: Hoher Besuch im Werk Espenhain
■ Die neuen Bundesländer haben einen der ihren in Bonn in verantwortlicher Stellung: Der parlamentarische Staatssekretär brachte ABM-Stellen für den Abbruch mit
Die Bürger der neuen Bundesländer haben Glück: Einer der ihren, der Arzt Dr. Bertram Wiczorek, ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt. Sie haben damit zumindest einen der ihren mit einem gut dotierten Arbeitsplatz versorgt, der Job bringt mehr als 30.000 Mark im Monat. Wiczorek ist auch in besonderer Weise für den neuen Osten Deutschlands zuständig. Seit einer Woche ist er „PSt.“, und schon sein erster öffentlicher Auftritt führte ihn ins Problemgebiet Halle/Leipzig/Bitterfeld. Mit seinem bestimmten Tonfall will er den Eindruck erwecken, daß die Regierung die Sache grundsätzlich im Griff hat. „Herr Staatssekretär“ nennen ihn die Manager des Betriebes ehrfurchtsvoll.
Immerhin hat das Umweltministerium 7,2 Millionen Mark für Bodenuntersuchungen spendiert. Die Region wartet jedoch auf die Investoren, die das kapitalische Wirtschaftswunder vollbringen. Der Umweltmann aus Bonn weiß das. Mit dem Ökogeld werden nicht die Bodenstellen untersucht, an denen die stärksten Vergiftungen vermutet werden, sondern die am wenigsten belasteten Flächen des Werksgeländes — der Umweltschutz ist im Kreis Borna das Vorzimmer zur Wirtschaftsförderung. Über 40 Bewerber haben sich auf die Ausschreibung des bisher ungenutzten, wahrscheinlich wenig vergifteten Werkteils ergeben, berichtet der Betriebsleiter. Darunter allerdings einige, die gleich die ganze Wiese kaufen wollten, mutmaßliche Bodenspekulanten ohne unmittelbares Investitionsinteresse.
Noch hat das Werk Espenhain eigene Einnahmen, es verkauft Strom aus dem Kraftwerk. Der Endverbraucher zahlt in den östlichen Ländern mehr als im Westen für den Strom. Wie das zustande kommt, wollen die Herren aus Bonn erfahren. Der Abgabepreis liegt mit 12Pfennig genauso wie im Westen, sagt der Werkdirektor Zichel. Das bedeutet immerhin, da keine Rücklagen für Investitionen gebildet werden, daß die Energieerzeugung erheblich teurer ist als in den modernen, an die Umweltschutzauflagen angepaßten Anlagen. Wo die Differenz hängenbleibt, die die ostdeutschen Strompreise von den westdeutschen unterscheidet — beim Energieerzeuger fühlt man sich dafür nicht zuständig. Mitte der 90er Jahre ist alles zuende in Espenhain, dann treten nämlich die Umweltschutzbestimmungen der Bundesrepublik in Kraft, nach denen die Braunkohle- Brikettfabrik und das Kraftwerk sofort stillgelegt werden müssen. Auch der Braunkohletagebau der Region, der aufgrund fehlender Rekultivierung Mondlanddschaften hinterlassen hat, hat wegen des hohen Schwefelgehaltes der Kohle wenig Überlebenschancen. Die hoffnungslose Lage macht den Klassenkampf in Espenhain unnötig. „Die Differenz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist hier noch nicht so vorhanden“, gesteht der Betriebsrat, „letztlich sind wir vielleicht immer noch ein volkseigener Betrieb.“ Forderungen lohnen kaum, weil es keinen Adressaten gibt, bei dem etwas zu holen wäre.
Auf die 900 Kurzarbeiter, die mit 80 Prozent der Bezüge und null Stunden Arbeit zu Hause sitzen und warten, ist man betrieblicherseits nicht gut zu sprechen. Die müsse man zur Qualifikation zwingen, sagt der Werkleiter, freiwillig würden die sich nicht hinter dem Ofen hervorbewegen. Zunächst müsse geklärt sein, wofür die Weiterqualifikation denn passieren soll, wirft der Bonner Staatssekretär die Erfahrungen westdeutscher Weiterbildungsprogramme ein. Ja, wofür? Nach der Entlassung der Kurzarbeiter wird das Arbeitsamt mit einem gigantischen ABM-Programm einspringen. Von bis zu tausend ABM-Stellen spricht der Staatssekretär, die könnte ja zusammen mit Spezialfirmen den Abbruch der alten Anlagen besorgen. K.W.
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