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Hohe Auszeichnung für Margaret AtwoodSchreiben und die Welt retten

Feministin, Umweltaktivistin, vielseitige Wortkünstlerin: Die Kanadierin Margaret Atwood erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Stimme des Friedens und der Vernunft. Auch ihre Frühwerke werden wieder populär Foto: dpa

Berlin taz | Als der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Dienstag seine wichtigste Nachricht des Jahres verkündete, lag die Preisträgerin vermutlich noch in den Federn. In Toronto ist es fast noch Nacht, wenn Deutschland in die Mittagspause geht, und ältere Damen brauchen ihren Schlaf. Wobei Margaret Atwood wohl mit extrem wenig Schlaf auskommt, denn die mittlerweile 77-Jährige legt nach wie vor einen kreativen Output an den Tag, der schwindelig macht.

In deutscher Übersetzung kamen dieses Jahr zwei Romane heraus: die Shakespeare-Adaption „Hexensaat“ und „Das Herz kommt zuletzt“, eine Gesellschaftsdystopie ( also eine düstere Zukunftsvision). Erst 2016 war ein Band mit Erzählungen („Die steinerne Matratze“) erschienen. Gleichzeitig veröffentlichte sie in den USA die ersten beiden Teile ihrer allerersten Graphic Novel: ein Experiment.

Die Autorin lässt keine Gelegenheit aus, etwas Neues zu probieren. Der Roman „Das Herz kommt zuletzt“ hatte ursprünglich als Onlinefortsetzungsstory begonnen. Margaret Atwood ist zudem die erste Autorin des „Future Library“-Projekts in Norwegen: Dort wachsen in einem Wald junge Bäume, die in hundert Jahren gefällt werden sollen, um Papier zu werden – unter anderem für einen Roman, dessen Manuskript Margaret Atwood vor zwei Jahren an die Initiatorin des Projekts zur hundertjährigen Geheimhaltung übergeben hat. Von ihren heute lebenden LeserInnen wird wohl niemand von diesem Roman je mehr erfahren als den Titel: „Scribbler Moon“.

Dass Margaret Atwood zu jenen Intellektuellen gehört, die sich in der Öffentlichkeit kritisch über den amerikanischen Präsidenten äußern, ist selbstverständlich. Umso mehr wird ihre Stimme gebraucht, seit Donald Trump den Rückzug aus dem Pariser Klimaschutzabkommen angekündigt hat. Denn abgesehen davon, dass Atwood – seit 1985 ihr berühmtester Roman „The Handmaid’s Tale“ (dt. „Der Report der Magd“, 1987) erschien – als feministische Ikone verehrt wird, ist sie auch eine Autorität in puncto Umweltengagement.

Der Preis

Wofür? Ausgezeichnet werden seit 1950 Persönlichkeiten, „die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen“ haben.

Wer und wie viel? Der Börsenverein des deutschen Buchhandels (das sind also Buchhändler und Verlage) stiftet jährlich 25.000 Euro.

Wenn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit dieser Wahl ein aktuelles politisches Zeichen mit internationaler Strahlkraft setzen wollte, konnte es keine passendere Preisträgerin geben. Auf ihrem Twitter-Account – mit seinen derzeit 1,64 Millionen Followern ein Publikationskanal von einigem Gewicht – setzt sie sich nimmermüde ein für Umweltbelange. (Bei Redaktionsschluss ist der aktuellste Tweet eine Meldung über das neue Design einer Bio-Kaffeesorte, die nach der Autorin benannt ist und mit deren Verkauf ein Vogelschutzgebiet unterstützt wird.)

