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DER BUNDESKANZLER BESUCHT ERSTMALS DIE DREI BALTISCHEN STAATENHoher Erwartungsdruck

Helmut Kohl hat es in seinem Regierungsmarathon nur ein einziges Mal geschafft, seinen Fuß auf baltischen Boden zu setzen. Und das war kein „richtiger“ Staatsbesuch, sondern geschah im Rahmen eines Gipfeltreffens des Ostseerats im lettischen Riga. Zu sensibel schienen dem Altkanzler offenbar die baltisch-russischen Beziehungen, um die Geste eines Staatsbesuchs auch nur in Erwägung zu ziehen. Gerhard Schröders Baltikum-Premiere wird in den drei Ländern daher als Signal gewertet, dass Estland, Lettland und Litauen nicht länger der weiße Flecke auf der Karte der deutschen Außenpolitik sein werden.

Man hat dort nämlich das Gefühl, auf der Wartebank zu einer EU- und Nato-Mitgliedschaft immer weiter nach hinten geschoben zu werden. Statt der erhofften Hilfe aus Deutschland für die Sache des Baltikums musste man sich dort erst mit dessen besonderer Rücksichtnahme auf Moskau abfinden und jetzt mit dem, was man als eine ungerechtfertigte Bevorzugung Polens empfindet. Neue Fragen, wie ernst es mit dem Versprechen der Osterweiterung eigentlich sei, hatten nicht nur Joschka Fischers Visionen der Entwicklung hin zu einem europäischen Bundesstaat aufgeworfen, sondern ganz aktuell die Lobpreisungen Bill Clintons für Präsident Wladimir Putin in Moskau. Gerade ihm misstrauen die baltischen Länder abgrundtief und erwarten eine Neuauflage des Konfliktthemas der russischen Minderheiten.

Gerhard Schröder wird es sicher verziehen werden, wenn er es sich, vor allem in Riga und Tallinn nicht verkneifen sollte, darauf hinzuweisen, dass die Behandlung der Minderheiten und die Lösung der offenen Grenzfragen tatsächlich eine Bedingung für einen baldigen EU-Beitritt sind. Auch auf einige kritische Worte zu nationalistischen Tendenzen hat man sich eingestellt. Ansonsten erwartet man sich aber konkrete Signale von ihm, was einen EU-Beitritt angeht. Der Bundeskanzler wird sich jedoch hüten, so optimistisch wie Schwedens Göran Persson zu sein, der vor zwei Wochen in Estland völlig unrealistisch von einer EU-Mitgliedschaft binnen eines Jahres gesprochen hatte. Zwar entwickeln sich die volkswirtschaftlichen Kennzahlen in Estland und Lettland seit Jahren steil nach oben. Und auch Litauen, das politisch in Brüssel am wenigsten Kopfschmerzen bereitet, ist auf gutem Wege. Doch selbst im Musterland Estland liegt das Pro-Kopf-Einkommen erst bei einem Drittel des EU-Durchschnitts. Gerhard Schröder kann also die erhofften EU- oder gar Nato-Zusagen nicht im Gepäck haben. Aber er ist zumindest schon mal für 48 Stunden gekommen. REINHARD WOLFF

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