgets der nachfragenden Museen oder die Autorität interessierter Institutionen entscheiden.
Wo solche Realien fehlen, wird zunehmend auf Inszenierung gesetzt. Der Besucher wird zum Schauspieler in einem Psychodrama, das ihn – je nach künstlerischer oder pädagogischer Ambitioniertheit des Projekts – wechselweise mit dem eigenen Täterpotential, der Opferrolle oder einem gänzlich abstrakten Selbstreflexionsschwurbel konfrontiert.
Am meisten machten dabei die amerikanischen Holocaust-Museen von sich reden, allen voran das in Los Angeles, das schon durch seine Nähe zu Hollywood verdächtig war. Dort hatte man echte Pflastersteine aus dem Warschauer Ghetto und eine bei Nacht und Nebel abmontierte Friedhofsmauer eines polnischen Dorfes installiert.
Jene Pflastersteine führten den Besucher auch in den originalgetreuen Nachbau einer Gaskammer, in der man auf Bänken sitzen und Videos ansehen sollte, die auf ihren Pritschen liegende Häftlinge nach der Befreiung der Lager zeigten. Auch hatte jeder Besucher den Paß eines gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Opfers bekommen, der, an verschiedenen Stellen des Museums in Computer eingespeist, etappenweise über das weitere Schicksal des „Zwillings“ Auskunft gab. Begehbare Viehwagen, Baracken und Kofferberge sind in Los Angeles oder Washington die Kulisse, in der die Besucher zum identifikatorischen Spiel gedrängt werden.
Seltsamerweise fand diese Inszenierung im großen und ganzen und, soweit es dokumentiert ist, bei den Überlebenden große Zustimmung. Die abstrakteren, künstlerisch ambitionierteren Formen können das nicht immer von sich behaupten. Aus naheliegenden Gründen ist hierzulande das Psychodrama, in das der Besucher eintreten soll, keines der reinen Identifikation mit den Opfern, sondern eins, das ihn nötigt, zwischen der Rolle des Täters und der des Opfers zu changieren. Die Klimax dieses Psychodramas ist jeweils die Begegnung des Besuchers mit sich selbst, von der man sich eine kathartische Wirkung erhofft.
Dabei ist der Gestus dieser Installationen gegenüber dem Besucher erklärtermaßen pädagogisch bis aggressiv; hier soll gestolpert, konfrontiert, aufgebrochen und irritiert werden. Mal stellt sich ein schwarzer Block in den Weg, mal tritt man unwissentlich auf Steinen herum, deren Unterseite mit den Namen von Deportierten beschriftet ist. Mal schreibt man den eigenen Namen auf ein versinkendes „Mahnmal gegen Faschismus“, das der Künstler – nachdem einige Besucher auch Hakenkreuze draufgemalt hatten – als „Fieberthermometer im Arsch der Nation“ bezeichnete.
Solange es diese Ästhetik nicht mit Realien zu tun hat – was sie aus Mißtrauen gegen das „Reale“ an sich ohnehin meist vermeidet –, ist sie schlimmstenfalls belanglos oder prätentiös.
Das Jüdische Museum Wien aber, das der Stadt gehört und in dem Juden und Nichtjuden zusammenarbeiten, präsentiert dieser Tage, wie berichtet (taz vom 4.7.1997), einen Versuch, beides zusammenzuzwingen: Objekte auszustellen, die man sich mindestens ebensogut geborgen in einer Grabkammer vorstellen könnte, und eine ausstellungstechnisch ambitionierte Form der erzwungenen Selbstreflexion. Bislang waren die meisten Dinge, die direkt mit Ermordeten zu tun hatten – die Schuhe, Ringe, Haare, Häftlingsuniformen –, in den Gedenkstätten der Vernichtungslager deponiert. Aber die Budgets der Gedenkstätten sind immer stärker überfordert, je mehr Verfall sie kompensieren sollen. In Zukunft wird es immer häufiger vorkommen, daß diese Realien out of context präsentiert werden müssen.
In der Wiener Ausstellung werden Totenmasken enthaupteter jüdischer KZ-Häftlinge gezeigt, die damals auf Bestellung des Wiener Naturkundemuseums von NS- Stellen in Posen angefertigt worden waren. Schon die über die Stadt verstreuten Ankündigungen der Ausstellung „Masken. Versuch über die Shoah“, von der sich die Fernsehanstalten kein Bildnis machen dürfen, arbeiten mit der Spiegelung des Betrachers. Als traue man der Eindrücklichkeit der Dokumente und der Masken selbst nicht so recht über den Weg, ist auch hier der Clou der letzte Raum der Ausstellung, in dem der Besucher nach einer gewissen, in Kontemplation zu verbringenden Wartezeit sich selbst auf einer Reihe von Monitoren an den Masken vorbeipromenieren sieht. Als gäbe es nichts Wichtigeres.
Kontrollieren, überwachen, strafen – der aggressive, priesterliche Impuls ist allen diesen Inszenierungen eigen, die mit dem „Täter im Besucher“ operieren. Zu diesem Impuls paßt auch, daß sich die Ausstellungsmacher schlankweg unter Berufung auf die alles überstrahlende Notwendigkeit der Aufklärung gegen Bedenken aus der jüdischen Gemeinde durchgesetzt hatten, die die Masken lieber mit den inzwischen ebenfalls aufgetauchten Schädeln beerdigt sehen würde.
Nicht, daß das Argument mit der Pietät in jedem Fall zum sofortigen Einlenken zwänge. Den Ultraorthodoxen in Israel, die im vergangenen Jahr von der Gedenkstätte Yad Vashem gefordert hatten, Fotografien nackter Frauen zu entfernen, die vor einer Gaskammer in Majdanek zusammengetrieben worden waren, konnte niemand ernsthaft entgegenkommen wollen.
Ein bißchen mehr Vertrauen in die Eindrücklichkeit des Materials und die Selbständigkeit der Besucher würde schon weiterhelfen. Hält man sich diese ikonographischen Irrungen und Wirrungen vor Augen, wundert es überhaupt nicht, daß sowohl in Wien als auch in Berlin die Diskussionen über zentrale Mahnmale zur Judenvernichtung nicht vom Fleck kommen. Statt der narzißtisch-gequälten Büßerstunde kann man den Interessierten getrost selbst überlassen, was die Dokumente ihnen bedeuten. Mehr Hilberg, weniger Goldhagen! Die klassische Vitrine, eine intelligente Erläuterung und ein unspektakulärer Umgang mit dem dreidimensionalen Material erübrigen jeden inszenatorischen Schnickschnack. Die Besucherbücher des Jüdischen Museums in Wien sprechen da Bände. Mariam Niroumand
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