Die Rettung der Welt steht ganz oben

Auch was ihre literarische Arbeit betrifft, steht das Thema Weltrettung ganz oben auf ihrer Agenda. Mit der „Das Jahr der Flut“-Trilogie, im Laufe des letzten Jahrzehnts veröffentlicht, entwirft Atwood ein groß angelegtes Endzeitszenario: Nach einer sintflutähnlichen Katastrophe müssen sich die wenigen überlebenden Menschen die Erde teilen mit den menschenähnlichen Klonen und genmanipulierten Tierwesen, die sie selbst erschaffen haben. Da sonst fast sämtliche Zeugnisse der Zivilisation zerstört wurden, haben die Lebensbedingungen sich wieder jenen der Urzeit angenähert.

In der nordamerikanischen Öffentlichkeit allerdings steht Margaret Atwood derzeit aus anderen Gründen besonders hoch im Kurs: Der feministische Klassiker „The Handmaid’s Tale“ wird wieder verstärkt gelesen und neu aufgelegt, denn es ist jetzt ein „Buch zur Serie“. Die gleichnamige TV-Serie, die seit April auf verschiedenen Kanälen (bisher nur in den englischsprachigen Ländern und Skandinavien) anlief, ist breit besprochen und von der Kritik allgemein sehr gelobt worden.

Margaret Atwood lässt keine Gelegenheit aus, etwas Neues zu probieren

Das liegt sicher nicht nur an der Qualität der Serie, sondern auch im Stoff selbst und seinem Verhältnis zur aktuellen politischen Lage begründet. „The Handmaid’s Tale“ beschreibt eine patriarchal organisierte Diktatur, in der Frauen als Gebärmaschinen ausgebeutet und missbraucht werden – eine dystopische Vision, die sich, wie Margaret Atwood vor ein paar Jahren im Interview erklärte, gar nicht so sehr von der Lebenswirklichkeit in einigen Gegenden der USA unterscheide. Mit der Wahl eines selbsterklärten pussy grabbers zum Präsidenten des mächtigsten Staates der westlichen Welt wird sich dies seitdem auch nicht weiter verbessert haben.

Ganz sicher ändert weder irgendeine amerikanische Fernsehserie noch ein deutscher Preis etwas an der politischen Weltlage. Es tut aber gut, die richtigen Zeichen zu setzen. Danke.

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1 Kommentar

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  • Ich hätte gern erfahren von Katharina Granzin, wie genau für sie "die richtige Zeichen" aussehen.

     

    Ich meine: Leute, die sich über Donald Trump auslassen, gibt es massenhaft. Nicht alle sind, bei Lichte betrachtet, wirklich besser als der neue US-Präsident. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie eine (gefühlte) Mehrheit stellen. Die meisten Trump-Kritiker halten sich – nicht ganz zu Unrecht – einfach für viel kultivierter.

     

    Das blöde daran ist: Die Probleme, die wir gerade alle miteinander haben, hängen genau mit dieser Kultiviertheit zusammen. Das, was wir derzeit als kulturelle Norm ansehen, ist das, was uns die Zukunft ruiniert. Und zwar mindestens so rasch und nachhaltig, als gäbe es gar keine kulturelle Norm.

     

    Unsere aktuelle Kultur ist eine der glatt polierten Oberfläche. Die Probleme, die wir derzeit haben, gehen allerdings tiefer. Viel tiefer. Sie gehen nicht nur unter den schicken Anzug, den man kaufen kann für teuer Geld. Sie gehen auch unter die Manieren, die man notfalls aus Büchern zu lernen vermag, wenn man sie nicht bereits als Kleinkind mit dem goldnen Löffel eingetrichtert bekam. Unsere Probleme gehen tief unter die Haut – und dann direkt ins Herz.

     

    Ja, das Herz kommt zuletzt. Nur: Vorher müssten noch der Verstand und die Vernunft kommen. Wenn beiden ausfallen als Filter, weil wir vergessen haben, wozu die Aufklärung hätte gut sein sollen, rettet uns nichts mehr vor uns selbst. Ob es in 100 Jahren noch Leute gibt, die Bäume fällen können für ein Buch, für das wir heute noch nicht reif sind, wenn es so weit kommt? Ich habe starke Zweifel.